"Inherent Vice" im Kino:Brauche Ihre Hilfe, Doc

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Der Detektiv und die Staatsanwältin: Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon verkörpern zwei sehr verschiedene Welten, die aber gern zusammenkommen. (Foto: dpa)

In der Tür steht die Frau, die er einst liebte: So beginnt der Fall von Privatdetektiv Larry Sportello. Was dann folgt, kann der Anti-Held in Paul Thomas Andersons Film "Inherent Vice" nur bekifft ertragen.

Von Fritz Göttler

Das FBI bohrt in der Nase. Ein Cop des Los Angeles Police Department - Christian F. Bjornsen, der nur Bigfoot genannt wird - hat unendlichen Spaß, wenn er in seinem Stammlokal den Koch mit seinen grausamen Bestellungen malträtieren kann, und tritt hin und wieder seinen Freunden die Tür ein. Eine Staatsanwältin besteht darauf, dass der Privatdetektiv Larry Sportello, den alle Doc nennen, sich die Füße wäscht, bevor sie zu ihm kommt und in sein Bett steigt.

Larry Sportello ist sicher nicht der Held, aber immerhin die Figur, um die sich alles dreht in diesem Film, "Inherent Vice", den Paul Thomas Anderson gedreht hat nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Pynchon, dem Autor, der sich radikal wie kaum ein anderer seit Jahrzehnten der Öffentlichkeit verweigert. Natürlich gab's auch bei diesem Film Vermutungen, er habe sich mit dem Filmemacher zusammengetan, sei gar bei Dreharbeiten unerkannt gewesen und womöglich in einem kleinen Cameo-Auftritt in den Film gerutscht.

Joaquin Phoenix, der Sportello verkörpert, hat solche Spielchen bereits selber zelebriert, in "Her" hat er sich in eine körperlose Computerstimme rettungslos verliebt, und davor hat er in dem Vexierspiel "I'm Still Here" allen vorgemacht, er würde nun mit dem blöden Schauspielern aufhören und sich als Hip-Hopper erproben - das sah wie ein spontaner Dokfilm aus und stellte sich am Ende als totaler Fake heraus, ein melancholisch boshafter Testlauf in Sachen Starruhm und Medienbetrieb.

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Bürgerliche Dekadenz und jugendliche Revolution

In "Inherent Vice" startet Sportello mit einer Urszene des Film noir, des Kinos allgemein. Er schreckt hoch aus dem Schlaf in der Abenddämmerung, eine Frau steht in der Tür, es ist die Frau, die er einst liebte, und sie trägt den magischen Namen Shasta Fay Hepworth (Katherine Waterston). Ist sie Wirklichkeit, ist sie Phantasma, aber arbeitet das Kino nicht daran, die Unterscheidung aufzuheben? Gleich kommt einem Premingers "Laura" in den Sinn, wo die geliebte Frau aus dem Reich der Toten heimkehrt. Vier Worte hat die Frau für Sportello mitgebracht: "Need your help, Doc."

"Inherent Vice" spielt im Jahr 1970, es ist eine Geschichte vom Genre "Unter dem Pflaster ist der Strand", im Dunst von bürgerlicher Dekadenz und jugendlicher Revolution - Sportello ist fast den ganzen Film über angenehm bekifft oder dabei, sich Stoff zu besorgen oder zu schnorren.

"Ich stellte mir eine Art verblasster Ansichtskarte vor für diesen Film", erzählt Anderson. "Und dann hatte ich Glück, ich hatte nämlich noch das ganze Filmmaterial in meiner Garage aus der Zeit, als ich ,Magnolia' drehte, 1999. Es war von der Hitze beschädigt und verblasst, wir machten ein paar Probeaufnahmen damit, und das sah großartig aus. Das Schwarz war irgendwie milchig, und alles schaute genauso aus wie damals, in den Siebzigern, aber ohne wie ein Pastiche zu wirken. Wir haben dann das Material nur für ein paar Einstellungen benutzt, es war ein Risiko, damit zu drehen - man könnte es vermurksen, hätte dann gar nichts auf dem Film. Aber wir setzten uns zur Aufgabe, diesen Look wieder zu schaffen, indem wir für unser neues Material verschiedene Objektive benutzten . . ."

