"Für immer die Alpen" in Liechtenstein:Was, wenn sie ihn kriegen würden?

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Carlotta Hein, Thomas Beck, Julian von Hansemann, Andrea Quirbach: Sie alle spielen Heinrich Kieber, der im Stück Johann Kaiser heißt. (Foto: TAK)

Despoten, Drogenbarone, Parteispendentrickser - alle waren sie Kunden in Liechtenstein. Bis Heinrich Kieber zuschlug. Benjamin Quaderers Buch erzählt seine Geschichte - jetzt auch am Theater.

Von Uwe Ritzer

Natürlich sind Freunde von ihm da, Familienmitglieder und Bekannte von früher. Der Abend im Theater am Kirchplatz (TAK) in der Liechtensteiner Gemeinde Schaan ist ein Heimspiel für Benjamin Quaderer. Er ist ein Dorf weiter aufgewachsen, hat das im oberen Rheintal zwischen Österreich und der Schweiz eingeklemmte Fürstentum Liechtenstein mit seinen elf Gemeinden aber gleich nach dem Abitur 2008 verlassen. Eine Flucht aus der Enge. "Wenn man in einem so kleinen Staat aufwächst, dessen Bevölkerung in ein halbes Fußballstadion passt, dann kann das nicht die Welt sein", erzählt Quaderer im TAK-Foyer. "Ich musste weg."

Nun ist er wieder da, angereist als gefeierter Autor aus Berlin, wo er seit 2014 lebt. Mit seinem Erstling "Für immer die Alpen" gilt der 32-Jährige im deutschen Sprachraum als literarische Entdeckung. Jetzt steht im TAK die Uraufführung als Theaterstück an. Die Berliner Regisseurin Friederike Heller hat aus Zitaten des in Tagebuchform geschriebenen Buches ein Bühnenstück destilliert und inszeniert. Es ist eine Gemeinschaftsproduktion der kleinen, ambitionierten Bühne in Schaan mit dem ungleich größeren Staatstheater Mainz. Für Letzteres mag die Produktion Routine sein. Für das TAK ist sie etwas Besonderes. Das Stück rüttelt schließlich an einem für Liechtenstein traumatischen Erlebnis, dem das Ende des Fürstentums als Versteck und Waschanlage für schmutziges Geld folgte. Despoten wie Bokassa und Mugabe, Drogenbarone wie Pablo Escobar oder deutsche Parteispendentrickser wie die CDU des Helmut Kohl - alle waren sie jahrzehntelang willkommene Kundschaft in Liechtenstein. Bis Heinrich Kieber zuschlug.

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Uwe Ritzer

Die Liechtensteiner suchen Kieber mit internationalem Haftbefehl

Es war am 14. Februar 2008, am 63. Geburtstag des Liechtensteiner Landesfürsten Hans-Adam II. und wenige Monate bevor Quaderer das Land verließ, als deutsche Ermittler in Köln vor laufenden Kameras Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel hochnahmen. Seine Daten fanden sich auf einer CD, die Kieber den Deutschen überlassen hatte. Er hatte in der Treuhandsparte der Fürstenbank LGT gearbeitet und heimlich die Daten vieler Hundert ausländischer Steuerbetrüger kopiert und an deren Herkunftsländer verkauft. Allein Deutschland zahlte ihm dafür 4,6 Millionen Euro. Kieber tauchte mit Hilfe diverser Geheimdienste wie des BND und einer neuen Identität unter; manche vermuten in Australien. Die Liechtensteiner suchen ihn bis heute mit internationalem Haftbefehl.

Was, wenn sie ihn kriegen würden? "2008 wäre das nicht gut für ihn ausgegangen, da gab es viele Aggressionen gegen", sagt Quaderer. "Heute wäre das egal." Tatsächlich?

Immerhin lässt die Geschichte das kleine Land seit 13 Jahren nicht mehr los. Es gibt bereits ein Sachbuch und einen Dokumentarfilm über Kieber, der schließlich seine eigene Sicht auf die Dinge ausbreitete, im Internet, auf 650 Seiten. Titel: "Der Fürst. Der Dieb. Die Daten". 2020 erschien Quaderers Roman, jetzt folgt das Theaterstück. Im Buch und auf der Bühne heißt Heinrich Kieber Johann Kaiser, ansonsten gibt es ziemlich große Schnittmengen zwischen literarischer Fiktion und Realität. Was Roman und Schauspiel ganz sicher nicht sind: ein Liechtensteiner Heimatstück.

