"Hannah Arendt" im Kino:Gedanken im Brennspiegel

Lesezeit: 3 Min.

Sie prägte das Wort von der "Banalität des Bösen": Hannah Arendt, im gleichnamigen Film gespielt von Barbara Sukowa. (Foto: dpa)

Der Dialog ist die Action: Margarethe von Trottas neuer Film "Hannah Arendt" mit Barbara Sukowa ist wortlastig - und trotzdem dramatisch. Einwände, die man immer wieder vorbringen möchte, verflüchtigen sich.

Von Rainer Gansera

Hannah Arendt war eine der großen Frauen dieses Jahrhunderts: die Tochter hochgebildeter deutsch-jüdischer Eltern; Erbin einer langen geistigen und ästhetischen Tradition, die zurückgeht bis auf die Griechen; Beobachter und Schilderer ihrer modernen Auflösung . . . eine magnetisch schöne Frau." So beginnt 1976, ein Jahr nach Hannah Arendts Tod, der Philosoph Hans Jonas sein Portrait der noch heute maßgeblichen politischen Theoretikerin, die das Wort von der "Banalität des Bösen" prägte. Philosophie studierend lernten sich Jonas und Arendt 1924 in Marburg kennen, in Martin Heideggers Seminaren. Ihre Freundschaft bewährte sich jahrzehntelang und zerbrach jäh im Streit um Arendts Bericht vom Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem.

Margarethe von Trottas knapp zweistündiges Biopic konzentriert sich auf dieJahre um 1961, als dieser Bericht publiziert wurde - zuerst als Artikelserie im New Yorker, dann als Buch - und sogleich einen Sturm entrüsteter, feindseliger Reaktionen auslöste: persönliche Diffamierungen der als "inkompetent" hingestellten Autorin, Morddrohungen, Hetzkampagnen jüdischer Organisationen, aber auch, was sie tief verletzte, die Abwendung enger Freunde wie Kurt Blumenfeld und Jonas. Im öffentlichen Wirken Hannah Arendts sicherlich das dramatischste Ereignis.

Im Œuvre Margarethe von Trottas ist "Hannah Arendt" das packendste Frauenportrait. Sowohl Person wie Denken werden gleichermaßen sichtbar gemacht: Faszination einer Denkerin, die unbeirrbar an ihren Wahrnehmungen und Erfahrungen festhält, um sie im Bild einer von Terror und totalitärer Herrschaft charakterisierten Epoche zu deuten. Wenn Margarethe von Trotta sagt: "Und wieder hat mich die Frau interessiert, die sich hinter der unabhängigen Denkerin verbirgt", muss man ihr widersprechen, was das Verbergen betrifft: "Hannah Arendt" kann so bewegend gelingen, weil sich die Frau rückhaltlos in der Denkerin offenbart.

Ein Pathos, das Arendt ausdrücklich mied

Das Portrait überzeugt und ergreift, obwohl man immer wieder Einwände gegen die mise en scène vorbringen möchte: gegen den bisweilen hölzernen Didaktik-Stil, gegen eine Kombination von Archivaufnahmen vom Eichmann-Prozess und arrangierten Spielszenen, die das Inszenierte kraftlos erscheinen lassen muss. Es irritiert, dass Barbara Sukowa in der Titelrolle keine äußere Ähnlichkeit mit Hannah Arendt hat, und irritierender noch ist es, dass Frau Sukowa in bedeutsamen Momenten ein deklamatorisches Pathos pflegt, das Hannah Arendt ausdrücklich mied.

Oder Heidegger (Klaus Pohl): Warum muss er so blass und beinahe karikaturhaft gezeichnet werden? Wenn in Rückblenden die leidenschaftliche Affäre zwischen der Studentin und ihrem siebzehn Jahre älteren, verheirateten titulierten Professor erinnert wird, lässt Margarethe von Trotta eine Diskretion walten, die zuerst löblich erscheint, die dann aber die Figur Heideggers derart ausdünnt, dass er - als Denker wie als Liebhaber - jegliche Anziehungskraft vermissen lässt.

