"Jackass Forever" im Kino:Schmerzhafter denn je

Lesezeit: 3 min

Hart, aber herzlich: Johnny Knoxville riskiert seine alten Knochen in "Jackass Forever". (Foto: Sean Cliver/Paramount)

Zwölf Jahre konnte man denken, die "Jackass"-Jungs wären endlich klug genug, sich nicht mehr selbst zu verstümmeln. Weit gefehlt.

Von Sofia Glasl

Der Titel könnte Drohung oder Freudenschrei sein, das kommt auf den Standpunkt an. Unparteiisch betrachtet ist "Jackass Forever" der vierte Kinofilm eines Phänomens irgendwo zwischen Trinkspielhumor und verunglückten Extremsport-Stunts, das im Jahr 2000 auf dem Musiksender MTV einschlug: Die Show "Jackass" bescherte der Welt eine kaum enden wollende Parade aus Urin-Eistüten, Wasabi-Schnupftabak und Bier-Einläufen. Grölende Halbstarke balancierten da in mit Hähnchen gespickten Unterhosen über Krokodilbecken, ließen sich auf einer Buckelpiste im Geländewagen tätowieren oder im gut gefüllten Dixi-Klo an Bungee-Seilen in die Luft katapultieren. Subtile Gags sehen anders aus, doch nach der ersten Staffel waren Erfinder Johnny Knoxville und seine Gang Stars und ihre Stunts Kult.

Gegner halten die Show nach wie vor für ekelerregend und verantwortungslos - eine Gefahr für die nachahmungsfreudige Jugend im Speziellen und den feinsinnigen Witz im Allgemeinen. Für Fans des Phänomens gibt es allerdings kaum etwas Kathartischeres als die anarchische Komik und ultimative Selbstironie der kurzen Episoden. Auch mehr als zwanzig Jahre nach der ersten Folge ist der Humor immer noch schnörkellos und das Gejohle groß, wenn jemand aus der Truppe seinen Stunt nicht steht.

Schmerz ist hier gleichberechtigt mit einer Situationskomik, die sich immer wieder an Stummfilm-Slapstick orientiert, bisweilen Sketche von Buster Keaton zitiert. Doch liegt der Fokus bei "Jackass" gerade nicht darauf, die Stunts möglichst einfach und fließend erscheinen zu lassen. Das Scheitern ist klar miteinkalkuliert. Wo ein Buster Keaton mit teilnahmslosem Stoneface durch den Tornado wandelt und durch umfallende Häuserfassaden ragt, schubsen Knoxville und seine Crew sich gegenseitig johlend und mit schmerzverzerrten Gesichtern in die Katastrophe. Bei aller Rauheit der Stunts ist die Herzlichkeit der anschließenden Lachanfälle nicht nur ansteckend, sondern hat in ihrer kindlichen Unschuld etwas Befreiendes.

Im Kern geht es um die Freundschaft dieser Crew und ihr Lachen

Wichtiger als jeder Gag ist immer das gegenseitige Schulterklopfen, denn im Kern geht es um die Freundschaft dieser Crew und deren Fähigkeit, völlig schambefreit über sich und den eigenen Körper zu lachen. Nacktheit ist hier die große Gleichmacherin: Große und kleine Körper sind genauso ulkig wie dünne und dicke, gerade und krumme, wenn man sie in Superzeitlupe eine Rutsche aus Schmierseife durch die Wüste hinab glitschen und im Dreck landen sieht. Die Anzahl der in "Jackass" entblößten Penisse ist in der Popkultur vermutlich beispiellos, aber gleichzeitig erholsam entsexualisiert, weil die Truppe auf der Suche nach gegenseitigen Schwachpunkten ausschließlich auf Komik aus ist. Die Ideen jedenfalls scheinen ihnen nicht auszugehen.

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Miterfinder Spike Jonze, Regisseur von aberwitzigen Independent-Filmen wie "Being John Malkovich" (1999) oder "Wo die wilden Kerle wohnen" (2009), erzählt in Interviews gerne, dass er glaubt, Knoxville verwechsle das Leben immer wieder mit Cartoons. Viele der Stunts haben ihren Ursprung in den ähnlich kurzen Szenen der Looney Tunes. Während Wile E. Coyote sich an eine Rakete schnallt, um den Roadrunner endlich einzuholen, stürzt Knoxville in einem seiner bekanntesten Clips mit einem Riesenknall auf ebenjener Rakete in einen See. Im neuen Film lässt er sich als menschliche Kanonenkugel in den Himmel schießen - im Ikarus-Kostüm, das natürlich doppelt und dreifach ironisch gedacht ist. Die Vermessenheit des griechischen Mythen-Ikarus ist hier Teil des Konzepts.

Zwar hat die Erfahrung kaum an der Waghalsigkeit gerüttelt, mit der sich Knoxville und seine Gang gegenseitig herausfordern, doch sie hat diese nun mittelalten Typen auch das Zaudern gelehrt. Schon immer wussten sie, dass es vermutlich wehtun würde, sich von einem Schwergewichtsboxer zwischen die Beine schlagen zu lassen. Mittlerweile können sie vorab schon sehr genau einschätzen, wie sehr es wehtun wird. Die weit aufgerissenen Augen beim Anblick des Sportlers sind dann ein Ereignis für sich, das innerhalb von Sekunden die Angst vor dem tatsächlichen Schmerz und den Unglauben über die eigene kolossale Dämlichkeit vereint.

Jackass Forever , USA 2021 - Regie: Jeff Tremaine. Drehbuch: Jeff Tremaine, Spike Jonze, Johnny Knoxville, Steve-O. Mit: Johnny Knoxville, Steve-O, Jason "Wee Man" Acuña, Chris Pontius, Dave England, Preston Lacy, Ehren McGhehey, Rachel Wolfson. Paramount. Kinostart: 10. März 2022.

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