Literatur:Buddenbrooks auf Drogen

Ciudad Juarez: Militarized Zone

Straßenszene in Ciudad Juárez, einer der am schwersten von organisiertem Verbrechen und Drogen-Clans gebeutelten Kommunen.

(Foto: Eros Hoagland/Redux/Redux/laif)
  • Im dritten Teil von Don Winslows großer Kartell-Saga seziert der Autor den Irrsinn des mexikanischen Bandenkriegs und den der US-Politik.
  • Winslow gelingt es in "Jahre des Jägers" mit großem Geschick, die Realität einzufangen oder zumindest ihre Abgründe plausibler zu machen.

Von Werner Bartens

Natürlich gibt es viele gute Gründe, Art Keller zu erschießen. Der Mann hat 200 oder 300 mexikanische Drogenhändler hinter Gitter gebracht, so genau weiß er das selbst nicht mehr. Er musste einige von ihnen umbringen - genaue Anzahl unklar - und ihre Verbindungsleute in aller Welt aus dem Verkehr ziehen, was ihm nicht direkt Freunde eingebracht hat. Auch in Washington ist Keller nicht beliebt, weil sein hartnäckiger Kampf gegen die Drogen als Agent der Drug Enforcement Administration (DEA) gezeigt hat, dass nicht nur die mexikanischen Kartelle die USA als Absatzmarkt brauchen, sondern die USA selbst ungemein vom Drogenhandel profitieren. Bis in höchste Regierungskreise hat sich ein florierender Markt für Immobiliendeals, Geldwäsche und ungenehmigte Nebentätigkeiten mit unerhörten Gewinnmargen entwickelt.

Art Keller zu töten, ihm vielleicht vorher noch diverse Höllenqualen angedeihen zu lassen, wäre also naheliegend. Aber ausgerechnet am Vietnam-Memorial, zwischen Touristen, Familien und Veteranen? Hier, an der chronisch klaffenden Wunde der USA, die auf der prächtigen Mall in Washington schamhaft unter der Grasnarbe versteckt wurde, weil das Debakel in Südostasien wahrlich keinen architektonischen Protz verdient hätte? Die Schießerei in Don Winslows neuestem Thriller "Jahre des Jägers" könnte kaum an einem symbolträchtigeren Ort stattfinden als an der Mauer mit den Namen der gefallenen Soldaten. Der Krieg gegen die Drogen, den die USA einst ausgerufen haben, ist mindestens so dreckig wie jener gegen den Vietcong, so die wenig verhüllte Botschaft. Und Keller ist einer der wenigen, die trotz gelegentlicher schmutziger Deals das gute, das saubere Amerika verkörpern.

Winslow wählt auf 992 Seiten die ganz große Übersetzung. Er begnügt sich nicht damit, die Geschichte des mexikanischen und internationalen Drogenhandels als hochgerüstetes Räuber-und-Gendarm-Spiel bis in die Jetztzeit und die Sümpfe der Trump-Administration fortzuführen. In seinen Vorgängerromanen "Tage der Toten" und "Das Kartell" hat er bis in kleinste Verästelungen die Karrieren der mächtigen Clan-Bosse geschildert, aber genauso die Schicksale von Laufburschen, beiläufig ermordeten Zivilisten, Auftragskillern, Straßendealern und Junkies. Kellers wichtigster Gegenspieler im Roman, das mächtige Oberhaupt des Sinaloa-Kartells und Mexikos oberster Drogenkönig, Adán Barrera, war den brutalen Biografien leibhaftiger Drogenbosse wie Pablo Escobar und mehr noch Joaquin "El Chapo" Guzmán entlehnt. Seit November 2018 wird Guzmán, "dem Kurzen", in New York unter höchsten Sicherheitsauflagen der Prozess gemacht.

Aber jetzt, im dritten Teil von Winslows großer Kartell-Saga, ist Adán Barrera tot, ums Leben gekommen im Dschungel von Guatemala. Keller hat ihn als einer der Letzten lebend gesehen. Hat er ihn gar ermordet, oder ist Barrera dem Hinterhalt der Zetas zum Opfer gefallen, einer im Roman wie im richtigen Leben besonders blutrünstigen Clan-Abspaltung? Winslow zeigt die Nachfolgekämpfe um die Vorherrschaft der Kartelle meisterhaft als Aufstieg und Verfall einer Familie, besser: von gleich mehreren mexikanischen Mafiafamilien.

Das hat nicht nur die erzählerische Wucht, wie sie sich im "Paten" oder in anderen Mafia-Epen findet, sondern ist eine Art Buddenbrooks auf Drogen. Mit dem Geschäft droht nämlich auch der Anstand verloren zu gehen, sofern man den Kodex der Kartelle so nennen kann, wonach Verwandte des Gegners im üblichen Hauen und Stechen meistens verschont bleiben und die Kartellgrenzen der Plazas, also der jeweiligen Umschlagplätze und Schmuggelrouten für Drogen, respektiert werden. Adán Barrera hatte allerdings die Standards selbst immer wieder unterschritten, wenn er ungehalten war, und schon mal Kinder von der Brücke geworfen, Gegnern die Gesichtshaut abziehen lassen oder einem Verräter mit geschmolzenem Zinn den Rachen füllen lassen.

Doch was ist jetzt los? Während der Streitigkeiten um Barreras Erbe kommt es zu einer nie da gewesenen Spirale der Gewalt, in der Narco-Logik zwangsläufig, um sich im Kampf um den Drogen-Thron Respekt zu verschaffen. "La China", die sadistisch-irre Sicherheitschefin eines Kartells, bettelt beispielsweise geradezu darum, ihr die Opfer und Verräter zu überlassen, um ihre Füße in Säure aufzulösen, sie an Brücken aufzuhängen oder die abgetrennten Gliedmaßen der Massakrierten zu verteilen und anzusprühen, um farblich ihr Revier zu markieren. Oder "El Mastin", der Kampfhund, der sich diesen Kosenamen nicht nur wegen seiner Kopfform, sondern auch aufgrund besonders ausgefallener Verhörmethoden erworben hat.

Es ist Winslows Verdienst, dass er die Morde, das Schlachten und Foltern nicht ausdehnt, sondern knapp beschreibt. Kopfkino ist wirkungsvoller, und der Blutzoll im Roman wird nicht voyeuristisch ausgebreitet, sondern ist der Realität geschuldet, zu der jährlich bis zu 20 000 Todesopfer allein in Mexiko gehören, die im Kampf der Banden und Clans umgebracht werden, darunter Tausende Unschuldige.

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