Independent-Film und Downloads:Oregons Weiten auf 25 Zentimetern

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Internet-Streaming auf dem Vormarsch: Für die unabhängige Film-Distribution in den USA spielen die Verkäufe von Rechten an Onlineplattformen eine immer wichtigere Rolle. Nicht gerade zur Freude der Filmemacher. Was bedeutet es für das Kino, wenn bald jeder Kinofilm auch iPad-tauglich sein muss?

Susan Vahabzadeh

Das Sundance Filmfestival in Park City/Utah ist in den Neunzigern zu einem der wichtigsten Festivals der Welt geworden. Mehr als irgendwo sonst wurde dort die Erneuerung des Kinos vorangetrieben, von den amerikanischen Independents bis zu kleinen Autorenfilmen aus aller Welt.

Benh Zeitlin Film "Beasts of the Southern Wild" gewann beim diesjährigen Sundance-Festival den "Grand Jury Prize Dramatic". Doch das Independent-Kino hat Schwierigkeiten große Verleihfirmen zu finden. (Foto: AP)

Am Sonntag ging das diesjährige Festival zu Ende, und auch in diesem Jahr wehte aus Sundance, so scheint's, ein frischer Wind nach Hollywood hinüber: Die Branchenblätter Variety und Hollywood Reporter berichten übereinstimmend, in Sundance seien die Verkäufe von Rechten an Onlineplattformen, die Filme als Video on Demand (VOD) vertreiben, wichtiger gewesen als je zuvor auf einem Filmmarkt. Das klingt zunächst nach einer rein geschäftlichen Angelegenheit - langfristig wird dieser neue Vertriebsweg aber durchaus das Kino, wie wir es kennen, verändern.

Legale Downloads gibt es ja schon seit einigen Jahren - und eigentlich müssten die großen Studios viel Interesse an ihnen haben, um die Filmpiraterie in Grenzen zu halten. In Sundance ging es aber vor allem um kleine Filme mit niedrigem Budget und ihre Auswertung im Internet parallel zum Kinostart.

VOD als Start für einen Film birgt wenig Risiko - weil das nur einen Bruchteil der traditionellen Vermarktung im Kino kostet. In Sundance war die These zu hören, dass neue Geschäftsmodelle tatsächlich dem unabhängig produzierten Film wieder zu einem Boom verhelfen könnten, wenn es erst einmal normal für die Filmemacher geworden sei, ihre Werke auf diese Weise zu vertreiben - den VOD-Verleiher Logan Mulvey zitiert Variety mit der Hoffnung, dass dann wieder mehr Filme unabhängig gedreht werden könnten.

"Margin Call" erspielt die Hälfte der Einnahmen im Internet

Der Grund für die Aufbruchstimmung in Sundance ist einstweilen vor allem eine Erfolgsgeschichte, die in Sundance begann. Im vergangenen Jahr lief dort "Margin Call - Der große Crash", der Banker-Film mit Kevin Spacey und Jeremy Irons, eine sehr prominente Besetzung für eine Produktion, die weniger als dreieinhalb Millionen Dollar gekostet hat - alle Beteiligten haben sich überwiegend in Gewinnbeteiligungen bezahlen lassen. "Margin Call" wurde im Herbst in den USA gleichzeitig als VOD und in 56 Kinos gestartet. Eingespielt hat der Film Variety zufolge etwa zehn Millionen Dollar - für ein Studio ist das wenig, für eine kleine billige Produktion aber ein gutes Ergebnis. Die Einnahmen der Kinos und des VOD-Verleihs hielten sich in etwa die Waage.

Ein ganz wichtiger Faktor, der die Möglichkeiten des Kinofilms als Streaming bislang sowohl in den USA als auch in Deutschland behindert, sind die Interessen der Kinobetreiber: Die wollen einen Film, der schon ein paar Wochen später oder gar gleichzeitig als legaler Download existiert, gar nicht erst haben. Angeblich, das behaupten Variety und das Time Magazine, habe "Margin Call" bewiesen, dass ihre zentrale Furcht aber unbegründet sei - dass dann niemand mehr in die Filmtheater komme. Stattdessen seien neue Web-Zuschauer gewonnen worden.

Er habe selbst gezögert, sich auf das Modell einzulassen, sagte "Margin Call"-Regisseur J. C. Chandor, aber die Argumentation des Online-Verleihs, dass sich viele Leute einen Kinobesuch einfach nicht leisten können, habe auch ihm eingeleuchtet: "Ich habe selbst kleine Kinder und komme nur selten ins Kino. Es kostet viel Geld, sich einen Babysitter zu besorgen. Also erschien es mir scheinheilig, dagegen zu argumentieren."

