Französischer Verlag "Hachette":Vor der Übernahme

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Bald womöglich eine Tochtergesellschaft: Das Büro des Hachette-Konzerns in Paris. (Foto: Alamy Stock Photos / Directphoto Collection/mauritius images / Alamy Stock P)

In Frankreich will der zweitgrößte Verlag den größten schlucken. Sollte das gelingen, entstünde ein neuer europäischer Gigant.

Von Joseph Hanimann

Der Hauptakteur schweigt, die Spekulationen laufen heiß, Schriftsteller warnen, die EU-Wettbewerbskommission rechnet und Frankreichs Verlagswelt verharrt starr wie vor einem angekündigten Beben. Der Unternehmer Vincent Bolloré, Inhaber des Medienkonzerns Vivendi mit der zweitgrößten französischen Verlagsgruppe Editis schickt sich an, den Konzern Lagardère, das Mutterhaus der mit 2,4 Milliarden Euro Umsatz landesweit größten und auch international tätigen Verlagsgruppe Hachette Livres, zu übernehmen. Das eingespielte Kräfteverhältnis zwischen zwei großen und drei mittelgroßen Verlagsimperien im Land wäre dahin. Es blieben ein Riese und ein paar halbwüchsige Zwerge.

Seit dem Einstieg von Vivendi bei Lagardère vor knapp zwei Jahren hat sich die Entwicklung angebahnt, noch in diesem Monat könnte sie zu einem konkreten Ergebnis führen. Zu den schon zur Editis-Gruppe gehörenden vier Dutzend Verlagen - darunter Bordas, Robert Laffont, Plon, La Découverte - kämen rund vierzig weitere hinzu, darunter angesehenen Namen wie Grasset, Fayard, Stock, Larousse.

Der meinungsstarke Konservative Vincent Bolloré gehört nicht zum Schlag der diskret sich zurückhaltenden Industriekapitäne. Als Inhaber etwa des Rundfunksenders Europe 1 und des Fernsehkanals CNews, der erheblich zur Berühmtheit des rechtsradikalen derzeitigen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour beitrug, hütet er sich zwar vor allzu direkter Einmischung. Doch hält er die Fäden fest in der Hand. Das schürt zusätzliche Beunruhigung im Hinblick auf die Vielfalt der Verlagslandschaft.

Zehn Schriftsteller verlangen öffentlich ein Vorbehaltsrecht, wie es etwa Journalisten zusteht

In der ungewissen Lage äußern sich nur wenige Literaten öffentlich. Zehn Schriftsteller, unter ihnen Pierre Jourde, Véronique Ovaldé, Noëlle Châtelet, haben sich an ihre Leser gewandt mit der Erklärung, wenn zwei Verlagsgruppen aufeinander losgingen, könnten die Autoren nicht einfach wortlos dabeistehen wie bei einem Gladiatorenschauspiel. Sie verlangen mehr Einblick in die Führungsstrategien und fordern für den Fall tiefgreifender Veränderungen in der Verlagsstruktur für Schriftsteller ein verbrieftes Vorbehaltsrecht von der Art, wie es in Frankreich neuerdings den Journalisten zusteht.

Zu den aktivsten Kämpfern gegen die erwartete Fusion von Hachette Livres und Editis gehört indessen Antoine Gallimard, Chef der drittgrößten französischen Verlagsgruppe Madrigall, zu der neben dem Haus Gallimard unter anderen auch Flammarion gehört. Die Marktdominanz eines Einzigen zerstöre die Dynamik des Wettbewerbs, erklärt er und befürchtet, dass der künftige Koloss seine internationale Entwicklungsstrategie zulasten des französischen Buchmarkts betreiben werde. Überdies beunruhigt den Gallimard-Chef auch, dass der neue Großkonzern den kompletten Zyklus von Verlags- und Vertriebsbereich, über die Medien, bis zur Werbeagentur Havas in seiner Hand hätte.

Unmut weckte in dieser Angelegenheit nicht zuletzt die Mischung aus Diskretion und Eile, mit welcher Bolloré sein Projekt an der europäischen Wettbewerbskommission vorbei durchziehen zu wollen scheint. Dabei ist klar, dass Brüssel so eine Fusion mit einem mutmaßlichen Marktanteil von bis zu 80 Prozent etwa im Taschenbuch- oder im Schulbuchbereich nicht einfach durchgehen lassen wird.

Ein ähnliches Spiel wurde vor zwanzig Jahren mit vertauschten Rollen schon einmal gespielt. Als Jean-Luc Lagardère 2002 die zur damaligen Gruppe Vivendi Universal Publishing (VUP) gehörenden Verlage seinem Konzern einverleibte, musste er auf Anweisung der Brüsseler Wettbewerbskommission mehrere Verlagshäuser abstoßen, um nicht zu stark zu werden. Sie machen heute den Sockel der Editis-Gruppe beim VUP-Nachfolger Vivendi aus, der heute die Retourkutsche fährt. Und die Angst, dass bei diesem holprigen Hin und Her diesmal noch mehr Substanz verloren geht, ist nicht unberechtigt.

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