"Jackass: Bad Grandpa" im Kino:Nur Mut, Opa Jackass

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In "Jackass: Bad Granpa" macht es sich Johnny Knoxville als Rentner bequem. (Foto: dpa)

Seine bisherigen TV-Erfahrungen trägt er sichtbar am Körper. Jetzt beginnt Johnny Knoxville, Fernsehheld der Generation X, seine zweite Karriere als böser Großvater. Ein Treffen.

Von Joachim Hentschel

So ähnlich kennt man die Geschichte aus der Bibel: Oh, Johnny Knoxville, wenn wir unsere Finger nicht in deine Wunden legen können, nein, dann glauben wir nicht an dich! Knoxville, der Mann, der mit dem BMX-Rad übers Zehn-Meter-Brett fuhr, der sich von Babykrokodilen in die Brustwarzen beißen ließ, dem die Leute den Vorschlaghammer zwischen die Beine gehauen haben, der vom Ochsen auf die Hörner genommen, an die Zielscheibe gekettet und mit mehreren Paintballpistolen gleichzeitig beschossen wurde, und zwar alles absolut freiwillig - was ist heute von ihm übrig?

Einer Comicfigur, das wissen wir, kann man den Kopf wegsprengen und die Nase lang ziehen, trotzdem ist sie in der nächsten Szene wieder gesund und unversehrt. Aber Johnny Knoxville, Schauspieler, Chaos-Extremsportler, Schmerzensmann der jüngeren US-Popkultur, der müsste doch jede einzelne der 25 Folgen seiner Fernsehserie "Jackass" - in der er all das ertrug, vor Publikum - noch irgendwo am Körper tragen. Als Wundmal. Eine Mediathek der Knochen und Narben.

Vielleicht hat er an diesem Nachmittag in Berlin nur deshalb den schwarzen Stützverband am linken Arm: damit keiner glaubt, extra danach fragen zu müssen. Aktuell, zählt Knoxville auf, sei der Ellbogen gebrochen, die Schulter geprellt, die Sehne im linken Ringfinger kaputt. Er sei kürzlich in Arizona zu Gast in einem Studentenverbindungshaus gewesen, für eine Filmvorführung, da habe ihm jemand eine Ecstasy-Pille ins Bier geschmuggelt. Als die wirkte, sei er so hyperaktiv geworden, dass er unter anderem einen Tisch zertrümmern musste, daher die Verletzungen. "Man macht blödes Zeug, und so was kommt dabei raus", sagt Knoxville, im Karohemd, mit schwerem Südstaaten-Hillbilly-Akzent. Und gießt sich das Bierglas wieder voll. Sonst sei im Jahr 2013 alles okay mit seinem Körper.

Bösartiger amerikanischer Wohlstandsrentner

Es gibt ja keinerlei Erfahrungswerte, wie lange ein Mensch das machen kann: als Reality-TV-Charakter im Lkw-Reifen steile Skipisten hinunterrollen, Volleyball mit Bienenkörben spielen, auf dem Skateboard durch Holzwände brettern. Knoxville ist 42, und wenn man den Film anschaut, den er bei diesem Besuch in Berlin bewirbt, könnte man tatsächlich glauben, dass er anfängt, für später vorzubauen. Für die Zeit, in der er nur noch das blöde Zeug machen kann oder will, das ihn körperlich nicht ganz so fordert.

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In "Jackass: Bad Grandpa", der am 24. Oktober in den deutschen Kinos startet, spielt Knoxville eine echte Hauptrolle: einen widerlichen alten Mann, versoffen, egozentrisch, notgeil. Unter dicken Schichten von Make-up sieht er aus wie Ende achtzig, ein bösartiger amerikanischer Wohlstandsrentner. Und natürlich gibt es auch hier wieder einen "Jackass""-Effekt: "Bad Grandpa" wurde fast vollständig mit versteckten Kameras gedreht. Die Schmerzen, zumindest die metaphorischen, fühlen dieses Mal die anderen.

In Verkleidung mischte Knoxville sich unter die Landbevölkerung. Spielte Passanten vulgäre Streiche. Inszenierte eine falsche Beerdigung, bei der am Ende die Leichenattrappe aus dem Sarg fällt. Testete, was Postbeamtinnen machen, wenn man ihnen ein riesiges Paket bringt, in dem ein lebendiges Kind steckt. Trat mit einem Gummipenis in einem afroamerikanischen Strip-Club auf und belästigte die Besucherinnen. Mit Regisseur Jeff Tremaine filmte er alles, baute eine notdürftige Handlung aus den Szenen, als obszöner Frank Elstner in einem epischen "Verstehen Sie Spaß?". Mit der Studentenverbindung in Arizona lagen sie, was die Zielgruppe betrifft, absolut richtig.

