Die Frau, ein aufsteigender Hollywoodstar, hatte das Buch, in dem sie seit Ende der Zwanzigerjahre recht offen ihre Erlebnisse und Ansichten niederschrieb, zwischen die Kleidungsstücke in ihrer Kommode gesteckt. Dort fand es ihr Ehemann, als er gerade nach Manschettenknöpfen suchte.
Und er konnte darin lesen, mit wem seine Frau großartigen Sex hatte - und dass seine eigene Performance nicht wirklich überwältigend gewirkt haben muss.
Von diesem Moment an waren die Aufzeichnungen, die der Mann bei sich behielt, wie eine Handgranate, der man den Stift gezogen hatte und die losgehen könnte, sobald der explosive Inhalt an die Öffentlichkeit gelangte. Es würde Karriere und Familienglück nicht nur der Frau vernichten, sondern auch ihrer Hollywoodkollegen und Freunde.
Das Buch, das "Purple Diary" der Mary Astor, war von höchster Brisanz in einem skandalträchtigen Scheidungs- und Sorgerechtsstreit, der Mitte der Dreißigerjahre die amerikanische Öffentlichkeit bewegte.
Die Presse schrieb von der "größten Nymphokurtisane seit Madame Pompadour"
Für Astor war natürlich die böse Presse schuld. Diese hätte, schreibt sie in ihren Erinnerungen, sie zur "größten Nymphokurtisane seit Madame Pompadour" gemacht.
Tagebuch und Skandal sind heute so gut wie vergessen, man erinnert sich an die Schauspielerin Mary Astor vor allem in ihrer Rolle als Brigid O'Shaughnessy, die Femme fatale, die im Film "The Maltese Falcon" 1941 Humphrey Bogart eiskalt zusetzt und von ihm noch kälter abserviert wird.
Ihre erste intensive Beziehung hatte Mary mit John Barrymore, dem legendären Hamlet-Darsteller, der Mary für seinen Film "Beau Brummel" haben wollte. Er war über vierzig, sie siebzehn. Er brachte ihr Kunst, Musik und Literatur nahe.
Sein wiederholtes Bitten, ihn zu heiraten, wies sie zurück. (In der Komödie "Midnight" spielten die beiden dann 1939 ein Ehepaar in Paris, das mit anzüglichem Savoir-vivre in eine Vierecksgeschichte schlittert, die fast alle Momente des Skandals um Mary durchspielt, das Drehbuch ist von Charles Brackett und Billy Wilder.)
Nach dem Ende der Beziehung zu Barrymore heiratete Mary den Filmemacher Kenneth Hawks, den Bruder des Regisseurs Howard Hawks. Es war, im Gegensatz zur Barrymore-Leidenschaft, eine wohltuend pragmatische Ehe, mit einem kultivierten, sportlichen Typen.
Doch Ken starb 1930 bei einer Kollision zweier Flugzeuge während der Dreharbeiten zum Film "Such Men Are Dangerous". Danach kam dann Dr. Franklyn Thorpe, ein Gynäkologe, der später das "Purple Diary" finden sollte. Thorpe war den Annehmlichkeiten des Hollywood-Luxus nicht abgeneigt und konnte die von Mary bald erwünschte Scheidung eine Zeit lang hinauszögern.
Dabei operierte er geschickt mit dem gefährlichen Tagebuch, dessen Veröffentlichung nicht nur Mary, sondern vielen ihrer Hollywoodfreunde sehr unangenehm gewesen wäre. Im April 1935 wurde die Ehe geschieden, der Vater bekam das Sorgerecht für die Tochter Marylyn zugesprochen. Er erwies sich bald als ein liebloser Vater, also entschloss sich Mary, das Sorgerecht für sich zu reklamieren.
Im Juli und August 1936 kam es darüber zum Prozess. Mary drehte tagsüber den Film "Dodsworth" (Regie: William Wyler), sie spielte eine selbstbewusste junge Frau, und die Rolle gab ihr Kraft, wenn sie abends vor Gericht erscheinen musste. Thorpes Anwalt versorgte die Klatschpresse mit ausgesuchten Fake News, getürkten Zitaten, groben Schlagzeilen.
Im Mittelpunkt stand die heiße Affäre, die Mary mit George Kaufman in New York angezettelt hatte, damals einer der bestbezahlten Autoren am Broadway und in Hollywood.
Kenneth Anger, der die Geschichte in seinem skandalgespickten "Hollywood Babylon", dem Tausendundeine Nacht der Filmstadt, gebührend behandelt, zitiert aus dem "Purple Diary": "Wenn George einmal seine Brille abnimmt, ist er ein ganz anderer Mann. Er hat ein erstaunliches Stehaufvermögen, und wir haben uns die ganze Nacht geliebt ... Es hat alles vollkommen funktioniert, und im Morgengrauen hatten wir unseren vierten gemeinsamen Höhepunkt."
Astors Handschrift ist, in den wenigen Proben, die damals reproduziert wurden, weiträumig, wuchtig und leicht linksgeneigt, als wollte sie sich dem Sturm der Anfeindungen entgegenstemmen. Die naive Offenheit ihrer Einträge ließ Schlimmes befürchten und brachte die Männer an der Spitze der Hollywood-Studios zum Zittern.
Allerdings machten die Thorpe-Leute einen Fehler: Sie entfernten zwei Seiten aus dem Tagebuch - in denen es wohl um eine Abtreibung für Thorpes Freundin ging. Manipulierte Dokumente waren als Beweisstücke vor Gericht aber nicht zugelassen. Der Richter ließ das Tagebuch in einen Banksafe stecken - somit war es der Öffentlichkeit entzogen.
Man einigte sich auf Verbrennen unter Aufsicht
Als die gemeinsame Tochter Marylyn volljährig war, wurde es auf Antrag von Mary Astor und mit Zustimmung ihres geschiedenen Mannes vor den Augen eines Richters verbrannt.
Mary Astor spielte den Inhalt des Tagebuchs in ihren Erinnerungen herunter. Was der Autor Kenneth Anger dagegen zitiert, klingt weniger harmlos: "Er empfing mich im Schlafanzug, und wir stürzten einander in die Arme. Er war augenblicklich auf Touren, und nach ein paar Minuten war es genauso wie damals ... er riss sich den Schlafanzug vom Leib, und ich bin noch nie in meinem Leben von irgendjemand so schnell ausgezogen worden."
Mary Astor hatte übrigens bald nach ihrer Scheidung wieder ihre Ruhe: Im Herbst 1936 erregte die Affäre des britischen Königs Edward VIII. mit der Amerikanerin Wallis Simpson die Öffentlichkeit - das war noch besser als jede Hollywood-Geschichte.