Shasta hat Sorge um ihren augenblicklichen Geliebten, den Immobilienhändler Wolfmann, sie fürchtet, dessen Frau und ihr Geliebter könnten den reichen Mann in die Klapsmühle stecken lassen, um an sein Vermögen zu kommen. Ein Jude, der sich mit Burschen der Aryan Brotherhood umgibt. Doc macht sich auf die Suche und wird von Hinz zu Kunz geschickt, und bei jedem tun sich neue dunkle Geschäfte auf, Korruption und Drogendeals und Lustgewinne.

Für eine Detektivgeschichte hat "Inherent Vice" bemerkenswert wenig Actionbrutalitäten - ein schneller Schlag auf Docs Kopf mit einem Baseballschläger, eine verquere Schießerei gegen Ende. In einem entscheidenden Moment überquert Doc frohgemut die Straße und geht auf das große LAPD zu, das sehr, sehr postmodern aussieht, kleine Gruppen von Cops kommen ihm entgegen, und einer von denen rempelt ihn beim Vorbeigehen an, sodass es ihm den schönen Strohhut vom Kopf schlägt und er selber auf die Straße purzelt wie ein Gummiball.

Als Detektiv wie ein Gummiball

Es ist die Geburt des Film noir aus dem Slapstick - des Neonoir, der auch ein Noir der Neonfarben ist, die mit ihrer Monochromie zurückweisen ins alte Hollywood-Schwarzweiß. Die Villa der Wolfmanns hat James Wong Howe ausgeleuchtet, der alte Kamerameister. Docs Gepurzel ist wie die hingebungsvolle Stürze der alten Keystone-Truppe in den Zwanzigern, die James Agee so liebevoll nacherzählte, ein engelhaftes Lächeln, das Rollen der Augen, das Nirvana, wenn man am Boden liegt, mit den Füßen kickt wie ein Frosch . . .

Doc Sportello ist der schönste Fall von Überadaption der letzten Jahre im Kino, sein zotteliges Haar, die Jeans, die ausgelaschten Sandalen machen ihn unangreifbar. Er ist auch als Detektiv wie ein Gummiball, wird in alle möglichen Richtungen geschickt. Sein Büro teilt er mit einem Frauenarzt. Die ganze Stadt ist am Ende sein Fall geworden.

"Wir holten sein Outfit", erklärt Paul Thomas Anderson, "von Neil Young, dem der Siebziger, diese Muttonchops, der buschige Backenbart, und einige der Kleidungsstücke sind direkt von ihm geklaut. Ich denke, man kann keinen Film über diese Zeit und diese Kultur machen, ohne direkt auf Neil Young zu gucken." Natürlich trägt Neil Young auch zur Untermalung des Films bei, eine tolle Liebesszene im Regen.

Schäden, mit denen man rechnen muss

Im Film noir hat das Kino seinen Glauben an die Kraft des Erzählens verloren, und Ende der Sechziger, nach den Morden der Manson-Familie, hat es sich ganz den Intrigen und Komplotten geöffnet - politisch und erotisch. In den Geschichten werden unentwegt neue, andere Geschichten entdeckt. Ein japanischer Monsterfilm, "Ghidorah", das dreiköpfige Monster, wird von Pynchon als Remake von "Roman Holiday/Ein Herz und eine Krone" entlarvt.

Inherent vices sind die Schäden, mit denen man rechnen muss, Gläser und Tassen, die zerbrechen, wenn ein Schiff mit dem Seegang kämpft. Keine Frage der Moral. Wenn Doc zum zweiten Mal vor dem LAPD auftaucht, kniet er zusammengekauert auf dem Weg, eine erschreckende Haltung. Sie ruft die in Erinnerung, die man von den Gefangenen der Amerikaner nach dem 11. September 2001 kennt.

Inherent Vice, USA 2014 - Regie, Buch: Paul Thomas Anderson. Nach dem Roman von Thomas Pynchon. Kamera: Robert Elswit. Schnitt: Leslie Jones. Musik: Jonny Greenwood. Mit: Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Katherine Waterston, Owen Wilson, Benicio Del Toro, Eric Roberts, Maya Rudolph, Reese Witherspoon . Warner, 148 Minuten.

© SZ vom 11.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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