Dies ist ein kleiner Film über den Hass, aus Schweden, dem Land, das uns so nah und verwandt zu sein scheint und doch immer aufs Neue fremd wird. Über den quälerischen, planvollen Hass, aber auch über den impulsiven und befreienden, über seine (selbst)zerstörerischen Momente, aber auch über all das, was mitreißend an ihm ist und produktiv.
Für Letzteres ist hier vor allem die junge Lisbeth Salander verantwortlich, und diese Figur hat auch wohl am meisten zum Erfolg der "Millennium"-Trilogie von Stieg Larsson beigetragen. In Lisbeths Auftritten paart sich Robustheit mit einer immensen Verletzlichkeit, sie ist natürlich viel fragiler, als sie scheinen möchte.
Eine permanente Rebellin, die erste der neuen Independents, mit dem Outfit einer Punklady - Leder, Piercing, Tattoo, Kickboxen, Motorrad. Sie ist furios, wenn sie sich in die abgeschirmtesten Industrie- und Regierungsdateien einhackt, aber sie kann auch kräftig zuschlagen, wenn sie in dunklen Unterführungen dumm angeredet oder körperlich attackiert wird.
Soziopathische Einzelkämpferin
Eine Einzelkämpferin, die entdecken muss, dass sie mehr Verantwortungsgefühl besitzt, moralisch und menschlich, als sie sich gern zugestehen würde. Diese Soziopathin, knallhart verkörpert von Noomi Rapace, ist eine würdige Pippi Langstrumpf unseres Jahrtausends - Stieg Larsson hat sich in der Tat bei Astrid Lindgren seine Heldin geholt.
Wie verfilmt man einen Bestseller, dem von Anfang an das Etikett "Starkes Kinomaterial" aufgepappt war, wie bringt man siebenhundert Seiten auf die Leinwand, ohne die intensive Atmosphäre zu verlieren? Ron Howard hatte eben diese Probleme mit seinen Dan-Brown-Filmen, und er hat sich inzwischen für eine spielerische Adaption entschieden.
Regisseur Niels Arden Oplev und die Drehbuchautoren Nikolaj Arcel und Rasmus Heisterberg versuchen in "Verblendung" erst mal nahe am Buch zu bleiben und an dem Fall, der Familiengeschichte, die es entfaltet. Ein geordnetes Erinnerungsfeld steht am Beginn, das sich zusammensetzt aus kleinen gepressten Blumen im Rahmen. Jedes Jahr bekommt der alte Unternehmer Henrik Vanger eine geschickt, von einem Unbekannten - so wie es seine Nichte Harriet einst getan hatte.
Aber dann ist Harriet spurlos verschwunden, Jahrzehnte ist das nun her, und die Blumen halten die Erinnerung am Leben, ein Mittelding zwischen konkretem Objekt und Abstraktum, zwischen Natur und Kunst. Sie sind mehr als Abbilder, sie sorgen für Erinnerungskontakt, der Absender hat sie in der Hand gehabt, gepflückt, in den Rahmen eingepasst.
Der Thriller als Phantomgeschichte
Der alte Mann will noch einmal versuchen, die verschwundene Nichte zu finden, der Journalist Mikael Blomkvist soll ihm dabei helfen und wird auf die Insel gerufen, wo die Familie residiert, durch die Firmengeschichte verbunden und durch manche Geheimnisse, die in den Häusern gehütet werden und alt wurden mit ihren Bewohnern.
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Der Thriller als Phantomgeschichte: Wie gehört ihre Geschichte zusammen mit grausamen Frauenmorden, war Harriet Zeugin eines Verbrechens, wie viel Wissen verraten ihre Blicke und die der Frauen der Familie? Auch der Journalist hat ein Problem, er ist für eine seiner Enthüllungsgeschichten verurteilt worden und muss demnächst für ein paar Monate in den Knast.