Der letzte "Jackass"-Kinofilm brachte 2010 über 170 Millionen Dollar Erlös, hatte nur 20 Millionen gekostet. Selbstversuche sind ein preiswertes Medium mit guter Rendite, wie Pornos. Und auch Johnny Knoxville ist eine Art Pornoname. Der Held heißt in Wahrheit Philip Clapp, Knoxville ist sein Geburtsort in Tennessee, aber wir bleiben mal beim Pseudonym und fragen: Johnny, bei aller Liebe - ist das Kunst? "Mit der Frage kämpfe ich auch", sagt Knoxville, eigentlich ein wahnsinnig gut aussehender Mann, schon zu "Jackass"-Zeiten mit Flieger-Sonnenbrille und Motorradjacke der Herzensbrecher der Truppe. "Instinktiv würde ich sagen: Hoffentlich ist es keine Kunst! Ich bin da innerlich gespalten, aber die etwas größere Hälfte fände das schnöselig."

Dabei wollte er damals, mit 13 oder 14 Jahren, noch James Dean werden. Eine romantische, leicht verwundete Seele im ländlichen Tennessee, zwischen dem Autoreifenhandel des Vaters und dem Schulfreundeskreis, dessen Mitglieder heute entweder Polizisten oder Sträflinge sind, nichts dazwischen. "Trotz allem", sagt er, die Leute im Süden sind große Geschichtenerzähler. Das habe ich mitbekommen." Zwei Monate nach dem Highschool-Abschluss fuhr Johnny los, Richtung Hollywood. Er wollte Schauspieler werden. Eine Schnapsidee.

Ende der Neunzigerjahre, schon leicht karriereverzweifelt, hatte er den rettenden Einfall. Für ein Magazin testete er Pfefferspray, Elektroschockpistolen und andere Selbstverteidigungswaffen an sich selbst, aus dem zugehörigen Video entstand das "Jackass"-Konzept: Eine Bande wilder, junger Rednecks denkt sich die brutalsten, bedröhntesten Mutproben aus, mit Sportgeräten, Handwerkszeug, Tieren, menschlichen Exkrementen. Einer erträgt die Schmerzen, den Ekel, den ungewissen Ausgang, die anderen schauen zu und lachen sich schlapp.

"Nicht nachmachen!"

Im Jahr 2000 musste MTV bildschirmfüllende Warnungen einblenden: "Nicht nachmachen!" Selbstverständlich war die Botschaft von "Jackass" genau das Gegenteil: Probiert alles, donnert den Kopf gegen die Reizschwelle, weil es nichts zu fürchten gibt! Dass die dritte Staffel, die drei Monate nach den World-Trade-Center-Anschlägen startete, die letzte blieb, wird kein Zufall gewesen sein. Knoxville und seine Freunde hatten das perfekte TV-Format für den Zeitgeist der furchtlosen Allmachtsphantasien gefunden, den es so nie wieder geben sollte. Die Fortsetzungen im Kino sind nur für Nostalgiker.

Aber was wird jetzt aus dem Mann? "Als ich 2006 mit meiner Therapie begann, habe ich die Psychologin extra angewiesen: ,Therapieren Sie bitte auf keinen Fall den Teil von mir, der die Stunts macht! Davon lebe ich!'", sagt Knoxville. Eine schwierige Phase sei das gewesen, stottert er. Er habe viel zu viel Energie für Unwichtiges vergeudet, zu viel gefeiert, nach einer gescheiterten Ehe Angst gehabt, auch die nächste Beziehung zu ruinieren. Jetzt ist er wieder verheiratet, wurde kürzlich zum dritten Mal Vater. Und, ja, die Behandlung hat angeschlagen. "Ich fühle mich endlich erwachsen, kann meine Frau lieben und mich selbst. Aber - jetzt wird dieses Gespräch doch ein bisschen albern, oder?"

Johnny Knoxville verfällt, scheinbar grundlos, in ein schallendes Rummelplatzgelächter. Das muss seine untherapierte Hälfte sein, die Kunst albern findet, die gerne durch Fensterscheiben fliegt; und die sich heimlich freut, wenn ihm jemand Drogen ins Bier wirft. Weil er selbst ja keine mehr nimmt.

Zuletzt hat Knoxville ein paar gewöhnliche Filmrollen gespielt, zwar in Trash-Titeln wie "Movie 43" oder Arnold Schwarzeneggers "The Last Stand", aber immerhin. Ein lukratives Gnadenbrot für den Evel Knievel der Generation X, und auch "Bad Grandpa" wird wohl ein Großerfolg werden, mindestens in Amerika. Dass "Jackass" irgendwann tatsächlich als Altherrenhumor gilt, das wird Johnny Knoxville noch erleben. Unverletzt. Er wird sich dann zur Feier des Tages einen Furz anzünden.

© SZ vom 19.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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