Humboldt-Forum Berlin:Fragwürdiges Konzept

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Die "Höhle der ringtragenden Tauben" aus China ist ein Meisterstück des im Humboldt Forum untergebrachten Museums für Asiatische Kunst. (Foto: Alexander Schippel/Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss)

An diesem Freitag eröffnen die letzten Säle des Berliner Humboldt- Forums.

Von Jörg Häntzschel

Nichts im Humboldt-Forum, das an diesem Freitag vollständig eröffnet wird, ist so überraschend wie ein paar Satzzeichen in einem der Wandtexte. Die Worte "Erwerbungen" und "Sammlungen" sind hier in Anführungszeichen zu lesen, das Ethnologische Museum, das jetzt gemeinsam mit dem Museum für Asiatische Kunst die letzten Flächen im zweiten und dritten Stock eröffnet, stellt mit dieser winzigen Intervention seine gesamte Existenz als fragwürdig bis verlogen bloß. Radikaler als das selbst die schärfsten Befürworter von Restitutionen tun würden.

Diese kleine, aber radikale Geste findet sich allerdings auch nur im Benin-Saal, der in den vergangenen Monaten eilends umgebaut werden musste, weil Deutschland im Juni beschlossen hat, das Eigentum sämtlicher Benin-Bronzen, die in den deutschen Museen mit den größten Benin-Beständen lagern, an Nigeria zu übertragen. Von 514 Benin-Stücken, die Berlin besaß, werden 168 als Leihgaben für zehn Jahre bleiben, nur 40 sind ausgestellt. Mit der dramatischen Entwicklung - kein anderer Staat hat sich bislang zu einem ähnlichen Schritt durchgerungen - war auch das alte Ausstellungskonzept überholt. Nicht die gloriose Geschichte des Königreichs Benin und seiner Kunst wird nun erzählt, sondern die Restitutionsgeschichte. Das tonnenschwere Podest, auf dem die Köpfe wie auf einem Altar präsentiert werden sollten, ließ sich nicht mehr umbauen, aber dank viel weißer Farbe und grellem Licht sind die Objekte dort nun - durchaus passend - aufgestellt wie beschlagnahmte Hehlerware bei einer Pressekonferenz des Zolls.

Statt der erwarteten vier Millionen Menschen sind im ersten Jahr nur 1,5 Millionen gekommen

Man sieht dem Saal die Eile an. Dennoch ist er einer der ganz wenigen, die nicht erfüllt sind von Ratlosigkeit und Verzagtheit. Hier wird die Geschichte des Throns erzählt, den Oba Akenzua II. 1935 von den Deutschen zurückforderte. (Er bekam eine Kopie, für deren Anfertigung er noch bezahlen musste.) Hier ist der Dokumentarfilm "Auch Statuen sterben" von Chris Marker und Alain Resnais zu sehen, der schon 1953 für Restitutionen warb und den Tod der Objekte in den Vitrinen beklagte. Hier sind Zeitschriften, Flyer und Merchandise vom nigerianischen Festival Festac 77 ausgestellt, einem Schlüsselereignis für die kulturelle Selbstbesinnung Afrikas. Ärgerlich ist nur das per Mehrkanalvideo inszenierte Gespräch von Aktivisten und Funktionären aus Nigeria mit deutschen Museumsleuten, in dem sich etwa Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, als Verfechter von Restitutionen gibt, obwohl er, ganz in der Tradition seiner Amtsvorgänger die Forderungen danach noch 2017 als "Sommerthema" abtat.

Eine Altargruppe mit Königinmutter, sie stammt aus dem Königreich Benin im heutigen Nigeria. (Foto: Alexander Schippel/Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Sch)

Doch der Pop-up-Saal macht auch deutlich, wie konzeptuell verloren das übrige Haus ist. Alle ethnologischen Museen befinden sich seit Längerem in einer existenziellen Krise. Je kleiner die Welt geworden ist, je häufiger uns fremde "Völker" und "Kulturen" ganz einfach als Menschen begegnen, sei es im Urlaub oder in Berlin, in Flüchtlingslagern, als Kollegen, in der Schule, desto abwegiger erscheint es, deren kulturelle Zeugnisse akribisch zu sammeln und auszustellen wie Insekten. Wenn das Humboldt-Forum eine Aufgabe hatte, dann die, aus diesem Dilemma herauszufinden. Warum zeigt es dann 50 Paar Mokassins der nordamerikanischen Ureinwohner, ohne dass daraus die geringste Einsicht zu gewinnen ist? Warum ist ein Saal achselzuckend mit "Aspekte des Islam" überschrieben, statt dort zum Beispiel eine Geschichte der Islamophobie oder des radikalen Islamismus zu erzählen? "Wir sehen die Sammlung nicht als Last, sondern als Chance", verkündete Parzinger bei der Pressekonferenz am Donnerstag - und gab damit ungewollt zu, wie schwer es ihm und seinen Mitarbeitern offenbar fällt, die tausenderlei alten Dinge mit dem "neuen Diskurs" zu vereinbaren, den er "wagen" will - in jener Zukunft, die das Humboldt-Forum nun schon seit seiner Erfindung vor 20 Jahren vor sich herschiebt.

Dass diese Diskurse hier nicht stattfinden, dass Parzinger erst auf der Pressekonferenz einzufallen scheint, dass man hier auch "Migration, Hungerkrisen, Klimawandel" verhandeln könnte, dürfte einer der Gründe dafür sein, dass das erste Jahr des Humboldt- Forums alles andere als "erfolgreich" war, wie Generalintendant Hartmut Dorgerloh schwärmt. Statt der erwarteten vier Millionen Menschen sind nur 1,5 Millionen gekommen, lediglich 820 000 haben die Ausstellungen gesehen. Die Veranstaltungen blieben ohne Echo. Nicht wenigen Künstlern und Wissenschaftlern ist es peinlich, hier aufzutreten.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth nannte das Humboldt-Forum eine "Baustelle", so wie es Frank- Walter Steinmeier vor einem Jahr tat

Nur selten gelingt den Ausstellungsmachern mehr als die sachkundige Akkumulation von Bedeutendem und Typischem. Der Saal mit der Sammlung von Francis La Flesche ist ein Beispiel, der im Reservat der Umoho in Nebraska geboren wurde, sowohl Ethnologe als auch Indigener war und Ende des 19. Jahrhunderts 60 Objekte seiner Kultur an das Berliner Museum verkaufte. Seine Nachfahren in Nebraska, die hier auch zu Wort kommen, wussten nichts mehr davon.

Viele der Exponate brauchen auch gar kein Konzept, so faszinierend sind sie: Die Höhle der ringtragenden Tauben etwa, das riesige Stoffbild "Lienzo Seler", die zu den spektakulärsten Stücken des alten Dahlemer Museums gehörten, oder ein kleines "Zauberhaus" aus Palau, das bisher noch nie ausgestellt war. Doch die Summe ist hier kleiner als ihre Teile. Die Richtungslosigkeit des ganzen Unternehmens reduziert auch die Wirkung der großartigsten Objekte.

Das hat auch mit der Architektur zu tun. Wie sehr die Schlossfassade dem Projekt im Weg steht, wurde oft geschrieben. Immer deutlicher wird aber auch, wie misslungen die Ausstellungsarchitektur ist. So unentschlossen wie in den letzten Jahren die Ausstellungsmacher stehen die klotzigen Vitrinen in den grauen Sälen herum, viel zu schwer und viel zu teuer. Es gibt Säle, die einem den Rücken zuzuwenden scheinen, und solche, in denen die Kunst völlig in der Infrastruktur verschwindet. Manche Säle enthalten genügend Exponate für eine anspruchsvolle Museumsausstellung, ergänzt durch ein Gewitter aus Wandtexten, interaktiven Screens, Videos und QR-Codes für noch mehr Infos. In einem anderen verlieren sich fünf historische Fotos von der Seidenstraße. Warum? Man weiß es nicht. Kulturstaatsministerin Claudia Roth nannte das Humboldt-Forum eine "Baustelle", so wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einem Jahr tat. Doch ewiges Werden ersetzt kein Konzept.

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