Wie filmt man ein Vermächtnis? Stieg Larsson hat mit der Veröffentlichung gewartet, bis er alle drei Bände seiner Trilogie fertig hatte - durch seinen unerwarteten Tod vor fünf Jahren haben die Bücher eine zusätzliche Aura gewonnen. In seiner Arbeit für Vereine und Zeitschriften - in der linken Vereinigung Vierte Internationale, für Searchlight und Expo -, in seinen Artikeln, Vorträgen, Büchern lernt man den Aufklärer Larsson kennen, der an die Vernunft glaubt, auf den bedächtigen politischen Diskurs baut.
In seinen Büchern wuchert all das, was in diesem Diskurs oft verdrängt wird, das Triebleben, der Unterbau, das Unbewusste der modernen Gesellschaft. Die exakte Recherche erfährt ihre Grenzen, die Imagination ist als Erkenntnismittel gefragt - Freud hat das mit seinen Schriften zur Sexualtheorie, zu den Perversionen, Anfang des 20. Jahrhunderts durchgespielt.
Perversion, politisch und sexuell
"Männer, die Frauen hassen" heißt Larssons Buch im Original, und dieser Hass ist der bürgerlichen, autoritären Gesellschaft eingeboren, das Unbehagen an ihrer Kultur, wie es schon Bergmans Kino Jahrzehnte heimgesucht hat. Der Film kann in diesem Punkt die Essenz der Bücher bewahren, die bestürzend und grandios beides zusammenbringen, die politische mit der sexuellen Perversion, den Faschismus mit dem Sadismus.
Männer, die hassen . . . Der Vormund, der Lisbeth unter Kontrolle hat, nutzt seine Macht gnadenlos aus. Er trägt, selbst im modernen Internetzeitalter, noch die alten Insignien bürgerlicher Herrschaft. Die Regale hinter ihm sind mit ledernen Schinken gefüllt, sein Bart zieht eine Spur zu weit über die Lippe hinaus, die Brille ist eine Spur zu schmal, und das Haar wellt sich doch ein wenig zu stark in die Stirn.
Den großen epischen Atem, den der Roman entfaltet, kann der Film nicht durchhalten, dem horizontalen Drive, der Action, überlagert sich ein Sog in die Tiefe. Die weitläufigen Familiengeschichten sind nur rudimentär bewahrt, aber der Film beschwört die poetische Kraft der Erinnerung und ihres Hilfsmittels, der Fotografie. Der Moment, da man auf den Auslöser drückt, ist schon der Moment eines Verschwindens. Die Detektivgeschichte, der Kriminalroman sind Kinder des Zeitalters der technischen Reproduzierbarkeit.
Analphabetismus, die Zweite
"Hat nicht der Photograph - Nachfahr der Augurn und der Haruspexe - die Schuld auf seinen Bildern aufzudecken und den Schuldigen zu bezeichnen?", schrieb damals Walter Benjamin, in der Unfähigkeit mit Bildern umzugehen sah er den neuen Analphabetismus: "Aber muss nicht weniger als ein Analphabet ein Photograph gelten, der seine eigenen Bilder nicht lesen kann?"
Die Faszination des Auguren hat auch Stieg Larsson gespürt, Lisbeth muss eine Epiphanie für ihn gewesen sein, eine neue anarchische Kraft. Der Versuch, eine Reihe von ungeklärten Frauenmorden zu erforschen, führt sie zur Bibel und ihren Sprüchen zurück - ist nicht das die Sehnsucht aller Rechercheure, aller Hacker in der Datenflut? Der Blick eines Mädchens dringt über Jahrzehnte zu uns herüber. Die Bilder blicken zurück.
MÄN SOM HATAR KVINNOR, Schweden/Dänemark/D 2009 - Regie: Niels Arden Oplev. Buch: Nikolaj Arcel, Rasmus Heisterberg. Kamera: Eric Kress. Mit: Michael Nyqvist, Noomi Rapace, Lena Endre, Sven-Bertil Taube, Gunnel Lindblom. NFP, 152 Minuten.