Im Gespräch: Scorsese:"Vielleicht waren wir einen Tick zu arrogant"

Robert De Niro sagte eigentlich nie etwas - aber weil er an denselben Straßenecken rumhing, machte Scorsese dann doch ein paar Filme mit ihm. Die Bilder.

T. Kniebe

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Robert De Niro sagte eigentlich nie etwas - aber weil er an den selben Straßenecken rumhing, machte Scorsese dann doch ein paar Filme mit ihm. Die Bilder.Text: Tobias Kniebe/SZ vom 27.02.2010/sueddeutsche.de/karSo aktiv ihre Protagonisten zum Teil noch sein mögen - die ganze Generation des New Hollywood bewegt sich unaufhaltsam aufs Lifetime-Achievement-Alter zu. So möchte man jede Begegnung mit Meistern wie Martin Scorsese jetzt nutzen, noch ein Stück Geschichte aufzuzeichnen: Erinnerungen an große Karrieremomente, ohne die es ein paar Meisterwerke des Kinos weniger gäbe.Little Italy Weihnachten 1970: Martin Scorsese und Robert De Niro erkennen sichMartin Scorsese: Es war ein Weihnachtsessen in Jay Cocks' winzigem New Yorker Appartement. Jay war damals Filmkritiker beim Time Magazine, aber wir waren so gute Freunde geworden, dass er nicht mehr über mich schreiben konnte. Brian De Palma war auch da und brachte diesen Schauspieler mit, von dem er schon die ganze Zeit geschwärmt hatte: Robert De Niro.Man muss wissen: De Niro sagt eigentlich nie etwas. Er ist wirklich sehr still. Es gab damals Parties, da ist er einfach auf dem Fußboden eingeschlafen. Aber nach dem Essen saß ich mit ihm allein im Zimmer, und De Niro sah mich so an, und dann sagte er: "Du hingst doch immer unten zwischen Mott Street und Elizabeth Street rum, mit..." - und dann zählte er drei Namen auf. Ich sagte: "Yeah, woher weißt du das?" Und er: "Ich war damals in der Grand Street mit..." und nannte drei weitere Namen.Plötzlich kam die Erinnerung: Wir kannten uns schon mit sechzehn, sind damals durch die Straßen gezogen, alles italoamerikanisches Gebiet, nicht ganz dieselbe Clique, aber man wusste, wer die anderen waren. Bob kannte all die Typen aus dem alten Viertel, auf denen meine ersten Filmfiguren basierten. Etwas später hat er angerufen und gesagt, er hätte Lust, das mal authentisch zu zeigen: Die Straßenecken, die Hinterhöfe, die Hausflure, die Kleingangster, die nichts zustande bringen, die es nicht in sich haben, je was Größeres zu stemmen.Das wurde dann, ein Jahr später, "Mean Streets". Das Vorbild für Bobs Figur, Johnny Boy, kannten wir beide, da brauchten wir nicht groß drüber zu reden. Nur einen Moment lang überlegte Bob, ob er nicht lieber Harvey Keitels Part gespielt hätte - den sah er, eher so karrieretechnisch, als die Hauptrolle an. Er war aber nicht wirklich fordernd in der Sache. Bald sagte er sowas wie: Du hast recht, diese andere Rolle ist auch verdammt interessant.Foto: Scorsese und De Niro bei den Dreharbeiten zu Taxi Driver, Getty

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Der lästige Knirps Sommer 1972: Scorsese liest zum ersten Mal das "Taxi Driver"-Drehbuch Martin Scorsese: Auch das verdanke ich Brian De Palma. Wir waren beide in Los Angeles zu der Zeit, genau wie der Drehbuchautor Paul Schrader. Der hatte offenbar eine ziemlich üble Phase hinter sich, Ehe kaputt, mit allen zerstritten, Schulden. Er hatte mehrere Wochen in L.A. in seinem Auto gelebt, und dann in relativ kurzer Zeit dieses Drehbuch geschrieben: Ein Taxifahrer in seinem Cab, isoliert wie in einem Blechsarg, mit dem er durch die Stadt driftet, vollkommen allein. Brian sagte, das musst du lesen - wenn es jemand machen sollte, dann du. Er glaubte wirklich an mich. Er selbst wollte es nicht machen, er hatte irgendwelche anderen Projekte mit Schrader.Ich las es, und es soll ja in New York spielen, und man merkte sofort, dass sich der Autor in New York überhaupt nicht auskannte. Die Straßennamen, die Geographie, das stimmte alles überhaupt nicht. Davon abgesehen war es natürlich großartig, und ich wollte es unbedingt machen. Paul Schrader fand das zuerst überhaupt keine gute Idee.Er hatte die Rechte aber schon verkauft, an das Produzentenpaar Julia und Michael Phillips, die auch gerade anfingen. Die beiden habe ich dann belagert. Am Ende mussten sie mich regelrecht verscheuchen, ich war der lästige Knirps, der einfach keine Ruhe geben wollte. Julia konnte knallharte sein. Eines Tages sagte sie zu mir: "Komm wieder, wenn du was anderes gemacht hast als 'Boxcar Bertha'!" Das war mein erster kommerzieller Film, den all meine Freunde hassten.Julias Worte waren brutal, aber irgendwie hatte sie Recht. Ich ging und kam mit "Mean Streets" zurück. Julia und Michael und Paul Schrader haben sich den Film dann angesehen, und hinterher sagten sie alle drei dasselbe: Mit der Kombination, mit dir und De Niro als Taxi Driver, können wir's wagen. So machten wir es dann. Davor hatte ich, man glaubt es kaum, sogar mal mit Dustin Hoffman über die Rolle des Travis Bickle geredet. Der mochte "Mean Streets", aber er hatte andere Verpflichtungen. Keine Ahnung, ehrlich gesagt, wie der Film mit ihm geworden wäre.Foto: Szene aus Taxi Driver, Verleih

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Zitterpartie Sommer 1973: "Mean Streets" triumphiert über den Sandwich-MannMartin Scorsese: Als mein Produzent Jonathan Taplin und ich einen Verleih für "Mean Streets" finden wollten, setzten wir sehr auf Paramount. Die hatte mit Coppolas "Paten" einen Riesenerfolg gehabt - wir waren uns sicher, dass sie alles kaufen würden, was irgendwie mit kriminellen Italoamerikanern zu tun hatte. Der zuständige Mann war Peter Bart, der später lange Chefredakteur von Variety war. Er sah sich zehn Minuten an, dann ließ er die Vorführung abbrechen und sagte nur kühl: Danke, nicht interessiert.Das war ein Schock! Unser Selbstvertrauen war dahin. Vielleicht waren wir vorher auch einen Tick zu arrogant gewesen. Die Filmkopie wurde uns praktisch am Ausgang in die Hand gedrückt, zwei schwere Dosen, jeder musste eine tragen. Wir stiegen ins Auto und fuhren Gott weiß wohin, in irgendeine Sauna, ein türkisches Bad, und da saßen wir dann und schwitzten. Und Jonathan sagte, am Nachmittag haben wir noch diesen Termin bei Warner Brothers. Oh Gott, dachte ich, der Albtraum geht weiter!Dann kamen wir bei Warner an. Dort kannten sie mich als "Marty vom Schneideraum". Freddie Weintraub war damals der Vizepräsident, ein bemerkenswerter Mann. Lustig, aber auch wahnsinnig tough. Er hatte mich Anfang der Siebziger zum ersten Mal nach Hollywood geholt, nachdem ich geholfen hatte, "Woodstock" zu schneiden. Eine Feuertaufe. Klar hat er mich damals in die Mangel genommen, aber nicht allzu hart. Ich kam sogar mit seiner Tochter Sandy zusammen.Schauen wir uns also den Film dieses Schneidetypen an, wenn's denn sein muss - das war die Stimmung bei Warner. Alle orderten erst mal Sandwiches. Der Kellner kam, als der Film etwa zwanzig Minuten lief. Großes Durcheinander. Wer kriegt Roastbeef? Moment, Bacon hatte ich! Mit Salat und Tomate, hier bitte! Bis jemand plötzlich sehr vehement "Shhh" machte.Die Szene, die alle dann packte, war die Hinterzimmerszene mit De Niro, der umständlich erklärt, warum er seine Schulden nicht bezahlt hat, wegen dieser Krawatte, die er kaufen musste, weil er so deprimiert war, und so fort... "Der Typ ist großartig", flüsterte jemand. Und dann haben sie sich den ganzen Film angesehen. Am nächsten Tag gab es noch eine Vorführung für Ted Ashley, den Oberboss, und der lehnte sich irgendwann zu mir rüber und sagte: "Am Eck gegenüber hab' ich gewohnt." Das war's dann, Warner kaufte den Film.Foto: Scorsese mit De Niro und Harvey Keitel bei den Dreharbeiten zu Mean Streets, Verleih

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Die Kakerlake November 1978: Scorsese und De Niro steigen für "Raging Bull" in den RingMartin Scorsese: Das Ding hat wirklich De Niro vorangetrieben. Ich wollte den Film eigentlich gar nicht machen, aus einer Reihe von Gründen - unter anderem träumte ich gerade davon, "Die letzte Versuchung Christi" zu drehen, und "Gangs of New York". An den Boxer LaMotta wollte ich irgendwie nicht ran - aber ich kam aus der Nummer auch nicht mehr raus. Die Produzenten waren Irwin Winkler und Bob Chartoff, die schon ihren Triumph mit "Rocky" gelandet hatten, und jetzt wollten sie mal einen ganz anderen Boxerfilm machen.Wir hatten ein Drehbuch, das Paul Schrader für uns geschrieben hatte, aber nur als Gefallen, ziemlich schematisch. Bob und ich wussten, wir mussten da selbst noch mal ran. Und es war schon klar, wir würden auf die Insel St. Martin in der Karibik fliegen, um wirklich in Ruhe zu schreiben. Irwin meinte, okay, aber vorher sollten wir den Leuten vom Studio mal "Hallo" sagen. Das waren Steven Bach und David Field von United Artists, da hatten Irwin und Bob ihren exklusiven Produzentenvertrag.Was Irwin nicht sagte: Die beiden waren bereits auf dem Weg in mein Appartement, sie waren praktisch schon im Aufzug - und sie wollten den Film endgültig absagen. Das erfuhr ich aber erst viel später aus Steven Bachs Buch "Final Cut". Sie kamen also an, wir sprachen über dies und jenes, ich erklärte unter anderem, dass ich den Film unbedingt in Schwarzweiß drehen wollte, ich wollte keine roten Boxhandschuhe in dem Film sehen und kein rotes Blut - Jake LaMotta war ein sehr blutiger Boxer, und ich hatte Angst, das würde alles gefaked aussehen. Niemand sagte etwas dagegen, Schwarzweiß war nicht das Problem.Schließlich rückte Field damit heraus, dass sie das Drehbuch, so wie sie es bisher kannten, für nicht verfilmbar hielten. Eine so brutale, primitive, unmenschliche Figur wie Jake LaMotta sei keinem Publikum zuzumuten. Er sei doch im Wesentlichen - hier eine gespannte Stille - eine Kakerlake.De Niro, der die ganze Zeit kein Wort gesagt hatte, der aber schon ewig dafür kämpfte, diese Figur spielen zu dürfen, antworte nur: "Er ist keine Kakerlake." Mehr nicht. Mit diesem einen, entscheidenden Satz fuhren wir nach St. Martin. Und an dem Script, mit dem wir zurückkamen, hatte United Artists dann nichts mehr auszusetzen.Foto: De Niro als Boxer in Raging Bull, Verleih

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