Die Erzählung setzt ein, wenn Hannah (Barbara Sukowa) und ihr Ehemann Heinrich Blücher (Axel Milberg) aus Zeitungsberichten erfahren, dass Adolf Eichmann - er war als SS-Obersturmbannführer im NS-Vernichtungsapparat einer der Hauptorganisatoren der Juden-Deportationen - vom israelischen Geheimdienst in Argentinien aufgespürt und gekidnappt wurde, um in Jerusalem vor ein Gericht gestellt zu werden. Im Freundeskreis, den Hannah und Heinrich in ihrem New Yorker Appartement um sich versammeln, wird die Sache heiß diskutiert. Heinrich meint, dass Eichmann eigentlich vor einen internationalen Gerichtshof gestellt werden müsste. Heftige Diskussionen in einem Intellektuellen-Zirkel, zu dem auch die Schriftstellerin Mary McCarthy (Janet McTeer) und Hans Jonas (Ulrich Noethen) gehören.

Hannah will sich vom New Yorker als Berichterstatterin zum Prozess schicken lassen, der Chefredakteur schickte die renommierte Universitätslehrerin also nach Jerusalem, es kommt zum Besuch beim väterlichen Freund Kurt Blumenfeld (Michael Degen), und beim Prozess zu diesem Erstaunen, dass der Angeklagte keine Verkörperung des dämonischen Bösen, sondern die einer "erschreckend normalen" Bürokratenmentalität ist. Es folgen die zweijährige Arbeit am Bericht und der Proteststurm.

Einwände verflüchtigen sich

Vor allem gegen drei Vorwürfe muss sich Hannah verteidigen: dass man ihre Wendung von der "Banalität des Bösen" als Verharmlosung der Verbrechen auffassen könne; dass ihre Kritik an den Vorgehensweisen jüdischer Gremien als skandalöse Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses erscheine; und dass ihr sarkastischer Tonfallvon einem Mangel an Mitgefühl mit den Opfern zeuge. In spannenden Diskursen wird das verhandelt.

Kurzkritiken zu den Kinostarts der Woche
:Schluss, aus, vorbei

Was ist Liebe? Matthias Schweighöfer weiß vor allem, wie man sie beendet. Diese Kinowoche bietet zudem noch ganz großes Kino von Jacques Audiard und Porträts starker Persönlichkeiten.

Rezensionen ausgewählter Filme. Von den SZ-Kritikern.

Es wird also viel geredet, diskutiert, gestritten, in Seminarrunden vorgetragen. Truffaut verteidigte Rohmers "Moralische Erzählungen" einst gegen den Vorwurf der Wortlastigkeit mit dem Argument, bei Rohmer sei eben der Dialog die Action. Genau das gilt hier. Einwände gegen Trottas didaktischen Inszenierstil verflüchtigen sich angesichts der klug komponierten Wortgefechte.

"Hannah Arendt" entfaltet ein Drama im Widerstreit der Ideen, Showdown inklusive - die sechsminütige Szene einer Vorlesung, in der Hannah ihr Anliegen wie in einem Brennspiegel konzentriert vorträgt. Brillante Verteidigungsrede, Ovationen der Studenten. Als der Saal sich leert, entdeckt sie Hans Jonas, der ihr wieder vorwirft, sie zeige kein angemessenes Mitgefühl mit den Opfern. Er beschimpft sie, beschwört zornerregt den Fluch der Opfer auf sie herab. Es sollte viele Jahre dauern, bis sich die Freundschaft zwischen Hans und Hannah wieder einrenken ließ.

Hannah Arendt, D/F/Luxemburg/USA/Israel/F 2012 - Regie: Margarethe von Trotta. Buch: Pamela Katz, Margarethe von Trotta. Kamera: Caroline Champetier. Mit: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer . NFP, 113 Minuten.

© SZ vom 10.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: