Im Kino: "Es kommt der Tag":Die Qualen einer Rabenmutter

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Kein RAF-Film, eher ein Mutter-Tochter-Melodram, aber gut: Iris Berben spielt eine Ex-Terroristin in dem Kinofilm "Es kommt der Tag".

Susan Vahabzadeh

Wer frei sein will, muss allen Ballast abwerfen. In diesem Sinne schickt Alice (Katharina Schüttler) den Typen, mit dem sie gerade noch geschlafen hat, auf einem Autobahnrastplatz zum Mülleimer, lädt sein Gepäck aus und haut einfach ab. Fährt dahin, wo sie ihre Wut, ihre Enttäuschung, ihre Vergangenheit abladen will.

Es ist ein destruktiver Überfall, den Alice plant. Sie fährt auf ein Weingut ins Elsass, mietet sich ein, lernt die Kinder kennen, alles unter falschem Namen, falscher Flagge. Sie will die vermeintliche Idylle zerstören. Es interessiert sie nicht, dass das Weingut von Judith (Iris Berben) und Jean Marc (Jacques Frantz) vor dem Ruin steht, die Kinder rebellieren, die Welt gar nicht rosig ist.

Ihre Mission ist größer, sie ist voller Wut und Verbitterung, im Gepäck hat sie Beweismaterial: Judith heißt eigentlich Jutta, sie war RAF-Terroristin, wird wegen Mordes gesucht, hat ihr Kind zur Adoption freigegeben, als sie in den Untergrund ging: Alice will ihre entflohene Rabenmutter konfrontieren mit ihrer Schuld. Um die Schuld, sie verlassen zu haben, geht es Alice, und weil sie die nicht eintreiben kann, will sie die Mutter haftbar machen für das, was die Gerichtsbarkeit hergibt.

Die Qualen dieser Frau, hin- und hergerissen zwischen zwei Identitäten und zwei Idealen, gehen einem beim Zusehen wirklich an die Nieren. Das ist eine große Leistung von Iris Berben, die Judith/Jutta sehr eindringlich spielt - und doch in keiner Szene zu viel macht, nie gekünstelt oder künstlich wirkt. "Es kommt der Tag" funktioniert sehr gut als Mutter-Tochter-Melodram; als RAF-Film bringt das alles eigentlich nicht viel.

Da werden dutzendfach gestellte Fragen verhandelt, nach dem Stellenwert des Idealismus, nach der Grenze zwischen Widerstand und Terrorismus, der aus Jean-Marcs Vater einen Résistance-Helden macht und aus Judith eine verwerfliche Kriminelle; nach der Begründung von Gewalt und der Unmöglichkeit, den Tod eines völlig unbeteiligten Unschuldigen zu rechtfertigen, eines Mannes, der auch einen leeren Platz hinterlassen hat in der Welt, in seiner Familie, der nur zur falschen Zeit am falschen Ort war. Den Banküberfall finden Judiths Zweit-Kinder noch nicht so schlimm, aber ein Mord?

Das reicht einfach nicht für eine spannende politische Diskussion. Die gleichmäßig verteilten Allgemeinplätze - der Genmais wird doch sowieso angebaut, egal ob man dagegen kämpft oder nicht; eure Generation kriegt doch für gar nichts den Hintern hoch - helfen da wahrlich nicht weiter. Eine schwierige Geschichte hat sich Susanne Schneider, sonst Drehbuchautorin und Theaterregisseurin, da für ihr Kinodebüt aufgehalst, eine nur vermeintlich politische, denn Alice will hören, dass ihre Mutter sie geliebt hat. Es wird also geschrien und beschuldigt.

Sehnsucht nach Sühne

Da muss etwas sein, was der deutsche Film zurückhaben will, wenn er diese Zeit aufzuarbeiten versucht - sich selbst, die Aufbruchstimmung, den Furor, den der Neue Deutsche Film damals hatte vielleicht . . . Jeder, sagt Jean Marc, hat eine zweite Chance verdient. Gibt es auch, entgegnet Alice patzig, eine zweite Chance auf eine Kindheit? In Wahrheit gibt es sie für gar nichts, was mit der Zeit vergeht, diese zweite Chance, das ist der Haken an Alices Sehnsucht nach Sühne. Sie bringt ihre Mutter in ein Dilemma, in dem sie dann auch selbst landet.

Was sie nun von ihr fordern kann, ist nur die gesellschaftliche Sühne. Sie kann verlangen, dass Jutta sich stellt und die Strafe annimmt für das, was sie getan hat. Aber Alice würde damit den Geschwistern die Mutter nehmen, das große Ganze über die Familie stellen - das tun, was sie ihrer Mutter vorwirft. Auch "Es kommt der Tag" sucht nach einem Abschluss, einem letzten Wort. Dass der Film nicht vorgibt, eines zu finden, sich für die Ratlosigkeit entscheidet, ist ganz in Ordnung - aber besser wäre es noch, er käme ins Reine mit dem Melodram, das er eigentlich sein will, und das immer wieder an den Rand gedrängt wird von einem politischen Schaukampf.

ES KOMMT DER TAG, D 2009 - Regie und Buch: Susanne Schneider. Kamera: Jens Harant. Mit: Iris Berben, Katharina Schüttler, Jacques Frantz, Sebastian Urzendowsky. Zorro Film, 104 Minuten

Außerdem laufen im Kino an:

Andula - Besuch aus einem anderen Leben, von Fred Breinersdorfer und Anne Worst

Carriers, von Alex und David Pastor

Evet - ich will!, von Sinan Akkus

Die fast vergessene Welt, von Brad Silberling

Gangs, von Rainer Matsutani

Das Geheimnis des Regenbogensteins, von Robert Rodriguez

Menachem & Fred, von Ofra Tevet und Ronit Kertsner

Pandorum, von Christian Alvart

Tortuga - Die unglaubliche Reise der Meeresschildkröte, von Nick Stringer

Verblendung, von Niels Arden Oplev

Die Welt ist groß und Rettung lauert überall, von Stephan Komandarev

© SZ vom 1.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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