Im Kino: Ich sehe den Mann deiner Träume:Der reine Wahnsinn

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Alfie verlässt seine Frau für eine Jüngere, die dann Trost bei einer Wahrsagerin sucht. Es ist nicht dieselbe Prozedur wie jedes Jahr - denn Woody Allen zeigt das bürgerliche Elend drastischer als bisher.

Fritz Göttler

Ein Märchen ist's, von einem Narren erzählt. Und von Narren handelt es, den ungemein banalen Narreteien einer ungemein gewöhnlichen Familie des Londoner Mittelstands. Was Woody Allen halt unter gewöhnlich versteht ... Der Vater - Anthony Hopkins, man hat ihn in dieser Rolle Alfie genannt, was ungemein boshaft ist, wenn man an den gleichnamigen legendären Draufgänger denkt, den Michael Caine in den Sechzigern verkörperte - hat sich von seiner Frau getrennt, im Wahn, nur so könne er noch einmal das Leben in all seiner Fülle fassen, das sich ihm bislang versagte.

Er träumt von der Karriere als Erfolgsautor, sie von der eigenen Galerie: Josh Brolin als Roy und Naomi Watts als Sally in dem Drama Ich sehe den Mann deiner Träume von Woody Allen. (Foto: dapd)

Er lässt sich mit einer jungen Blonden ein, Charmaine (Lucy Punch), die sagt, dass sie Schauspielerin sei und nur nebenbei in einem anderen Gewerbe tätig, in dem es um Aids und Viagra geht im engeren Sinne, um Pelzmäntel und Klunker im weiteren. Alfies Frau Helena (Gemma Jones) sucht darauf Trost bei einer Wahrsagerin, die hat immer ein Glas Sherry oder Whiskey bereit und ist billiger als all die Analytiker, die Helena bereits durchprobiert hat. Die Hellseherei, daran lässt Woody Allen keinen Zweifel, ist natürlich auch nur eine andere, nicht unbedingt subtilere Art der Prostitution.

Auch die nächste Generation hat ein paar Lächerlichkeiten parat. Die Tochter Sally arbeitet im Kunsthandel, sie strebt nach Unabhängigkeit, will eine eigene Galerie. Sie ist verknallt in ihren Chef, Antonio Banderas, ein smarter großer Dunkler - er tut, als würde er nichts mitkriegen und spielt virtuos mit Sallys Begehren. Insofern macht Sally sich genauso lächerlich wie ihr Mann, der Amerikaner Roy (Josh Brolin), der von einer - typisch amerikanischen - Karriere als Erfolgsautor träumt, aber nach einem ersten Buch nichts mehr zustande bringt.

Ein Kaleidoskop moderner Geisterexistenzen, das Leben ein wandelnder Schatten ... Der gute alte Woody wie gehabt sei Ich sehe den Mann deiner Träume/You Will Meet a Tall Dark Stranger, war in vielen Kritiken aus Cannes und danach zu lesen, die gleiche Prozedur wie voriges Jahr, man mochte das charmant finden oder ein wenig enttäuschend. Aber das bürgerliche Elend ist diesmal drastischer als bislang, schrecklich decouvrierend und demütigend, den Figuren keine Intimität und kein Geheimnis lassend. Lauter unglückliche Figuren, und dann versetzt, wenn sie schon am Boden liegen, ihnen das Schicksal noch einen letzten Tritt. Das Nachtreten als ausgetüftelte Aktionskunst - eine noch relativ vitale Urszene dazu gibt es in den Sechzigern in "Bananas", wo der schmächtige Underdog Woody auf dem U-Bahnsteig zwei Schläger angeht, aber so listig getimt, dass er, bevor sie reagieren können, noch in die U-Bahn springen kann, bevor sich die Türen schließen ...

Den Figuren von "Dark Stranger" bleibt nicht die kleinste Chance - nichts als lächerliche Hoffnungen, Illusionen, Ambitionen. Ihre Naivität schützt sie nicht mehr. Roy, der konturlose Romancier, erspäht durch sein Fenster zum Hof die junge Dia im Haus gegenüber, Freida Pinto, die sich ganz natürlich gebärdet, im roten Kleid, mit der Gitarre - aber anders als Hitchcock oder Kubrick ist Woody Allen nicht interessiert an den Mechanismen des Blicks, an der Projektion des Begehrens. Als Roy sich mit dem Mädchen trifft, sagt sie tatsächlich: Ich wollte schon immer jemandes Muse sein. Woody Allen beruft sich selber allerdings auf Shakespeare, "Macbeth", fünfter Akt, kurz vor dem Untergang: Das Leben ist ein Märchen, von einem Narren erzählt, voller Schall und Wahn, und es bedeutet nichts.

YOU WILL MEET A TALL DARK STRANGER, USA/Spanien 2010 - Regie, Buch: Woody Allen. Kamera: Vilmos Zsigmond. Mit: Naomi Watts, Josh Brolin, Antonio Banderas, Anthony Hopkins, Freida Pinto, Gemma Jones, Lucy Punch. Concorde, 98 Minuten.

© SZ vom 02.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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