Jazzkolumne:Solonummer

Lesezeit: 3 min

Brandee Younger (Foto: Erin Patrice O'Brien)

Im Netz kehrt die Single in den Jazz zurück. Nicht nur als Werbemittel, sondern auch als Befreiungsschlag für die Musik.

Von Andrian Kreye

Hin und wieder ist das Internet wunderbar altmodisch. Die Rückkehr der Jazz-Single ist so ein Phänomen, auch wenn die nun eine ganz andere Rolle spielt als in den Jahren der Jukebox. Wenn Musikerinnen und Musiker nur Ideen für ein einzelnes Stück oder gerade zwei, drei Nummern aus einem besonders gelungenen Live-Gig mitgeschnitten haben, ist sie eine Befreiung vom Albumformat. Mit so einer Single hat man aber auch eine größere Chance, in einer der Playlists zu landen, die Streamingdienste kuratieren. Spotifys "State of Jazz" ist so ein Durchlauferhitzer, der für neue Musik enorm wichtig geworden ist.

(Foto: N/A)

Brandee Younger, die meistgefragte Harfenspielerin der Gegenwart, hat eine zweiteilige Single mit den Songs "Unrest I" und "Unrest II" veröffentlicht, die von den Protesten gegen Polizeigewalt im Sommer 2020 inspiriert wurden. Das erste ist ein Solo, das zweite ein Trio mit dem Schlagzeuger Allan Mednard und dem Bassisten Dezron Douglas. Und sie zeigt einmal mehr, dass sie nicht nur virtuos spielen, sondern auch grandios komponieren kann.

Nach seinem Album "Blue to Red" (2020) voll wunderbar changierender Soulgrooves hatte man eigentlich gehofft, dass der Saxofon- und Flötenspieler Chip Wickham bald schon nachsetzt. Jetzt kam ein Stück mit dem Titel "Sais (Egypt)". Kongas, Rhodes Piano und ein sehr zurückhaltender Bläsersatz legen da einen entspannten Soulgroove vor, auf dem sich Wickhams Flöte angenehm schläfrig durch die Kadenzen tragen lässt.

(Foto: N/A)

Die Galionsfigur des "West Coast Get Down"-Kollektivs, Kamasi Washington, ist ja sonst eher ein Mann des Mammutwerks. Das letzte Dreifachalbum ist schon vier Jahre her, deswegen ist die Single "The Garden Path" ein ganz guter Blick auf den Zwischenstand. Alles wie gehabt. Große Spannungsbögen, Miles Mosley streicht den Kontrabass mit Hyperkraft, die Schlagzeuger schieben große Wellen vor sich her und über allem strahlt Washingtons Tenorsaxofon. Funktioniert auch in der kleinen Form.

Das indonesische Klavierwunderkind (oder kann man sich den Zusatz jetzt nach seinem 18. Geburtstag sparen?) Joey Alexander bringt rechtzeitig zum Saisonbeginn das Stück "Promise of Spring" heraus. Im gepflegten Trio holt er aus dem freundlichen Thema ein Maximum an Lebensfreude, der man die Virtuosität nur anmerkt, wenn man ganz genau hinhört. Aber dann.

Der Keyboarder Daniel Hayn gehört zur Schule jener Neo-Fusion-Musiker, die in der Band Weather Report ihr Leitmotiv gefunden haben. Was sich sehr gut in die Gegenwart katapultiert, wenn der Schlagzeuger zu jener Generation gehört, die es geschafft hat, die Hochgeschwindigkeiten der Drum Machines einzuholen. Dann ist Josef Zawinuls und Wayne Shorters Jazzrock-Gigantismus aus den Siebzigern unbedingt ein Erbe zum Weiterentwickeln.

(Foto: N/A)

Einen Schritt weiter ist der britische Schlagzeuger Alexander Flood, der sein Extremhandwerk in oft trügerische Ruhe einbettet. Der will mit seiner Single "Pathways" vor allem auf sein neues Fusion-Album "The Space Between" aufmerksam machen. Und weil der Startrompeter Christian Scott auf der Single spielt, könnten die Algorithmen da anbeißen. Wogegen gar nichts zu sagen ist, das Album ist nämlich saugut.

Auch der Pianist Alan Pasqua hat vor dem Erscheinen seines Albums mit Gary Bartz, Randy Brecker, Dave Holland und Paul Motian ein Stück ausgekoppelt. "Sha' la ko'" ist allerfeinster Post Bop, genau so strahlend und brillant, wie man es sich von so einem Dream Team erwartet.

Gregory Porter nutzt das Format wiederum, um einen Remix seines Stückes "Dry Bones" herauszubringen, den ihm das Berliner Electro-Duo twocolors produziert hat. Damit entfernt er sich weitestmöglich von seinem Souljazz. Mit den frenetischen Stimmpassagen über den Monsterbässen und den Snare-Crescendos sollte das aber auf jedem Rave die Menge in Bewegung bringen. Muss man auch können als Jazzsänger.

Drei Stücke hat der Bassist Christian McBride live im Studio mit dem Saxofonisten Marcus Strickland, dem Gitarristen Mike Stern und dem Schlagzeuger Eric Harland als "The Q Sessions" aufgenommen. Die sollten ursprünglich die fantastische Klangqualität des Hi-Fi-Streamingdienstes Quobuz vorführen. Inzwischen und zum Glück gibt es die Session auch auf anderen Plattformen, denn eh klar, wenn sich vier von dem Kaliber treffen, wird auch aus einer Jam Session ein Erlebnis.

Dass der Trompeter Theo Croker eine so grandiose Liveband hat, geht in den Studioproduktionen immer etwas unter. Grund genug, sich "Live in Paris" anzuhören. Drei Stücke, keine 20 Minuten lang. Grandios.

(Foto: N/A)

Und dann ist da noch die Reihe Melodies Record Club, in der obskure Soul- und Jazzstücke auf Maxisingles herausgebracht werden, die im Nachtleben zu heimlichen Hits wurden. "De I Comahlee Ah" zum Beispiel, ein ziemlich durchgeknalltes Duo aus dem Jahr 1974 mit dem Saxofonisten Jackie McLean und dem Schlagzeuger Michael Carvin. Eher Ritual als Musikstück, aber man ahnt, warum das in den Clubs so abgezogen hat.

Eine Playlist mit all diesen Singles findet sich auf Spotify hier .

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