Fünf Favoriten der Woche:Fernreisen der Kunst

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Die Vienna Biennale, drei Bond-Dokus, Post-Its von Ed Atkins, Musik von José González und ein Comic von Guy Delisle.

Vienna Biennale

Es gibt nicht wenige Biennalen, die sich mit der Zukunft unseres Planeten beschäftigen. Das könnte man als redundant empfinden - wenn nicht die Probleme der Klimakatastrophe und des sozialen Friedens so gewaltig wären, dass es durchaus Sinn macht, an allen nur möglichen Orten daran zu erinnern, dass Handlungsbedarf besteht. Wer trotz der düsteren Lage optimistisch bleiben möchte, der sollte dieses Wochenende noch die Vienna Biennale for Chance 2021 besuchen. Denn die Kuratoren liefern sich unter dem Titel "Stellen wir uns vor, unser Planet hat eine Zukunft" eine wahre Materialschlacht. Selbst die gewaltige Ausstellungshalle des MAKs scheint zu bersten, so viele Projekte sind dort zu sehen, die zeigen, wie Mensch und Natur wieder versöhnt werden können. Und zwar so, dass beide Seiten davon profitieren. Laura Weißmüller

Der Mann hinter den Geschichten: Bond-Schöpfer Ian Fleming. (Foto: Central Press/picture-alliance/ dpa)

007: In drei Dokus zum Experten

Es ist ja nie zu spät, Experte zu werden. Und außerdem mal wieder 007-Saison. Die Zeit, in der Fußballfachsimpelei von Bond-Expertengesprächen abgelöst werden. Also ab zu Phoenix, der VHS unter den Sendern. Dort stehen in der Mediathek gerade drei Dokus, die keine Fragen offen lassen. "Das geheime Leben des James Bond", und "Wie James Bond begann" berichten von den Missionen im Zweiten Weltkrieg, die Ian Fleming als Vorlage für seine Romane bemüht hat, von der Vergangenheit des Autors beim Geheimdienst der britischen Marine, von seinen Frauengeschichten und Casinoexzessen. "James Bond an der Berliner Mauer" erzählt von einem Zwischenfall mit DDR-Grenzsoldaten bei den Dreharbeiten zu "Octopussy" im Sommer 1982 in Berlin, wenig später verschwanden die Filmkopien. Wie es dazu kam? Experten wissen das. Laura Hertreiter

"Lehrjahre" von Guy Delisle (Foto: Reprodukt)

Mit Guy Delisle in der Papierfabrik

Der kanadische Comiczeichner Guy Delisle wurde mit Reisereportagen bekannt. Er arbeitete für Animationsstudios im chinesischen Shenzen und in Pjöngjang in Nordkorea; mit seiner Frau, einer "Ärztin ohne Grenzen", reiste er nach Birma und Israel. Die Eindrücke verarbeitete er in seinen Comics. Sein neues Buch Lehrjahre funktioniert ähnlich: Als Student hatte Delisle drei Sommer lang in einer Papierfabrik gearbeitet und erzählt nun von der Arbeitswelt dort. Von riesigen Papierwalzen, in denen man sich leicht eine Hand einquetschen kann, von erschöpfend langen Schichten, dem Ton unter den Arbeitern. Außerdem von der Sprachlosigkeit zwischen ihm und seinem Vater, der in der Fabrik technischer Zeichner ist. So fremdartig wie Pjöngjang ist das alles nicht, aber dennoch eine Fernreise: Die Kluft zwischen den Gesellschaftsschichten wächst, "Lehrjahre" ist ein Blick über den Rand. Martina Knoben

Ed Atkins

Es soll Eltern geben, die morgens ihre Kinder noch schnell Vokabeln abfragen, beim Frühstück vor allem besprechen, was an Organisation anliegt. Man wünscht sich, dass das nicht sein muss. Dass es überall und schon morgens ein bisschen so ist, wie am Tisch von Ed Atkins. Der britische Künstler hat kürzlich ein Buch "Drawings for Children" im Verlag der Buchhandlung Walther König veröffentlicht, mit gut 200 "Zeichnungen für Kinder", genauer: für ein Kind. Denn die fünf Zeilen Text, die ihnen voranstehen, erklären, dass sie in genau dieser knappen Zeit entstanden sind, wochentags, während des Frühstücks. Um dann in der Lunchbox seiner Tochter versteckt zu werden.

Die Zeichnungen sind in Originalgröße abgedruckt, eine pro Seite. Und erst nach einigem Blättern erkennt man, dass es Post-Its sind, gelbe, rosafarbene, neonleuchtende Sticker. Viele hat der Künstler - der als einer der bedeutendsten seiner Generation überhaupt gilt - aber so dicht übermalt, dass sie nur noch zu erahnen sind - weil aus dem vorgefertigten Orange ein leuchtender Ballon wird und sich die irren, fürs Büro gedachten Farben mit den feinen Tönen der Zeichnungen verschlingen. Mit dem Gesicht eines Orang-Utans, dem kleinen Geist, den man unschwer als Kind erkennt, das sich eine Decke über den Kopf gezogen hat. Einige entwickeln sich aus einem Gekritzel, das an eine ungelenke Kinderhand erinnert. Mäuse riechen an einer Tulpe, ein Einsamer sitzt auf einem Fliegenpilz. Manche Zeichnungen erscheinen wie Rätsel; einer Reihe aus Nase, Hundeschnauze und Schweinerüssel auf leuchtendem Pink, soll offensichtlich anderen Organen zugeordnet werden.

Ereignisse, Gespräche und Fragen, die den Frühstückstisch von Ed Atkins umkreisen, landen hier kurz an wie freundliche Fliegen, deren Gebrumm man nicht versteht. Man kann sich gut vorstellen, mit Kindern die Bilder anzusehen - und den verborgenen Geschichten nachzulauschen. Catrin Lorch

(Foto: N/A)

Hardcore-Hygge mit José González

Bislang hat José González alle sechs Jahre ein Soloalbum veröffentlicht. Das ergibt in 18 Jahren also genau drei. Klingt wenig. Allerdings verkaufte der Schwede damit eben die Londoner Royal Albert Hall aus. Ritterschlag-Location. 4000 Plätze. Dazu bringt er es auf einige Milliarden Streams. Was mal wieder zeigt: Man braucht gar nicht viel - sondern nur das richtige Zeug.

Auftritt "Local Valley", sein nun viertes Album.

Ein Schmuckstück mit 13 Titeln. Und wieder eines, das verhalten, unaufdringlich, zart-leise "Hallo, melde mich mal wieder zurück" flüstert. Was ja nicht immer der Fall war bei González . Er machte zwischendrin sogar Ausflüge in den Hardcore-Punk. Jetzt ist er wieder zurück bei der hyggeligen Sofa-Session im melancholischen Indie-Stil. Keine epochalen Ausbrüchen, eher besonnener Aufbruch, wohliger Nebel. Als verharrte der Sänger in einem halbschlafähnlichen Zustand zwischen melancholischem Sein und inspirativem Werden, während woanders unaufhörlich weiter durchs Leben marschiert wird. Umtriebige, immeremsige Welt. Und hier im Kontrast: Hymnen an die Natur, Liebe, Verständigung aller Menschen, Sinnsuche, heilsame Achtsamkeit. Müsste schrecklich klingen. Funktioniert aber schrecklich gut.

Idyllisches Vogelgezwitscher mischt sich also mit Retro-Folk und feinsinnigen Background-Gesängen, die Mantra-artige Texte wie diese säuseln: "Action, reaction / Stay with it, hang on / Engage, disengage / Deal with it / Head on". Oder natürlich: "Swing your hands like forest leaves" im Latin-Dancehall angehauchten Titel "Swing". Ätherischer, strubbeliger Waldschrat. Ganz tolle Arrangements: Der Einstieg "El Invento" besingt, nein erzählt, die Komplexität einer einzigartig neugierigen Seele. Die hereinschleichenden Gitarrenriffs und die zärtliche Stimme bilden eine sehr flauschige Symbiose. "Visions" treibt auf einem konstanten Drum-Machine-Beat los. "Valle Local" hält mit marschähnlichen Riffs und energischem Melodiepicking dagegen. In alldem: ganz feine Gitarrenüberbeanspruchung, als wären alle anderen Instrumente schon wieder vergriffen gewesen. "Local Valley" reflektiert so eine tiefe Ruhe, ein Plädoyer für Versöhnung und Urvertrauen in die Existenz. Großes, leises Album. Sarah Zapf

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