Hip-Hop:Kampfgeist

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Straßenattitüde plus theoretischer Überbau: Disarstar. (Foto: Maximilian König)

Der Hamburger Disarstar rappt gegen kapitalistische Trostlosigkeit und die AfD an. In der Milla stellt er sein Album "Bohemien" vor

Von Linus Freymark

Rapper protzen normalerweise. Eine Rolex am Handgelenk, die aufgepumpten Muskeln nur notdürftig in ein viel zu enges Designerunterhemd gequetscht, dazu ein paar provokant-dämliche Texte über den eigenen Testosteronüberschuss. Ein großer Bizeps ist manchmal wichtiger als Inhalte. Selbstreflexion? Politik? Autos und Bitches, Digga! Schade eigentlich, denn welche Aussagekraft deutschsprachiger Hip-Hop haben kann, zeigt gerade ein 25-Jähriger mit einem auch für die Szene beachtlichen Oberarm und einer noch viel verblüffenderen lyrischen Begabung und Ausdrucksstärke. Der Hamburger Disarstar, ein rappender Antifaschist mit ausrasiertem Nacken und traurigen Knopfaugen, der seine Kapitalismuskritik problemlos mit Marx und Hegel begründen kann und gleichzeitig die Straßenattitüde hat, durch die er mit seinen Überzeugungen ein Publikum erreicht, um das sich Peter Altmaier und Andrea Nahles bisher vergeblich bemüht haben.

Auch Disarstar hat eine eines Rappers würdige Vergangenheit, Alkohol, Drogen, Gewalt. Aber anstatt sie zu glorifizieren, hinterfragt er sie. Aus seinen Texten spricht ein junger Mensch auf der Suche nach sich selbst, hineingeboren in eine Generation, der die Welt offen steht und die deshalb vom Leben nur enttäuscht werden kann und Gefahr läuft, vom Hamsterrad der Arbeitswelt überrollt zu werden. Disarstar schafft es, dieses Dilemma einer ganzen Generation in den 3,21 Minuten von "Hoffnung und Melancholie" unterzubringen, einem der zehn Tracks seines dritten Studioalbums "Bohemien", das er im Rahmen seiner Tour in der Milla präsentiert, ein - vergleicht man ihn mit den kämpferischen Anti-System-Tiraden auf der Platte - erstaunlich gefühlvoller Song. Disarstar kann beides, mal verletzlich und nachdenklich, mal kompromiss- und gnadenlos, aber immer voller Witz und Wortspiele. "Alice im Wunderland" etwa ist eine bissig-ironische Abrechnung mit der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel. "Lass das mit der Festung Europa / Geh doch wieder ins Büro zu Goldman Sachs und spiel Poker", wird da der früheren Investmentbankerin mit schneidender Stimme auf düster rollendem Beat nahegelegt.

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Rap und Links - was zunächst danach klingt, als hätte sich da einer bei der Wahl des Musikgenres vertan, ergibt bei Gerrit Falius, so Disarstars bürgerlicher Name, gerade wegen der Widersprüche, die sein Leben und seinen Charakter bestimmen, das herrlich stimmige Bild eines jungen Menschen, der in einer Welt voller Gegensätze lebt. Unermesslicher Reichtum hier, unendliche Armut dort, hervorgerufen durch ein Wirtschaftssystem, dessen erbarmungslose Ungerechtigkeit Disarstar zuweilen verzweifeln lässt und das ihn mitunter frustrierter klingen lässt, als man es von einem 25-Jährigen erwarten würde. "Am Ende des Tages ist alles okay", konstatiert Disarstar trotz allem auf dem letzten Track von Bohemien - nur um diese Feststellung Sekunden später als gesellschaftsfähige Falschaussage zu entlarven: "Wir lügen, wenn man uns fragt, wie es uns geht." Wie gut, dass aus anderen Songs der Kampfgeist spricht. So gibt Disarstar einem das Gefühl, dass zwar einiges schief läuft in unserer Welt, aber dass man etwas dagegen tun kann. Eine aufrüttelnde Botschaft in Zeiten einer in Teilen der Gesellschaft weit verbreiteten Politikverdrossenheit - deutscher Hip-Hop kann ja doch.

Disarstar , Freitag, 8. März, 20 Uhr, Milla

© SZ vom 08.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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