Hanns Heinz Ewers war ein besonders prächtiges Exemplar jener irrlichternden Künstlerseelen, die vor und zwischen den Weltkriegen von der Fackel der Extreme angezündet wurden. Er experimentierte mit Drogen und begeisterte sich für die Nudistenkultur, schrieb als Erfolgsautor Sex- und Schauergeschichten, bei denen Zuhörer in Ohnmacht gefallen sein sollen, darunter 1911 die mehrfach verfilmte erotische Gruselei "Alraune" über eine Frau, die aus dem Samen eines Gehängten entstand. Ewers fühlte sich zunächst der Avantgarde zugehörig, kooperierte unter anderem mit dem Anarchisten Erich Mühsam, traf den Okkultisten Aleister Crowley und bereiste die Welt von Australien über Indien bis nach Südamerika. Doch seit dem Ersten Weltkrieg schrieb er vermehrt nationalistisch, trat 1931 in die NSDAP ein und verfasste den fürchterlichen Propagandaroman "Horst Wessel" über den "ersten Märtyrer der Bewegung", nur um 1934 von den Nazis wieder fallengelassen zu werden.
Warum muss also eine Geschichte über Ilna Ewers-Wunderwald mit ihrem Mann beginnen? Weil es so typisch für die Wahrnehmung der bohemienhaften Geniekultur jener Jahre ist, dass Künstler mit ihrem wankelmütigen Ausschlag zu den Extremen, die ohne moralischen Kompass ihr Ego befriedigen, als interessante Revuecharaktere auf der kulturellen Bühne gehuldigt und nicht vergessen werden, während Künstlerinnen, die bei aller Neugier bedacht und menschlich blieben, aus den Annalen der Kulturgeschichte gelöscht sind. Wie Ilna Ewers-Wunderwald, die 1912 den Extremen ihrer Ehe floh, um eine harmonische und friedvolle Art des Ausdrucks zu finden.
Im Horst-Janssen-Museum in Oldenburg wird Ilna Ewers-Wunderwald nun ein großes Ausstellungsdenkmal gesetzt, um die Vielbegabte zu rehabilitieren, über die vor ein paar Jahren nicht einmal das Internet Bescheid wusste. Dann gab es 2018 eine erste Ausstellung im Bröhan-Museum, dem Berliner Landesmuseum für Jugendstil, Art déco und Funktionalismus, und nun hat der Mitherausgeber von Hanns Heinz Ewers' Erzählungen, Sven Brömsel, zusammen mit der langjährigen Direktorin des Museums, Jutta Moster-Hoos, die Geschichte dieser außergewöhnlichen Illustratorin, Malerin, Übersetzerin, Modeschöpferin und Weltreisenden neu erzählt: als Schicksal informativ eingebettet in den historischen Kontext weiblicher Rechtlosigkeit, als "Damen" weder studieren noch wählen noch über ihr eigenes Geld bestimmen durften.
In Opiaten fand sie Inspiration, keine destruktiven Energien
Vielleicht ist es nur die Bestätigung eines weiteren Klischees, dass Männer in jener Zeit mit Kunst provozieren wollten, wogegen Frauen verführten. Aber wenn man die oft drastische Sprache von Hanns Heinz Ewers vergleicht mit den feingliedrigen und romantischen Illustrationen seiner Frau für seine Bücher, oder seine euphorische Preisung des Konsums von Opiaten, den die beiden wohl zusammen unternahmen, mit ihren sehr kontrollierten Farbmustern eines "Opium"-Blattes, dann zeigen sich doch extrem unterschiedliche Stil-Konsequenzen aus den gemeinsamen Erfahrungen.
Die 1875 in Düsseldorf geborene Caroline Elisabeth Wunderwald, die sich selbst Ilna nannte, und die ihren Mann im berühmten Kunstverein "Malkasten" kennenlernte, war wahrlich kein Kind von Traurigkeit, wenn es um die Ausschweifungen eines Dandylebens ging. Aber ihre prachtvoll bestickten Kleider, ihre sensiblen Wiedergaben von traumhaften Inspirationen, und ihre Vertiefung in die Natur als Quelle des Jugendstils, dem sie zeitlebens treu blieb, zeigen nichts von den destruktiven Energien, mit denen sich ihr berühmter Gatte in diese Epochen stürzte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, etwa düsteren Visionen von Buddha und Kali nach einer gemeinsamen Indienreise, oder dem rätselhaften Porträt eines anthropomorphen Wasserwesens auf einem Fels, widmete sich Wunderwald dem Schönen und Illustrativen.
Inspiriert von britischen Künstlern wie dem Zeichner Aubrey Beardsley oder dem sozialrevolutionären Kunsthandwerker William Morris suchte Wunderwald immer das Konstruktive und Ansprechende in ihren Bild- und Modewerken. Auf der Grenze zwischen Kunst und Kunsthandwerk eigentlich immer dem Zweiteren mehr zugeneigt, ist die Könnerschaft von Ilna Ewers-Wunderwald sicherlich nicht das vibrierende Echo auf ihre Zeit, dem sich die Würdigung der Vorkriegskunst in großen Museen widmet. Dafür hat diese Künstlerin immer in Opposition zu dem unheilvollen Kriegszustand männlicher Konkurrenz gelebt, der das Schlachthaus Europa zu verantworten hat.
Wunderwald, die viele französische Romane mit erotischem oder schaurigem Inhalt übersetzte, etwa Théophile Gautiers Skandalroman über die bisexuelle Mademoiselle de Maupin, mit der sie sich stark identifizierte, floh schließlich vor dem urbanen Konfliktlärm der deutschen Republik und begab sich 1930 auf eine Weltreise zu Fuß, von der sie 1937 zurückkehrte. Sie lebte dann mit einer Partnerin bis zu ihrem Tod 1957 am Bodensee, über die man - wie über so viel im Leben dieser kunstsinnigen Abenteurerin - nichts weiß. Vielleicht wäre das Leben von Ilna Ewers-Wunderwald, deren Kunst zu schön ist, um wirklich berühmt zu werden, ein lohnenswertes Recherche-, Biografie- oder Romanprojekt. Um mehr zu erfahren über die friedlichen Aspekte einer Ära, deren Nachhall durch die Zeugnisse von Extremmännern geprägt ist.
Ilna Ewers-Wunderwald: Expedition Jugendstil. Horst-Janssen-Museum, Oldenburg. Bis 29. August. Der Katalog kostet 39 Euro.