Im Kino: Ulrich Seidls "Safari":Willkommen im Schlachthaus

Lesezeit: 4 min

In seinem Kinofilm "Safari" porträtiert der österreichische Regisseur Ulrich Seidl Großwildjäger in Afrika. Aber ist das noch eine Doku oder schon ein Tötungsporno?

Filmkritik von Tobias Kniebe

Man sieht einige Tiere sterben in diesem Film. Aber der Tod der Giraffe ist am härtesten. Ein Wesen, das eben noch durch die Savanne galoppierte, liegt plötzlich zusammengesackt im Busch, die Beine geknickt, den Hals grotesk verdreht, den Kopf am Boden. Es lebt noch, als die Großwildjäger sich nähern. Sein Hals fährt einmal herum, hat aber keine Kraft mehr, der Kopf schleift jämmerlich durch den Staub. Und die Herde hat angehalten auf ihrer Flucht, aus einigem Abstand starren die anderen Giraffen herüber auf diesen Todeskampf, und bei diesem unverwandten Starren wird selbst den Jägern ein wenig mulmig zumute.

Wer auch nur ansatzweise bereit ist, Tieren eine Leidensfähigkeit zuzugestehen, Qual und Trauer, wird diese Szene aus Ulrich Seidls Film "Safari" nicht sehen wollen. Es sei denn vielleicht, um sein Reservoir an Menschenhass auf Jahre hinaus wieder aufzufüllen. Aber selbst den nüchternsten Betrachter müssen spätestens an dieser Stelle ein paar Erkenntnisse überfallen. Was für eine mörderisch dominante Spezies dieser Homo sapiens doch ist, und wie so ein Giraffenorganismus, der noch Jahrzehnte allen Widrigkeiten der Savanne getrotzt hätte, von einer Sekunde auf die andere ausgelöscht werden kann.

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Beim Drehen dieses Films wurden Tiere verletzt. Dieser Warnhinweis, der die üblichen Beteuerungen des Hollywood-Kinos umdreht, müsste "Safari" eigentlich vorangestellt werden. Und eben nicht nur verletzt, sondern getötet. Ulrich Seidl filmt das Leben in einer privaten Safari-Lodge in Namibia, deren Name zwar nicht genannt wird, aber durch den Schriftzug "Leopard Lodge" auf den T-Shirts präsent ist. Sein Film ist der Versuch, dieses Leben in allen Facetten zu zeigen. Da sind die Jagdtouristen, mutmaßlich alle aus Österreich. Sie werden im Abspann mit vollem Namen genannt, und sie wirken in diesem Film mit, weil sie zu ihrem Hobby stehen. Man sieht sie mit ihren Feldstechern, wie sie flüsternd ihre Ziele besprechen, ihre Gewehre aufs Stativ legen, abdrücken und dann ein sterbendes Gnu, einen Wasserbock oder eben eine Giraffe in Besitz nehmen. Das Foto mit dem erlegten Tier wird immer besonders sorgsam arrangiert. Zwischendrin reflektieren sie in inszenierten Interview-Situationen über ihr Tun.

Da ist der deutschsprachige Besitzer der Lodge, die man in der Nähe der Hauptstadt Windhoek verorten kann, aber weder das Land noch die Lokalität werden im Film genannt. Auch er posiert für arrangierte Interviews. Man könnte viel über die Unterschiede von Weißen und Schwarzen erzählen, sagt er, aber das würde er hier lieber lassen, man werde ja schnell als Rassist abgestempelt. Außerdem erklärt er, der Mensch sei ohnehin der Untergang der Natur, da käme es auf ein paar abgeschossene Tiere wirklich nicht an.

Drittens sind da noch die schwarzen Bediensteten der Lodge. Sie werden vor allem dabei gezeigt, wie sie in einer Art Schlachtraum die erlegten Tiere häuten, ausweiden und in ihre Einzelteile zerlegen. Diese Szenen sind fast noch ausführlicher als die Jagdszenen. Eben hat man noch die Giraffe sterben sehen, nun sieht man, wie merkwürdig dick so eine Giraffenhaut ist, wenn man hineinschneidet, und wie riesig sich so ein Giraffenmagen aufblähen kann, wenn die Bauchdecke geöffnet wird.

