Indiepop:Gelockt von Burger Records

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Entertainment Bilder des Tages November 8 2018 The Growlers perform live onstage at o2 Shepherds

Auch gegen Mitglieder der US-Band "The Growlers" gibt es Vorwürfe. Hier treten sie 2018 in London auf.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Die US-amerikanische Indiepop-Szene reagiert auf die erste größere Welle von "Me Too"-Vorwürfen. Steht ihr ein Bewusstseinswandel bevor?

Von Franziska Dürmeier

Wenn man ins musikalische Universum von Burger Records eintaucht, landet man erst mal sehr weich. Man begegnet psychedelischem Retro-Pop mit Lo-Fi-Gitarren, eiernden Hammondorgeln und einem Gesang wie aus der Konservenbüchse. Alles irgendwie vertraut. Alles irgendwie Sechzigerjahre-Garagenrock. Zwar blieb das Label bislang relativ klein, doch in Kalifornien dominiert es die Indie-Szene, brachte weltweit länderspezifische Song-Sammlungen heraus und veranstaltete Festivals, auch in Deutschland. Da war dann alles bunt und schrill, ein ewiges Fest und die Feiernden stets um den ewigen Mythos der Freiheit bemüht: etwas Krawall, etwas Freaksein, immerwährende Jugend, rotzige Coolness. Jetzt ist die äußerlich so unbeschwert wirkende Welt von Burger Records allerdings zusammengebrochen.

Seit Mitte Juli häufen sich Anschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs gegen Musiker und Betreiber des Labels, inzwischen haben sich die Anschuldigungen auch auf andere Bands, Labels und Veranstalter ausgeweitet. Es ist die erste größere Welle an "Me Too"-Vorwürfen, die die Indiepop-Szene erfasst.

Auf der Instagram-Seite Lured by Burger Records, gelockt von Burger Records, werden unzählige Erfahrungen veröffentlicht - mit Bandnamen, Klarnamen, Screenshots von Chat-Verläufen. Genannt werden unter anderem Mitglieder von The Growlers, Mystic Braves, SWMRS, Cosmonauts und The Buttertones. Die Liste der mutmaßlichen Täter ist lang, die Erzählungen ähnlich. Die Rede ist von Machtmissbrauch, emotionaler Gewalt, Sex mit Minderjährigen, Vergewaltigung. Viele Frauen äußern sich anonym, andere zeigen sich. Etwa Clementine Creevy von Cherry Glazerr oder Lydia Night von The Regrettes, die beide von missbräuchlichen sexuellen Beziehungen mit Musikern berichten, als sie selbst noch minderjährig gewesen seien. Das Label soll eine Kultur begünstigt haben, die Übergriffe ermöglichte.

Hinter Burger Records stehen Sean Bohrman und Lee Rickard, zwei Highschool-Freunde. Heute sind sie Ende 30, in Interviews fläzen sie lässig auf dem Sofa. Bohrman und Rickard spielten einst in der Band Thee Makeout Party. Da sie kein Label fanden, brachten sie ihre erste Platte selbst heraus und gründeten im Jahr 2007 Burger Records. Fünf Jahre später hatten sie Musik von mehr als 350 Bands veröffentlicht, darunter auch von Indie-Größen wie Brian Jonestown Massacre.

Und dann war da der "Back Room", das Hinterzimmer

Bands, die mit Burger Records arbeiteten, spielten auf großen Festivals wie SXSW, Desert Daze, Levitation. Im Laden des Labels in Fullerton nahe L. A. wühlten sich die Fans durch Tonträger, lauschten Gigs, trafen Gleichgesinnte. Und dann war da der "Back Room", das Hinterzimmer. Hierhin, aber auch in Tourbusse, Lager und anderswo sollen Mädchen und Frauen "gelockt" worden sein und Übergriffe stattgefunden haben. Band- und Labelkollegen sollen sich gegenseitig gedeckt haben.

Burger Records entschuldigte sich öffentlich, nachdem die Lured-by-Vorwürfe immer weitere Kreise zogen und kündigte Veränderungen an. Doch das reichte nicht. Viele Musikschaffende distanzierten sich und solidarisierten sich mit den Frauen. Einige monieren, dass das Label eine frühere Auseinandersetzung mit Sexismus-Vorwürfen immer wieder verhindert habe. Am 22. Juli schließlich wurde das Ende von Burger Records bekannt, die Social-Media-Auftritte und die Homepage waren nicht mehr erreichbar. Manche belasteten Bands weisen die Schuld von sich, schweigen oder flüchten sich in schwammige Statements, die Mystic Braves haben sich aufgelöst.

In der Musik-Community wird nun intensiv darüber gesprochen, wie eine sicherere Umgebung für Musiker und Fans aussehen könnte. Diskutiert werden neue Strukturen bei Labels, aufklärende Workshops, Zusammenschlüsse von Frauen.

Lolipop Records, ein mit Burger Records befreundetes Label und inzwischen selbst in der Kritik, kündigt an, eine Art Moral-Klausel in seine Verträgen zu schreiben. Das Festival Desert Daze, ebenso mit Vorwürfen konfrontiert, verspricht besseren Schutz für Frauen und will beschuldigte Bands ausschließen. Im Zuge der Aufarbeitung werden Songtexte, Zitate und Interview-Aussagen aus der Vergangenheit durchgesehen.

Die Heftigkeit, mit der die Szene reagiert, mag an der Dynamik der sozialen Medien liegen, sie zeigt aber auch: Es hat sich etwas geändert. Bislang rumorte es immer wieder, aber es tat sich eigentlich nichts. Jetzt werden Bands von Festivals ausgeladen und auch größere Labels ziehen Konsequenzen: Das einstige Nirvana-Label Subpop aus Seattle hat jüngst den Musiker Avi Buffalo wegen Vergewaltigungsvorwürfen ausgeschlossen. Die Lured-by-Aufdeckungen könnten einen Bewusstseinswandel der ganzen Branche bewirken.

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