Der Bühnen-Kaiser trägt alle Züge, die auch Datendieb Kieber nachgesagt werden: ein unruhiger Narzist, manisch und haltlos, exzentrisch und besoffen von seiner vermeintlichen Wichtigkeit. Ein Heimkind, Hochstapler und Betrüger, der als Teenager seinem besten Freund das Mofa klaut und damit abhaut, um in Spanien zunächst Klosterschwestern, und dann eine reiche Familie und wieder einen besten Kumpel hereinzulegen. Nach einer Episode als Geisel in einem argentinischen Verlies, landet er wieder in Liechtenstein, wo er die Daten klaut und den Landesfürsten zu erpressen versucht.

Johann Kaiser ist ein Synonym für jene, die sich absolut setzen. Motto Pippi Langstrumpf: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. (Foto: TAK)

Doch der Protagonist in Roman und auf der Bühne glänzt mit einer Fallhöhe, die über die Figur Kieber und das kleine Liechtenstein hinausgeht. Der Johann Kaiser, den die Schauspielerinnen Carlotta Hein und Andrea Quirbach, sowie ihre Kollegen Thomas Beck und Julian von Hansemann abwechselnd auf die Bühne bringen, ist ein Typus Mensch, wie er gefühlt immer häufiger vorkommt. Solche Leute dominieren Blasen in sozialen Netzwerken, man findet sie zahlreich unter Reichsbürgern und Querdenkern: Unfehlbare mit eigener Welt und Wahrheit, eigenen Regeln, die sie so lange propagieren, bis auch andere darauf reinfallen. Johann Kaiser ist ein Synonym für jene, die sich absolut setzen. Motto Pippi Langstrumpf: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.

Dass so ein selbsternannter Auserwählter eine der größten Schmutz- und Schwarzgeldfestungen der Welt zum Einsturz brachte, ist an sich groteske Ironie. Wo sie sich in Liechtenstein doch so sicher waren, dass sie alle Vorsicht fahren ließen. Kaisers reales Alter-Ego Kieber war bei der LGT als Leiharbeiter mit der Digitalisierung von Kundendaten betraut. Als er den Job bekam, wunderte sich sein Onkel Guntram: "So blöd können doch nicht einmal die sein, dass sie dich einstellen." Doch, waren sie. Dass Kieber Kundendaten unbehelligt und unkontrolliert kopieren konnte, zeigt, wohin übersteigerte Selbstsicherheit führen, und der Glaube: Einer von uns macht das nicht, böse sind immer die anderen.

Dass die Liechtensteiner Reformen auf den Weg gebracht haben, gibt ihnen so eine Art Musterschüler-Gefühl

Der Verrat führte zu internationalem Druck, der Liechtenstein nach 2008 zu Reformen zwang, zum Kampf gegen Geldwäsche und zur grenzübergreifenden Kooperation in Steuerfragen. Alles vorher undenkbar. Noch immer lagern - im übertragenen Sinne - unentdeckte Altlasten hinter den blank polierten Fassaden vor allem der Treuhandkanzleien, die irgendwann als Skandal explodieren werden. Doch viele im Land sehen es wie Benjamin Quaderer: "Letztlich ging die Sache glimpflich aus für die Liechtensteiner. Und dass sie Reformen auf den Weg gebracht haben, gibt ihnen so eine Art Musterschüler-Gefühl."

Das ist auch bei der Uraufführung von "Für immer die Alpen" im TAK zu spüren. Im Publikum sind keine betretenen Gesichter zu sehen, sondern es wird viel über die schelmenhafte Inszenierung gelacht. Sogar, welch ein Sakrileg, über den für seine Untertanen unantastbaren Landesfürsten Hans-Adam II., der auf der Bühne als ordensbehängter, arroganter und aufbrausender Absolut karikiert wird. Er hätte, sagt Benjamin Quaderer, sein Buch niemals in Liechtenstein schreiben können. Dafür habe es Abstand gebraucht.

Am Ende der Uraufführung gibt es minutenlangen Applaus und Bravo-Rufe. Erst recht, als das Ensemble Quaderer auf die Bühne holt. Vor ein paar Jahren wäre er hier als Nestbeschmutzer behandelt worden. Jetzt ist man stolz auf ihn und seinen Erfolg. Die Szenerie wirkt, als seien die bösen Geister endgültig aus Liechtenstein vertrieben. Und im TAK-Foyer gibt es nach der Premiere Sekt und Käse-Spießchen für alle.

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