Kinosterben in Italien:Cinema Inferno

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Sollen wiederbelebt werden: die römischen Filmstudios Cinecittà. (Foto: TIZIANA FABI/AFP)

In Italien verschwinden die Kinos: Nicht nur wegen der Pandemie mussten Hunderte Säle schließen.

Von Oliver Meiler

Man könnte gerade meinen, das Überleben der italienischen Kinoindustrie hänge vor allem an Popcorn und Softdrinks. Alle warten darauf, dass der Staat am 10. März den Verkauf von Verköstigungen in den Sälen wieder zulässt, beruhigt vom Gang der Pandemie. Der Termin wird beschworen, als lösten sich damit alle Sorgen der Kinobetreiber auf.

Das ist natürlich eine Illusion. Doch die Vereinigung der italienischen Kinobesitzer ist nun mal sehr verzweifelt, es geht um alles. Mario Lorini, ihr Präsident, rechnete vor ein paar Tagen vor, dass in Italien in den vergangenen zwei Jahren "mindestens 500" Säle geschlossen werden mussten - von insgesamt etwa 3600 im ganzen Land. Da sind auch Multiplexe dabei. Wenn das so weitergehe, sagt Lorini, dann sterbe das Kino in Italien. "Es braucht jetzt ganz dringend eine ,Roadmap' aus der Krise." Mit klar terminierten Öffnungsschritten von der Regierung. Popcorn sei ein Anfang.

Tatsächlich hat Italien seinem Kulturbetrieb härtere Maßnahmen verordnet, um die Seuche einzudämmen, als das andere Länder taten: Shutdowns und reduzierte Kapazitäten. Noch immer muss man einen "Super Green Pass" vorweisen und eine Gesichtsmaske tragen, damit man in ein Kino vorgelassen wird. Im Volk war das nie umstritten. Die Italiener haben diese Pandemie auf besonders dramatische Art erlebt, und so willigten sie still dazu ein, die schönen Dinge des Lebens auf bessere Zeiten zu verschieben. Wenn an einem Ort "2 G plus Maske" gilt, verhandelt man wohl mit sich selbst die Frage, ob das nun wirklich sein muss: zwei Stunden in einem dunklen Raum?

2021 war ein katastrophales Jahr für die italienischen Kinos, minus 70 Prozent im Vergleich zum präpandemischen 2019. In absoluten Zahlen: Nur 25 Millionen Karten wurden verkauft, weniger noch als 2020, und das ist schon erstaunlich. Mag die italienische Wirtschaft im vergangenen Jahr auch wieder angesprungen sein: Der neue Wind zog an den Kinos vorbei. Auch im internationalen Vergleich stehen sie schlecht da. In Spanien, das etwa zwölf Millionen Einwohner weniger zählt, wurden 2021 mehr als 41 Millionen Kinotickets verkauft. Im etwas stärker bevölkerten Frankreich sogar 96 Millionen. "Bei uns waren die Kinos leer, oder schlimmer: schon geschlossen", sagt Mario Lorini.

Sorrentino ist ein Selbstläufer - sonst lief fast gar nichts

Von den 353 Filmen, die 2021 in Italien gezeigt wurden, warfen offenbar nur vier oder fünf überhaupt Kassengewinne ab. Von den italienischen Produktionen hatte nur eine einzige Erfolg, aber das war kein Wunder: Paolo Sorrentinos ergreifende Ode an seine Heimatstadt Neapel und den Fussballer Diego Armando Maradona, "È stata la mano di Dio / The Hand of God", konnte gar nicht floppen. Filme von Sorrentino sind schon zu Lebzeiten des Regisseurs sofort Klassiker, einfach so. Aber sonst? Nur Blockbuster, die üblichen, die dann gleich in der Hälfte aller Kinos gleichzeitig gezeigt werden, manchmal auch in mehreren Sälen desselben Hauses. Der neue "Spider-Man" zum Beispiel spielte stattlich viel Geld ein, obschon seine Programmierung in die Phase "2 G plus Maske" ohne Popcorn und Coca Cola fiel.

Alles Elend der Pandemie und den staatlichen Einschränkungen zuzuschreiben, wäre ohnehin etwas einfach. Italienische Kinos sind selten sehr einladend, öfter sind sie laut und leidlich sauber. Nicht viele Besucher mögen sich an den Appell halten, die Handys während der Vorführung auszuschalten. Aber das wahre Problem der italienischen Kinos ist ein ganz anderes, und auch dafür war der neue Sorrentino ein gutes Beispiel.

Auf den Bussen und Trams von Rom wurde der Film lange im Voraus mit zwei Daten beworben: 24. November für den Start in den Kinos und 15. Dezember für die Freischaltung auf dem Streamingdienst Netflix. Drei Wochen lagen also nur dazwischen. Wer mag sich da schon ins Auto setzen, allein, zu zweit oder als Familie, einen Parkplatz suchen im Stadtzentrum, ein, zwei, vier Tickets kaufen für den Preis eines Monatsabos bei Netflix und sich mit vielen anderen und mit Maske in einen Saal setzen? Drei Wochen - unter diesen Umständen ist das eine ganz erträgliche Wartezeit.

Und viel Geld aus Europa für Cinecittà: Ob sich das rechnet?

Die Kinobetreiber fordern deshalb nun Ministerpräsident Mario Draghi und seinen Kulturminister Dario Franceschini auf, sich starkzumachen für ein neues Gesetz: Neunzig Tage müssten schon liegen zwischen dem Start im Kino und dem Streamen, sagen sie. Die Vereinigung hätte auch noch gerne, sozusagen als Sofortmaßnahme, dass der Staat die Steuern auf die Tickets senkt, damit man Kindern und Jugendlichen niedrigere Eintrittspreise anbieten kann. Und ein Filmfestival im Frühjahr mit massiver staatlicher Bewerbung wäre auch genehm. Und eine Öffentlichkeitskampagne, ebenfalls vom Staat bezahlt, die die gesellschaftskulturelle Bedeutung des Kinos als Ort und Institution hervorhebt.

Und, klar, Investitionen in die italienische Filmindustrie wären auch gut. Die sind schon beschlossen, es ist ein ansehnlicher Betrag geworden: 260 Millionen Euro. Sie kommen aus dem Wiederaufbaufonds der Europäischen Union und fließen in die römischen Filmstudios Cinecittà, früher auch mal als "Hollywood am Tiber" bekannt. In den Studios in der südlichen Peripherie Roms, die zu Beginn Benito Mussolinis Propaganda filmisch inszenieren sollten, wurden nach dem Krieg Tausende Werke gedreht, auch große, etwa Federico Fellinis "La Dolce Vita".

Nun wird die alte, heruntergekommene Cinecittà wiederbelebt. Zum europäischen Produktionspol soll sie umgebaut werden, mit modernen Studios und Technologien, damit sie wieder mit anderen großen Filmstädten konkurrieren kann. Das ist eine schöne, kühne, nostalgische Wette - gerade in einem Land mit sterbenden Kinos.

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