Weniger umstritten ist das Feld der Klassiker und Filmbibliotheken - tendenziell ebenfalls ein enormes Geschäftsfeld, um Filmliebhaber im Netz zu erreichen. Auch da wird immer mehr online verfügbar gemacht - wobei ein Blick nach Deutschland zeigt, dass noch längst nicht überall sinnvolle Angebote existieren. Kinofilme gibt es hierzulande über das zu Pro Sieben / Sat1 gehörige Portal Maxdome, über iTunes und eine Reihe anderer Anbieter. Man kann die Dateien nur für einen begrenzten Zeitraum mieten oder kaufen.

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Ein Test von sueddeutsche.de, bei dem in den Streaming-Videotheken gezielt nach zwanzig Titeln aus der ewigen Bestenliste des American Film Institute von 2007 gesucht wurde, verlief allerdings enttäuschend. Dabei standen keineswegs abwegige Filmraritäten auf der Liste, es wurde nach Klassikern wie Buster Keatons "General" oder Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum" gefahndet. Das Angebot erwies sich jedoch als dürftig. Im Vergleich zu DVDs sind einzelne Titel zu teuer, und für eine Flatrate waren zu wenig der gesuchten Filme überhaupt im Angebot.

Symptomatisch ist dafür der Anbieter Lovefilm, der zu Amazon gehört und beides bietet: eine Leihvideothek mit Postversand von klassischen DVDs, alternativ aber auch Streaming oder Downloads ohne physische Datenträger. Anfang des Jahres verkündete Lovefilm, zwei Millionen Nutzer mit 45 000 verfügbaren Filmtiteln zu versorgen. Für Streaming oder Downloads standen dabei allerdings nur 598 Titel zur Verfügung.

Die klassische DVD zum Anfassen wird eben immer noch anders wahrgenommen - und das könnte auch eine Erklärung sein, warum Filmen in Form einer Datei bisher so wenig Respekt entgegengebracht wird. Die Konsumenten der unlängst hochgenommenen Plattform Megaupload tauschten massenhaft Datensätze aus, kostenlos und illegal. Dass sie damit Künstler berauben, die jahrelang Energie und Herzblut in einen Film gesteckt haben und damit nicht mal viel Geld verdienen, ist ihnen oft gar nicht bewusst. Auch legale Downloads aber werden dem Eigentümer kaum mehr Ehrfurcht vor seiner Arbeit einbringen.

Wird sich aber auch die Ästhetik des Kinos verändern, wenn die Auswertung als Datenstrom plötzlich eine große Rolle spielt? Wahrscheinlich schon. Bei einer Fernsehserie ist der Unterschied zum Download nicht so groß - aber das Kino benutzt immer noch eine Bildsprache, die für ein wesentlich größeres Format gedacht ist.

Fernsevermarktung brachte eine Schwemme an Großaufnahmen

Als die Produzenten anfingen, das Geld der Fernsehsender für die Ausstrahlungsrechte schon beim Drehen auszugeben, wurde die Halbtotale zur Seltenheit, die Zuschauer mussten sich an eine Schwemme von Großaufnahmen gewöhnen, in denen wir den Gesichtern der Darsteller geradezu unanständig nahekommen.

Was würde es bedeuten, wenn demnächst von Kinofilmen iPad-Tauglichkeit verlangt würde? Eine Bildsprache, die auf einer Riesenleinwand funktioniert und trotzdem auch bei einer Bilddiagonale von 25 Zentimetern einen Sinn ergibt, ist fast nicht vorstellbar. Den Academy-Mitgliedern wurde für die meisten Oscar-Kandidaten ein Streaming-Zugang von den Studios verweigert - weil die Filmemacher ihre großen teuren Filme nicht auf einem winzigen Bildschirm beurteilt wissen möchten.

Für Steven Spielbergs Epos "War Horse" kam beispielsweise ein Streaming nicht in Frage, aber auch ein mit wenig Geld und außerhalb aller Studios gedrehter Film wie Debra Graniks "Winter's Bone", Sundance-Sieger von 2010, ist so klein nicht darstellbar: Die Enge der Räume und die karge Weite Oregons entfalten ihre Kraft nur auf der großen Leinwand. Ein Kino, das man auch auf dem iPhone verlustfrei genießen könnte, wäre armselig. Die portable Digitalisierung des Kinos als seine einzige Zukunft zu betrachten, das wäre, als würde man in der bildenden Kunst nur noch computergenerierte Bilder gelten lassen und jegliche Form von Malerei für obsolet erklären.

Dass aber so viel über VOD-Auswertungen diskutiert wird, liegt daran, dass Hollywood sich etwas einfallen lassen muss - die Filme des vergangenen Sommers haben in den USA die schlechtesten Besucherzahlen seit dem kommerziellen Schreckens-Sommer von 1997 erzielt. Damals war die drängende Frage dann allerdings nicht, ob das Marketing oder die Vertriebswege schleunigst geändert werden müssten. Stattdessen begann eine sehr altmodische Diskussion - es ging um die Frage, ob die Filme selbst vielleicht nicht mehr gut genug waren.

© SZ vom 30.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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