Gestalterische Aufarbeitung von 9/11:Als die Kunst verstummte

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Bilder wie diese hätte nicht einmal Hollywood schaffen können: Jeder Versuch, der Katastrophe vom 11. September 2001 mit künstlerischen Mitteln beizukommen, verblasste gegenüber den Fotos, Filmen und Berichten des Tages.

Jörg Häntzschel, New York

Es war ein refrainartig wiederholter Vorwurf: Seit dem Ende des Kalten Kriegs, seit dem "Ende der Geschichte" hätten die Künstler nur noch ironische Locken aus den Fasern ihrer Subjektivität gedreht, ihnen habe es an echtem Interesse an der Welt gefehlt. Doch als mit dem Einsturz der Twin Towers die fröhlichen Neunziger endeten, verschlug es den meisten Künstlern die Sprache.

Lichtdenkmal "Tribute in Light": Dort, wo zuvor die Türme des World Trade Centers standen, stellen an jedem Jahrestag der Anschläge 88 Scheinwerfer Lichtsäulen in die Skyline Manhattans. (Foto: AP)

Es lag nicht nur daran, dass die etablierten Ausdrucksmodi plötzlich obsolet erschienen. Sondern auch an dem Ereignis selbst, das der Komponist Karlheinz Stockhausen in einer verbalen Entgleisung "das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat" genannt hatte. So irrwitzig und geschmacklos dieser Kommentar auch war, richtig ist, dass jeder Versuch, der Katastrophe mit künstlerischen Mitteln beizukommen, verblasst gegenüber den Fotos, Filmen und Berichten des Tages. Bilder wie diese hätte nicht einmal Hollywood schaffen können.

Der zweite Grund liegt darin, dass die Bush-Regierung und die Kabelsender sich sofort die Hoheit über die Erzählung der Tragödie sicherten. Für Künstler blieben kaum noch Zugänge.

Einige wenige versuchten es dennoch: Oliver Stone mit seinem Film "World Trade Center", Bruce Springsteen mit seinem Album "The Rising", Don DeLillo im Roman "Falling Man" oder Paul Greengrass, der in "United 93" die Geschichte des in Pennsylvania abgestürzten Flugzeugs schildert. Letztlich kam aber keines dieser Werke an die Wucht der Fotos und Fernsehbilder heran, keines warf eine neue Perspektive auf das Ereignis.

Ob das in den Ausstellungen, Konzerten, Lesungen und Diskussionen gelingt, mit denen in den nächsten Tagen in New York des 11. September gedacht wird, ist fraglich. Die schiere Fülle des Programms deutet aber darauf hin, dass es ein ungestilltes Bedürfnis danach gibt.

Rückkehr zu Tag und Trauma

Etwa 20 Theater haben Stücke und Performances zum Thema produziert. Neben dem Gedenkkonzert der New Yorker Philharmoniker, die an diesem Samstag Mahlers 2. Symphonie spielen, wird es etliche andere musikalische Ereignisse geben. Viele Galerien und Museen haben Sonderausstellungen geplant und zeigen alles von unveröffentlichten Ground-Zero-Fotos über Kinderzeichnungen, den Aufnahmen der aus den Trümmern geborgenen Flugzeugteile bis hin zu vielen weiteren von 9/11 inspirierten Werken.

Während etliche der Veranstaltungen zu dem Tag und dem Trauma zurückkehren, zeigt PS1 in Queens mit "September 11" eine Sicht des Ereignisses und seiner Folgen, die ohne ein einziges Bild von diesem Tag auskommt. Die sichtbarste künstlerische Verarbeitung des 11. September stellt das von dem Architekten Michael Arad entworfene Denkmal an Ground Zero dar. Es wird am Sonntag von Präsident Obama eingeweiht.

© SZ vom 10.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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