Held des Oscar-Films "Saving Face":Gesicht gewahrt

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Er ist die Hauptfigur des Oscar-gekrönten Films "Saving Face": Der aus Pakistan stammende Arzt Mohammad Jawad kümmert sich in seinem Heimatland um die Opfer von Säureattentaten. Er sagt: "Die Frauen sind die wahren Heldinnen" - und hofft, das nun ein Umdenken in der konservativen pakistanischen Gesellschaft einsetzt.

Tobias Matern, Neu-Delhi

Als er von den Verbrechen hörte, wusste Mohammad Jawad sofort: "Ich muss etwas dagegen tun." Der plastische Chirurg machte sich aus der glamourösen Wahlheimat London zurück auf den Weg in sein Geburtsland Pakistan, suchte Kontakt zu den Opfern und begann mit der Mission "Saving Face" - "Das Gesicht retten" oder "Das Gesicht wahren" ist der mehrdeutige Titel einer nur 40 Minuten langen, aber überaus packenden Reportage, die den 53-jährigen Arzt Jawad auf seinen Reisen begleitet. Die pakistanisch-kanadische Filmemacherin Sharmeen Obaid-Chinoy und ihr amerikanischer Kollege Daniel Junge haben dafür in der Sparte Kurz-Dokumentation soeben den Oscar bekommen.

Im Rampenlicht: Doktor Mohammad Jawad (Mitte) mit den Filmemachern Sharmeen Obaid-Chinoy (links) und Daniel Junge (rechts) auf dem roten Teppich der Oscar-Verleihung in Los Angeles. (Foto: AP)

"Saving Face" zeigt Jawad, wenn er Frauen wie Zakia behandelt. Die inzwischen 39-Jährige wollte sich vor einigen Jahren von ihrem Mann scheiden lassen. In seiner rasenden Wut kippte er ihr eine hochätzende Säure ins Gesicht. Zakias Gesicht wurde entstellt, sie verlor ein Auge. "Es hat nur eine Sekunde gedauert, um mein Leben zu ruinieren", sagt sie dazu im Film. Nach Jawads Eingriffen hat sie neuen Mut geschöpft.

Zakias Schicksal ist kein Einzelfall. Jährlich gibt es in Pakistan nach Angaben der "Acid Survivor Foundation" (ASF), die sich um die Opfer solcher unmenschlichen Attacken kümmert, mindestens 200 dokumentierte Säureangriffe. Die echte Zahl dürfte deutlich höher liegen, sagt ASF-Chefin Valerie Khan. Denn längst nicht alle Frauen trauen sich, ihr Schicksal offenzulegen, aus Angst vor weiteren Repressionen. Die Täter stammen oft aus der eigenen Familie.

"Ich habe erst durch die Opfer gelernt, was wahre Tapferkeit bedeutet", sagt Jawad. In vielen Fällen müssen die Frauen nicht nur mit den höllischen Schmerzen, sondern auch dem gesellschaftlichen Stigma leben, für angeblich unangemessenes Verhalten die gerechte Strafe erhalten zu haben. Auch dagegen kämpfen der Film und Jawad an. "Die Frauen, die sich für Saving Face getraut haben, an die Öffentlichkeit zu gehen, sind wahre Heldinnen", sagt der Arzt.

Für den Arzt ist die ehrenamtliche Arbeit auch der Versuch, seinem Heimatland "etwas zurückzugeben", wie er es ausdrückt. Ende der 1980er Jahre hatte er Pakistan nach seiner medizinischen Ausbildung verlassen, verbrachte Zeit in Irland und machte schließlich in Großbritannien Karriere. Als die britische Moderatorin Katie Piper im Auftrag eines eifersüchtigen Ex-Freundes Opfer eines Säure-Attentäters wurde, operierte Jawad sie mehr als 100 Mal, um ihr Gesicht wiederherzustellen. Der Sender Channel 4 hielt den Kampf des ehemaligen Models in einem Dokumentarfilm fest. Jawad erfuhr davon, wie weit verbreitet Säureangriffe in seinem Heimatland ist - und begab sich auf die Reise.

Saving Face" ist in Pakistan nun das große Gesprächsthema. Die Medien berichten voller Stolz vom allerersten Oscar für eine pakistanische Filmemacherin. Und sie loben Jawad, der sein Ursprungsland nicht im Stich gelassen habe. Premierminister Jusuf Raza Gilani will Sharmeen Obaid-Chinoy mit einem zivilen Orden auszeichnen. Aber Stolz und Scham liegen in diesem Fall dicht beieinander. Es sei bedauerlich, befand die Zeitung Dawn, "dass ein so demütigendes Thema Pakistan den ersten Oscar beschert". Ein anderes Blatt argumentierte, auch wenn die Auszeichnung an sich Anlass zum Feiern biete - "das Thema des Films spiegelt eine nationale Schande wider".

Tatsächlich legt "Saving Face" den Finger in eine Wunde, die in der pakistanischen Gesellschaft bislang wenig Aufmerksamkeit erhalten hat: Gewalt gegen Frauen. "Es ist ein historischer Moment", sagt die Aktivistin Valerie Khan von der "Acid Survivor Foundation". Das Land beweise plötzlich Mut. Auch aus Afghanistan, Iran, Indien, Kolumbien, Südafrika und anderen Ländern kämen nun Anfragen von Menschenrechtsgruppen, die sich für Säureopfer einsetzen. Pakistan könne in diesem Bereich zum Vorbild werden, sagt Khan. Auch wenn noch ein weiter Weg zu gehen sei.

Der Arzt Jawad hofft denn auch, der Erfolg von "Saving Face" werde zu einem Umdenken in der konservativ geprägten Gesellschaft führen. "Wir dürfen das Problem nicht unter den Teppich kehren, nur weil es nicht gut aussehen lässt", sagt er. Der Staat müsse die Frauen in die Lage versetzen, sich gegen ihre Peiniger zu wehren. Zwar ist bereits kurz vor dem Oscar-Triumph in Pakistan ein Gesetz auf den Weg gebracht worden, dass es ermöglicht, Attentäter nach Säureangriffen hart zu bestrafen. Doch an Gesetzen mangelt es in dem Land nicht. Dafür an der Umsetzung.

© SZ vom 02.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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