Im Kino: "Home" von Franka Potente:Auf dem Skateboard durch die Wüste

Lesezeit: 3 min

Marvin (Jake McLaughlin) hat einen Mord begangen, aber Delta (Aisling Franciosi) wird ihm verzeihen - Szene aus "Home". (Foto: Weltkino)

"Home" von Regisseurin Franka Potente: Ein Spielfilmdebüt, das durch und durch amerikanisch sein will. Was auch (fast) gelingt.

Von Tobias Kniebe

Da erzählt also jemand von einem amerikanischen Mörder, der nach Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird und in sein Heimatkaff zurückkehrt, wo eine todkranke Mutter und eine Menge Hass auf ihn warten. Die Stadt und ihre Menschen kämpfen mit sehr amerikanischen Problemen, darunter der Sucht nach Opiaten. Die Suche nach Vergebung führt schließlich in die Kirche, zu einer sehr amerikanischen Religiosität. Alle, die mitspielen, sind Amerikaner, außer einer Irin, die aber erfolgreich so tut, als sei sie ebenfalls Amerikanerin.

"Home" könnte ein durch und durch amerikanischer Film sein. Sogar in der großen Tradition des amerikanischen, hyperrealistischen Independent-Kinos. Diese Tradition verlangt zum Beispiel, dass drogensüchtige Figuren wirklich fast wandelnde Skelette sind, einen wohlgenährten Drogensüchtigen wird man in solchen Filmen nicht finden. Sodann muss jedes graue Haar möglichst echt sein, jedes Tattoo überzeugen, jeder Zungenschlag in den Akzenten auf einen realen Ort verweisen. Und jede Referenz an früher sollte aus einem kollektiv verifizierbaren, wirklich gelebten amerikanischen Erfahrungsschatz stammen.

Das alles funktioniert auch. Fast. So gut jedenfalls, dass bekannte amerikanische Kinoveteranen (Kathy Bates) und aufstrebende Talente (Jake McLaughlin) sofort mitgemacht haben. Das Einzige, was nicht passt, ist die Identität der Filmemacherin: Franka Potente, Schauspielerin aus Dülmen, wurde mit "Lola rennt" berühmt und ging dann in die USA, wo sie mit Johnny Depp und Matt Damon drehte. Inzwischen hat sie einen amerikanischen Mann (er spielt das Drogenskelett und hat dafür krass abgenommen) und zwei Kinder, die nur Englisch sprechen. Sie hat diese Geschichte vollständig aus sich selbst geschöpft, das Drehbuch geschrieben und inszeniert. Eine Amerikanerin ist sie dennoch nicht. Ihren gelebten Erfahrungsschatz muss sie vortäuschen.

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Die größere Frage wäre nun, ob diese Art des Vortäuschens völlig egal ist, weil im Kino alles ohnehin ständig gefälscht wird. Oder eben nicht. "Home" ist Franka Potentes Spielfilmdebüt und kein schlechter Film. Er ist die Art von Film, zu dem man anerkennend nickt und sagt: Hätte nie gedacht, dass der von einer deutschen Regisseurin ist. Was aber eben auch heißt: Ganz schön mutig, als Debütantin so ein Spiel zu spielen. Oder noch mal anders gesagt: Muss man nicht doch ziemlich irre sein, um sich mit seinen vorgetäuschten Erfahrungen ausgerechnet in jenes Kinogenre zu wagen, in dem ein paar legendäre amerikanische Wahrheitsfanatiker schon legendäre Filme gedreht haben?

Noch lieber hätte man Szenen gesehen, die nicht nur so tun als ob

So betrachtet, stimmt im Detail dann eben doch nichts. Das fängt mit der allerersten Szene schon an. Da fährt der Held, eben aus dem Gefängnis entlassen, mit seinem Skateboard über den Highway Richtung Heimatkaff. Verlorene junge Männer auf dem Highway nach Hause hat man schon in tausend amerikanischen Filmen gesehen, auf dem Skateboard aber halt noch nicht. Na gut, denkt man sich, eine Innovation. Dann aber sagt der Mann, in welches Kaff er unterwegs ist, und eine Frau am Wegesrand sagt, sie wisse nicht, wo das ist. Und schon in dem Moment kommt man ins Grübeln.

Müssten die Menschen in einer menschenleeren Wüstengegend, wie sie der Protagonist gerade durchquert, nicht alle Käffer entlang des Highways kennen? Im Umkreis von mindestens fünfzig Meilen, wenn nicht gar hundert? Will Franka Potente mit dieser Szene also sagen, dass der Held noch einen sehr, sehr weiten Weg vor sich hat? Auf dem Skateboard? Auf total flachem Terrain? Und warum versucht er nicht wenigstens, per Anhalter ein Stück voranzukommen? Hundert Meilen Highway können sehr, sehr lang werden, wenn man nur mit eigener Kraft unterwegs ist. Wer nur mal hundert Meter auf heißem amerikanischen Asphalt entlanggestolpert ist, wird die Hauptfigur in diesem Augenblick für verrückt halten.

Vielleicht ist das ja eine bewusste Irritation mit dem Ziel, ein paar Dinge einfach anders zu machen. Anders als all die großen Filme des hyperrealistischen Independent-Kinos zuvor, mit denen Franka Potente natürlich auch aufgewachsen ist. Vielleicht wollte die Regisseurin aber auch gar nichts damit sagen, das Kaff ist nur noch eine Meile entfernt, und die Unkenntnis der Frau am Wegesrand ist bedeutungslos. Der Punkt ist: Jemand, der wirklich aus einer solchen Gegend stammt, hätte die Szene wahrscheinlich so geschrieben, dass man nicht sinnlos ins Grübeln kommt.

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So gern man bei "Home" zuschaut, weil die Schauspieler alle sehr gut sind und die Filmemacherin wirklich etwas erzählen will - hundertmal lieber hätte man Szenen gesehen, die eben nicht nur so tun als ob. Die von einem spezifischen, gänzlich unvorgetäuschten Gefühl handeln, das Franka Potente nun wirklich kennt. Es wäre das Gefühl, fast vollständig in der Sprache und Kultur Amerikas aufgegangen zu sein und doch mit einem Blick auf der Land zu schauen, der von Fremdheit handelt und fremd bleiben muss. Und dabei Dinge sieht, die echte Amerikaner eben nicht mehr sehen. Was braucht man dafür? Nicht viel: eine Kindheit abseits der Highways, weit weg von Mainstreet USA. Sagen wir, in Dülmen.

Home , D/NL 2020 - Regie und Buch: Franka Potente. Kamera: Frank Griebe. Schnitt: Antje Zynga. Mit Jake McLaughlin, Kathy Bates, Aisling Franciosi, Derek Richardson, James Jordan, Lil Rel Howery. Weltkino Filmverleih, 100 Minuten.

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