Goethe-Medaille für Mohamad Abla:Hinter den Kakteen

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Der Künstler Mohamed Abla hat in Wien und Alexandria studiert und lange in Deutschland gelebt. Jetzt erhält er die Goethe-Medaille. (Foto: Emad Abd ElHady)

Der Ägypter Mohamed Abla wird mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Ein Portrait.

Von Sonja Zekri, Berlin

Bei der ersten Begegnung mit Mohamed Abla war Ägypten in Aufruhr, und der Künstler, übernächtigt, aber kämpferisch, protestierte auf den Stufen des Kulturministeriums in Kairo. Es war das Jahr 2013, die kurze Zeit des islamistischen Interregnums, und ein großer Teil des Landes fürchtete, dass die Muslimbrüder ein ägyptisches Kalifat planten, ganz sicher aber die Abschaffung der Kunst. Und dies in einem Land, dessen Kunst über Jahrtausende nach nichts anderem strebte als nach einem Ausdruck für die Ewigkeit.

Am Sonntag wird Mohamed Abla in Weimar mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet, und inzwischen weiß man: Es waren damals glückliche Zeiten. Er hat sich oft politisch engagiert, nicht nur unter den Muslimbrüdern. Auch gegen den scheinbar ewig herrschenden Präsidenten Hosni Mubarak hat er protestiert: "Wir Regimekritiker hatten Filme, Zeitungen, wir konnten alles machen", sagt Abla im Berliner Büro des Goethe-Instituts: "Einmal habe ich sogar gegen Mubarak vor Gericht gewonnen, als der Staat uns von einer Nil-Insel vertreiben wollte, um Hotels zu bauen."

"Wir dachten, das Land gehört uns."

Noch berauschender war die Revolution, der Arabische Frühling, der Mubarak im Februar 2011 hinwegfegte und der so viele Ägypter inspirierte. "Wir waren voller Hoffnung", sagte Abla: "Wir dachten, das Land gehört uns."

Auf der glücklichen Insel: "The Happy Island" (2016). (Foto: Courtesy the Artist and Tabari Artspace Dubai photography Emad Abdel Hady)

Aber Ägypten gehörte - wieder einmal - dem Militär. Seit 2013, seit dem Sturz der Muslimbrüder, herrscht Abdel Fattah Al-Sisi. Und während der neue Präsident große Museen eröffnet, leidet die unabhängige Kunst. Das freie Kairoer Kunstfestival, Al-Fan Midan, ist Geschichte. Die Townhouse Gallery, eine Institution zeitgenössischer Kunst und Kunstvermittlung in Kairo, wurde geschlossen und versucht, geschrumpft und unter anderem Namen etwas von ihrem früheren Geist zu retten.

Und Mohamed Abla? Tat sein Bestes, arbeitete anfangs am 50-köpfigen Verfassungskomitee mit. Aber seine Kunst, die sich immer wieder verändert hatte, wurde weniger politisch. Während des Lockdowns 2020 entstand eine Kakteen-Serie, mit blauen, roten und beigefarbenen Gewächsen. Sie zeigen leuchtendes Leben inmitten von Dürre und Kargheit - ein Kommentar zur Pandemie -, aber mit ihren kräftigen Armen haben sie auch etwas unheimlich Anthropomorphes.

Seine Kairo-Bilder zeigen brutal aufgerissene Fassaden

Manches wirkt im Nachhinein fast seherisch. Ablas aufgerissene Fassaden der "Cairo Towers" aus dem Jahr 2010 oder seine Bilder von Brücken, die die Stadt durchschneiden, scheinen eine Vorwegnahme des aktuellen Stadterneuerungswahns zu sein: "Sisi will den größten Turm in Afrika bauen, die größte Moschee, die größte neue Hauptstadt", sagt er.

Abla gibt sich pragmatisch. 2006 hatte er in der Oase Fayoum bei Kairo das Fayoum Art Centers gegründet und es drei Jahre später um ein Karikaturenmuseum ergänzt. "Ich will jungen Künstlern helfen. Mit meinem Kunstzentrum kann ich das tun", sagt er: "Wir bieten Kurse und Workshops an, auch dreimonatige Aufenthalte für Gast-Künstler." Und manchmal, wenn sie unter sich sind, reden sie leise über Politik.

Menschbilder wie "The Crowds" (2012) von Mohamed Abla erinnern durchaus an die Malweise der Berliner Wilden. (Foto: Courtesy the Artist, photography Hamdy Reda)

Wer also wissen will, wie eine Diktatur Menschen zum Schweigen bringt, wie es sein kann, dass selbst die Klügsten und Kreativsten nicht, wie es derzeit so gern heißt, aufbegehren oder besser noch gleich das Regime ins Wanken bringen, der muss nicht mit großen Augen auf Russland schauen. Er kann nach Ägypten blicken. So viele Intellektuelle und Regimekritiker sind unter Sisi geflohen, dass unter manchen die Frage kursiert, ob das wahre Ägypten sein geistiges und kulturelles Zentrum nicht längst im Exil gefunden hat.

Zum Abschied schenkte er Walsrode eine Skulptur

Abla wird nicht ins Ausland gehen. Seine Geschichte ist vielmehr die einer Heimkehr. Geboren 1953 im Nil-Delta, studierte er Kunst gegen den Willen seines Vaters, Bildende Kunst in Alexandria, Bildhauerei in Wien und Zürich. Seine Befreiung als Künstler erlebte er in Deutschland, im Berlin der Achtzigerjahre: "Dort arbeiteten die Neuen Wilden, sie nahmen sich alle Freiheit, die sie wollten, sie erfanden ihr eigenes Material, malten mit breitem Pinsel. Das hat meine Kunst verändert." Er lebte einige Jahre im niedersächsischen Walsrode, schenkte der Stadt später eine hintergründige Sisyphos-Skulptur, aber 1986 kehrte er erst mal nach Ägypten zurück.

Seitdem hat er in den Niederlanden, in Schweden und Kuweit ausgestellt, das British Museum in London zeigte seine Bilder. Er könnte überall leben und wählt doch Ägypten. "Sisi ist nicht mein Feind", sagt er. Die ägyptische Kulturministerin Inas Abdel Dayem hat Abla sogar zur Goethe-Medaille gratuliert, immerhin ist er der erste Ägypter, der die Auszeichnung bekommt.

Für Abla fügt sich mit dem Preis etwas zusammen. Goethe sei für ihn schon wichtig gewesen, ehe er Deutschland kannte, sagt er, der "Diwan" natürlich, "Werther" und der "Faust", die er erst auf Arabisch las und später, als sein Deutsch besser wurde, im Original. "Dass durch die Medaille mein Name mit dem Goethes verbunden ist, finde ich wunderbar", sagt er.

Sein Blick auf Deutschland ist distanziert, aber milde. Die deutsche Selbstbezüglichkeit klingt bei ihm weniger nach Narzissmus, sondern nach echtem Ringen - mit der Geschichte, mit der Verantwortung als wichtigstes Land Europas, das seinen Weg zwischen den USA und Russland finden muss: "Deutschland hat es auch nicht leicht."

In Ägypten sind Ölfarben Luxus, "wie Hundefutter"

Nach der Preisverleihung wird er weiter nach Kassel fahren, zur Documenta, vielleicht zur Biennale in Venedig. Den wichtigsten Programmpunkt hat er schon hinter sich: ein Geschäft für Künstlerbedarf. In Ägypten ist es fast unmöglich, an Farben zu kommen, der Zoll macht alles unerschwinglich: "Für den Staat sind Ölfarben ein Luxus wie Hundefutter", sagt er. Vor der Auswahl in Berlin hat er fast geweint, dann einen Großeinkauf gemacht, und kann es jetzt kaum abwarten, bis er wieder in Ägypten ist, vor seiner Staffelei.

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