Die Aufpasserin in Kenwood House ist ziemlich mit den Nerven fertig: "Nein, nein, nein! Da können Sie sich nicht hinsetzen!", herrscht sie einen Kameramann an, der es sich gerade auf einem seidenbezogenen Rokoko-Sofa bequem machen will. Den ganzen Tag sind Fernseh-Crews und Journalisten im abgedunkelten Salon von Kenwood House ein und aus gegangen. Dass viele von ihnen nicht wissen, wie man sich in einem denkmalgeschützten Gebäude verhält, kann man ihnen aber vielleicht nachsehen. Die historische Umgebung eines georgianischen Herrenhauses bildet ja eher selten die Kulisse für Interviews.
Aber nicht der schöne Blick auf Hampstead Heath hat die Macher von "Dido Elizabeth Belle" dazu bewogen, die Presse in den noblen Norden Londons zu laden - das frisch renovierte Stately Home inmitten eines weitläufigen Parks war nämlich Drehort für Amma Assantes Historienfilm, um den es hier geht. Und dann hat den Anstoß zu dieser Geschichte auch noch ein Gemälde geben, das hier entstanden ist und auch lange in Kenwood House hing.
Ein Doppelporträt von Dido Elizabeth Belle und Lady Elizabeth Murray, es wurde lange dem deutschen Maler Johann Zoffany zugeschrieben. Auch wenn diese Herkunft heute angezweifelt wird, eindrucksvoll ist dieses Gemälde auf jeden Fall: zwei junge Damen in der Parklandschaft vor Kenwood; in der Ferne leuchtet die Kuppel von St. Paul's Cathedral. So weit, so konventionell. Was das Bild von zahllosen ähnlichen Porträts unterscheidet, ist die Tatsache, dass das Mädchen links im Bild dunkler Hautfarbe ist.
Eine versteckte Anspielung auf Hindu-Gott Krishna?
Die Darstellung von Schwarzen war in der Kunst des 18. Jahrhunderts zwar nichts Ungewöhnliches, normalerweise kam ihnen jedoch die Rolle des Bediensteten zu. Die beiden Frauen in dem Gemälde, das heute in Scone Palace im schottischen Perth hängt, scheinen gleichberechtigt nebeneinander zu stehen. Der ausgestreckte Arm der Weißen im rosafarbenen Kleid kann leicht als Zuneigungsbekundung interpretiert werden. Der an die Wange gelegte Finger ihrer Begleiterin ist schwerer zu entziffern. Die Geste sieht man auch auf zeitgenössischen Fotos von Schauspielerinnen. Ist es hier, wie eine Interpretation vorschlägt, eine versteckte Anspielung auf die Hindu-Gottheit Krishna? Oder weist sie vielleicht einfach lächelnd auf das hin, was doch niemand übersehen kann, ihre Hautfarbe?
Allzu viel ist nicht bekannt über die Dargestellte: Dido Elizabeth Belle war die illegitime Tochter von Sir John Lindsay, einem Kapitän der Royal Navy. Didos Mutter, Maria Belle, stammte aus Afrika und war wahrscheinlich eine freigelassene Sklavin. Sie hatte sich auf einem spanischen Schiff befunden, das Lindsay in der Karibik kaperte. Dido wurde 1761 geboren, bereits als Kind nach England geschickt, und wuchs in der Familie von Lindsays kinderlosem Onkel William Murray, dem ersten Earl of Mansfield, in Kenwood House auf. Ihre verwaiste Cousine und Porträtgefährtin Lady Elizabeth Murray wurde ebenfalls von den Mansfields aufgenommen.
Als sie das Gemälde während ihres Studiums in Schottland zum ersten Mal gesehen habe, sei sie völlig verblüfft gewesen, sagt die nigerianische Drehbuchautorin Misan Sagay beim Gespräch in Kenwood House: "In so einer Umgebung war ich schwarze Gesichter einfach nicht gewohnt." Damals sei sie noch nicht an Informationen über die Frau auf dem Bild herangekommen.
Als sie 2004 nach Perth zurückkehrte, begann sie, selbst Forschungen zu Dido anzustellen. "Dann wurde mir die Verbindung zu Lord Mansfield klar. Er hatte ein wegweisendes Urteil zur Behandlung von Sklaven gefällt, das heute als erster Schritt zur Abschaffung der Sklaverei gilt. Für mich begann sich eine Art schwarzer Jane-Austen-Geschichte zu entwickeln", so Sagay. "Ich sah die Chance, durch ein Kostümdrama die Rassenfrage im England des 18. Jahrhunderts anzusprechen."
Es habe auch zu Didos Zeit schon viele Schwarze als Bedienstete in London gegeben, sagt Sagay. "Aber Dido Elizabeth Belle war, und damit kann ich mich aufgrund meiner Jugenderfahrungen in Großbritannien gut identifizieren, eine Kuriosität innerhalb der Gesellschaft, in der sie sich bewegte." Tatsächlich hatte Dido anscheinend einen seltsamen Zwischenstatus in ihrer Familie inne. Als eine Art besserer Zofe für ihre Cousine Elizabeth aufgenommen, wurde sie im Laufe der Jahre mehr und mehr deren annähernd gleichgestellte Freundin. Darf man den Berichten von Gästen der Mansfields glauben, kümmerte Dido sich unter anderem um das Geflügel und die Molkerei auf Kenwood House.
In Wirklichkeit heiratete Dido einen französischen Hausdiener
Manchmal wurde sie zu offiziellen Dinners hinzugebeten, manchmal stieß sie erst beim anschließenden Beisammensein hinzu. Francis Hutchinson, ein Amerikaner, berichtet von einer Einladung nach Kenwood: "Eine Schwarze kam nach dem Dinner herein, saß bei den Damen und ging nach dem Kaffee mit der Gesellschaft in den Gärten spazieren, wobei eine der jungen Damen sie untergehakt hatte." Lord Mansfield, so Hutchinson weiter, sei in der Gesellschaft "dafür kritisiert worden, dass er ihr Zuneigung gezeigt habe".
Darüber, ob Richter Mansfields Urteil im Prozess um verdurstete Sklaven tatsächlich, wie im Film suggeriert, von seiner schwarzen Nichte beeinflusst wurde, kann man nur spekulieren. Misan Sagay räumt ein, dass diese Sichtweise von ihr stammt: "Ich wollte Dido als aktive Teilnehmerin der Geschichte zeigen, als schwarze Frau, die zu einer Zeit auf historische Ereignisse Einfluss nimmt, zu der eigentlich nur Weiße dazu in der Lage waren." Nach neueren Erkenntnissen war Mansfield keineswegs ein Abolitionist, sondern darauf bedacht, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse nicht über Gebühr ins Wanken zu bringen.
Das sollte jedoch nicht von der Tatsache ablenken, dass es für einen Adligen im 18. Jahrhundert überaus ungewöhnlich war, das illegitime, gemischrassige Kind eines Verwandten nicht nur aufzunehmen, sondern allem Anschein nach als fast gleichwertiges Familienmitglied zu behandeln. Nach Lord Mansfields Tod im Jahre 1793 heiratete Dido John Davinier, einen französischen Hausdiener - und nicht, wie im Film, einen englischen Pfarrersohn und Anwalt.
"Oberflächlich betrachtet, ist unser Film optisch und narrativ sehr konventionell", sagt Misan Sagay. "Aber allein dadurch, dass eine schwarze Frau in seinem Zentrum steht, stellt er viele Sehgewohnheiten auf den Kopf." Und das vor allem hat er mit jenem Gemälde gemein, ohne das es ihn nie gegeben hätte.