Neue Kunstschau:Verbotene Zonen

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Die erste Helsinki Biennial findet auf einer alten Festungsinsel statt. Eine charmante Idee - wären viele Werke nicht in dunklen Bunkern versteckt.

Von Nicolas Freund

Wenn auf einer Kunstschau von irgendwoher komische Geräusche kommen - wildes Geschrei, Flugzeuge im Sturzflug, Schusssalven - würde sich normalerweise niemand etwas denken. Um die nächste Ecke wird sich schon klären, zu welchem Kunstwerk die Tonkulisse gehört. Auf Vallisaari, einer Insel vor Helsinki, ist das anders. Zwanzig Minuten Bootsfahrt vom Hafen der finnischen Hauptstadt entfernt, findet hier die erste Helsinki Biennial statt, eine neue Kunstausstellung, die, wie der Name schon suggeriert, fortan alle zwei Jahre abgehalten werden soll.

Die Festungsinsel Suomenlinna, eine Touristenattraktion, ist in Sichtweite, und auch Vallisaari wurde jahrhundertelang militärisch genutzt, ist aber längst nicht so schick hergerichtet wie die Nachbarinsel und war bis vor wenigen Jahren sogar noch gar nicht öffentlich zugänglich. Vallisaari sieht ungefähr so aus wie die verbotene Zone in Andrej Tarkowskis Film "Stalker": Zwischen verfallenden Hütten und Befestigungen rostet Schrott vor sich hin, fast genau in der Mitte der Insel liegt ein kleiner See, in dem Baden aber streng verboten ist: Der Grund ist voller Schrott, Wracks und möglicherweise nicht detonierter Bomben, die erst noch geborgen werden müssen. Auch andere Teile der Insel sind gesperrt, angeblich ebenfalls wegen vergrabener Munitionsreste. Man bleibt besser auf den Wegen.

Wenn dann also an einem nebligen Tag auf dieser Insel Kriegsgeräusche durch den dichten finnischen Urwald hallen, hat das eine andere Wirkung als, sagen wir, in den Giardini auf der Kunstbiennale in Venedig. Trotz des fortgeschrittenen Verfalls der Befestigungen scheint der Krieg auf dieser Insel noch fast eine reale Möglichkeit zu sein, und mit eben diesem Gefühl spielen gleich mehrere der Künstler, die hier ihre Werke zeigen. Die martialischen Klänge gehören zu der 28 Minuten langen Soundinstallation "Forest (for a thousand years ...)" von Janet Cardiff, Bures Miller und Arvo Pärt. Vogelgezwitscher, Kampfgeräusche und sphärische Gesänge sollen vorführen, welchen Klängen der Wald während seiner langen Existenz ausgesetzt war. Dass der Wald auf der Insel gar nicht so alt ist und viele der Pflanzen von den Russen eingeschleppt wurden, muss man übersehen, denn an einem anderen Ort würde die Installation wohl kaum so gut funktionieren.

Die in den Kellern ausgestellte Kunst weckt martialische Assoziationen. Besucher fühlen sich wie in einer Geisterbahn

Viele der Künstler versuchen, die martialische Geschichte der Insel aufzugreifen. Maaria Wirkkala zeigt in dem ehemaligen Pulverdepot der sogenannten Alexanderbatterie im Süden der Insel eine Lichtinstallation mit Glasscherben und den großen Schilden, die Polizisten vor allem in autokratischen Staaten so gerne gegen Demonstranten verwenden. Viele der ausgestellten Künstler bleiben bei solchen rohen Assoziationen, die im Gegensatz zu den Ausstellungsräumen aber einen weiten Raum öffnen. Denn obwohl der Vergleich mit dem Arsenale in Venedig naheliegt, sind die alten Bunker und Depots auf Vallisaari kein Vergleich mit den riesigen Werften in der Lagunenstadt. Unter der Alexanderbatterie wird alles zur Geisterbahn, viele der Werke kommen nur schlecht zu Geltung, und mancher Besucher hat bald keine Lust mehr, in einen vierten oder fünften Backsteinkeller zu klettern.

Wesentlich besser funktionieren die Werke im Freien. Tadashi Kawamata hat auf einem Bunkereingang, der zu einem Netzwerk von Tunneln im Inneren der Insel führen soll, einen Leuchtturm aus Holzresten errichtet, der mit Solarenergie betrieben wird. Neben der Militärgeschichte sind es die Themen Anfang und Ende, mit denen die Künstler die Insel bespielen. So macht Teemu Lehmusruusu in einer faszinierenden Soundinstallation den Verfall von Holz akustisch wahrnehmbar (es klingt wie ein Hubschrauber).

Das Highlight der Biennial ist die Insel Vallisaari selbst, mit ihren von Natur überwucherten Resten der einstigen menschlichen Besatzung. Am schönsten und souveränsten greift diesen Assoziationsraum Alicja Kwade auf. Sie hat an den felsigen Ufern gleich zwei ihrer Werke platziert: Gegenüber von Suomenlinna liegen wie zufällig hingeworfen acht glatt polierte Steinkugeln. Sie sollen eigentlich die Planeten unseres Sonnensystems darstellen, ragen aber in ihrer offensichtlichen Gemachtheit wie die Festungsanlagen aus der sie umgebenden Natur heraus - allerdings mit einem völlig anderen Zweck. Kwade stellt der Beherrschung der Natur durch den Menschen die Schaffung von Schönheit gegenüber.

Ihr zweites Werk besteht aus zwei Felsbrocken, einer unbearbeitet, einer eine metallische Kopie, die von einer spiegelnden Scheibe getrennt werden. Von beiden Seiten denkt der Betrachter, den Stein auf der anderen Seite sehen zu können. Eine Täuschung: Auch wenn es anders wirkt, sichtbar ist nur die eigene Seite. Gibt es eine bessere Metapher für die Debatten der Gegenwart?

Obwohl die Anlagen auf Vallisaari für Ausstellungen nur bedingt geeignet sind, ist der Möglichkeitsraum, den die Insel den Künstlern gibt, ziemlich beispiellos. Es wäre spannend, die Schau in den nächsten Ausgaben noch mehr in die Stadt hinein zu öffnen, mit zwei, drei einzelnen Werken ist das schon geschehen. Zum einen sind sich Finnland, Russland und Schweden in Helsinki sehr nah, zum anderen fanden dort Romantik und Moderne fast gleichzeitig statt - was noch heute das Stadtbild prägt. Eine Auseinandersetzung mit dieser Kulturen- und Epochenmischung könnte vielversprechend sein.

Helsinki Biennial, Vallisaari, Eintritt frei (8,40 Euro für die Fähre), helsinkibienaali.fi , noch bis 26.9.

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