Ansonsten bleiben die Bediensteten völlig stumm, was aber vielleicht ihre eigene Entscheidung ist, nicht die des Filmemachers, wer weiß das schon. Die stummen Hausmädchen posieren vor Trophäenwänden mit lauter ausgestopften Tierköpfen, und dabei ist es vielleicht schon ein Statement, wenn eines dabei den Kopf eines brüllenden Pavians im Arm hält. Die stummen schwarzen Jagdhelfer posieren vor ihren Wellblechhütten und halten dabei Kisten hoch, die wie Privatsammlungen getrockneter Tierpenisse aussehen. Aber das ist nur eine Vermutung.

Auch Ulrich Seidl folgt dem aktuellen Dogma des Dokumentarfilms, möglichst viel im Unklaren zu lassen. Was der ganze Film zunächst produziert, ist eine gewisse Fassungslosigkeit. Vermischt mit Bewunderung für den Filmemacher. Eigentlich schon immer das typische Ulrich-Seidl-Gefühl, das auch seine vorangegangenen Dokumentarfilme wie "Im Keller", "Models" oder "Tierische Liebe" begleitet hat. Man kann gar nicht fassen, dass sich da eine Szene in dieser Drastik wirklich vor der Kamera abspielt, gratuliert innerlich dem Filmemacher zu diesem Coup, ist zugleich aber aufgewühlt oder abgestoßen.

Der Ansatz des Regisseurs wird vor allem dann problematisch, wenn es um das Töten geht

Es bleibt einem zum Beispiel der Mund offen stehen, wenn man das zentrale Großwildjäger-Pärchen für sein Interview posieren sieht. Sitzen die beiden wirklich zwischen Zebrafellmuster-Gardinen bis zum Boden? In Leopardenfellmustersesseln? Unter einem ausgestopften Gnu-Kopf? In blitzsauber gebügeltes Großwildjäger-Khaki gekleidet? Und sagt der Mann wirklich: "Der Dötungsakt is nur a winziger Deil der Jagd"? Ja, ja, ja, ja und nochmals ja. Das ist das Ulrich-Seidl-Gefühl.

Nun ist hier aber das Label "Dokumentarfilm" schon nicht mehr ganz richtig, weil Seidl ganz offen darüber spricht, wie hemmungslos er solche Szenen inszeniere. Zumindest erzählt er das hinterher gern, wenn die Filme gelaufen sind. Vielleicht hat sein Team die Gardinen und Sessel mitgebracht; vielleicht hat er das fesche Jägerpärchen aufgefordert, blitzsauber gebügeltes Großwildjäger-Khaki zu tragen, und dem Mann seinen Satz vorher suggeriert oder sogar aufgeschrieben.

Vielleicht hat er aber auch nur abgefilmt, was er vorfand. Man weiß es einfach nicht, und man soll es auch nicht wissen. Das ist das Seidl-Prinzip. Aber je länger der Film dann dauert, desto problematischer erscheint es. Vor allem, wenn es dann wirklich an die Tötungsakte geht. Sehr klar ist zum Beispiel, dass ein sterbender Wasserbock vor der Kamera zwar Emotionen auslöst, aber bei Weitem nicht so starke Emotionen wie eine sterbende Giraffe. Was natürlich auch Seidl weiß. Seine Wasserbock-Sequenz ist kurz, seine Giraffensequenz endlos lang.

Und jetzt soll man also glauben, dass er diesem Jägerpärchen, dessen Vertrauen und Kooperation er ganz offensichtlich vollständig gewonnen hat, in keiner Weise suggeriert hat, welche Tiere es jagen könnte? Dass er zwar alles andere in seinen Filmen freudig inszenieren würde, vor diesem Schritt aber zurückschreckt? Man muss es glauben, weil der ganze moralische Status des Filmemachers sich sonst radikal ändern würde, vom kühlen, niemals urteilenden Beobachter zum kaltherzig sensationslüsternen Mitjäger, Mittöter. Man muss es glauben, und kann es doch nicht - weil Ulrich Seidl das Seidl-Prinzip, das hier vielleicht an ein Ende kommt, dafür schon viel zu weit vorangetrieben hat. Das ist die fundamentale Erschütterung dieses Films.

Safari , Österreich 2016 - Regie: Ulrich Seidl. Buch: Veronika Franz, Ulrich Seidl. Kamera: Wolfgang Thaler. Neue Visionen, 91 Minuten.

© SZ vom 07.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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