Schriftsteller F. C. Delius zu Friedrich Merz:Das Arnsberger Modell

Lesezeit: 3 min

Friedrich Merz, 1993. Was wird diesen Mann eines Tages dazu bringen, die Laufzeiten von Waschmaschinen zu verkürzen? (Foto: Sepp Spiegl/imago stock&people)

Friedrich Merz als Phänomen: ein kurzer Abriss.

Friedrich Merz, geboren 1955 bei Arnsberg im sauerländischen Westfalen, Juristensohn, Mopedfahrer, hochintelligent, katholisch, will nach dem Abitur hinaus in die freie Welt. Das ist für helle Köpfe selbstverständlich. Er wird Jurist und Obergefreiter bei der Panzerartillerie. Verständlich.

Sein hochgradiges politisches Interesse hat ihn schon 1972 in Arnsberg in die CDU geführt, drei Jahre vor dem Abitur. Sehr verständlich im einstigen Wahlkreis Heinrich Lübkes, des zweiten Bundespräsidenten. Es drängte Merz dort in die ganz hohe Politik, und dort nach ganz oben. Sehr verständlich. Da ihm das beinahe, aber nicht genug gelingt, drängt es ihn, den inzwischen dreifachen Vater und fünffachen Großvater, wohlhabend zu werden, wenn möglich allein mit Terminkalender, Computer, Telefonen und einem Privatflugzeug usw. Er wird so etwas wie ein christlich-demokratischer Millionär. Der nebenbei Klarinette spielt, sich als Funkamateur betätigt und vom Ferienhaus am Tegernsee aus verfolgt, wie die Nullen immer runder werden.

Journalisten, die ihn um sein schönes Leben beneiden, imponiert er mit dem Glaubensbekenntnis der Trickle-Down-Theorie ("Je reicher die Reichen, desto reicher die Armen"). Dies seit seiner Krönung zum Aufsichtsratsvorsitzenden bei Black Rock Deutschland in Düsseldorf, das seine Gewinne durch erfolgreiches "Grillen" erwirtschaftet - was nichts anderes meint, als dass die Vorstände von Markenfirmen die Laufzeit von Waschmaschinen verkürzen und die Materialkosten bei Staubsaugern drastisch senken müssen. Und gleichzeitig den Preis moderat erhöhen. Sehr verständlich, das alles.

Kann ich nicht mithalten, aber immerhin habe einen theologischen Ehrendoktor

Da Friedrich Merz die Arbeit bei Black Rock leicht von der Hand geht und öffentlich kaum wer fragt, wie sich das mit einer Mitgliedschaft in der Initiative Soziale Marktwirtschaft vereinbaren lässt, drängt es ihn, als bundesweit bekannter Wirtschaftsexperte, wieder zurück in die allerhöchste Berliner Politik, um von CDU-Anhängern und Journalisten umschwärmt zu werden. Sehr verständlich. Im Februar 2022 endlich am Ziel zu sein und Chef der CDU zu werden, auf dem höchsten für ihn erreichbaren Posten, erfüllt ihn sichtlich mit Stolz, endlich ist er frei für politische Gedanken, Argumente, er kann politische Zielvorstellungen formulieren, Menschen und Medien neues Material zum Jonglieren und Spekulieren schenken.

Dabei wie nebenbei die Auslösung des 3. Weltkriegs, des Atomkriegs zumindest in Kauf zu nehmen, in dem er die Regierung vor sich hertreibt? Das kann ich nun nicht verstehen, der ich leider nicht an einem 11. 11. geboren bin, und der ich mich mit dem harten Leben eines Wassermanns abfinden muss, an den Schreibtisch gebunden. (Nebenbei hat Friedrich Merz' europäischer Parteifreund Silvio Berlusconi seinen Freund Wladimir, den heutigen Kriegsverbrecher, vor noch nicht langer Zeit einen neuen "Jesus" genannte, und kein christlich-demokratischer Zeigefinger hatte sich da gen Rom erhoben ...)

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Fürs Protokoll: Was Sie da alles treiben, Herr Merz, das geht entschieden zu weit

In meinem Text will ich nun auch mal selbst zu Wort kommen und von mir reden, ich also, der ältere Friedrich, der wie der jüngere Friedrich, in einer ziemlich herrlichen, bis an die polnische Ostgrenze reichenden Welt, die tapferen Menschen im weiteren Osten natürlich eingeschlossen: der also in einer wunderbaren europäischen Welt lebt. Ich, bescheidener Schreiber, um zwölf Jahre erfahrener, als offen lebender Agnostiker mit einem Ehrendoktor der Theologischen Fakultät der Universität Rostock ausgezeichnet (ein großer Dank an zwei theologische Damen in Rostock für diesen einmaligen Titel in der christlichen Kirchengeschichte, den ich hiermit zum ersten mal laut an die Presse gebe): ich also zweifle nun doch an des Jungen Verstand.

Ich erlaube mir das als lebenslang politisch interessierter Mann, der noch Adenauer und Kennedy und Brandt mit dummen Augen in die zweihundert Meter entfernten Gesichter sah und nicht länger von einem Adenauer, sondern von einem Brandt oder Kennedy regiert werden wollte. Und das, ebenso wie Merz, als ehemaliger Dorfjunge mit Kleinstadtabitur. Der Regeln des Vergleichens wegen gebe ich an dieser Stelle gerne zu, ein lebenslanger Papiergegner der CDU gewesen zu sein und es auch bleiben zu wollen. Der aber ebenfalls eine, wenn auch bescheidenere Meinung zum Thema hat: Was Sie da alles treiben, Herr Merz, geht entschieden zu weit. Selbst für einen westfälischen Obergefreiten mit Grundkenntnissen in Sachen Panzerartillerie. Selbst für einen Arnsberger.

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