"Tod und Teufel" - um einen frühen Titel seiner in Millionenauflage verkauften und in etliche Sprachen übersetzten Bestseller zu zitieren: Das scheint Frank Schätzing nicht zu fürchten. Herbe Verrisse, die er sich zuletzt mit dem Buch "Die Tyrannei des Schmetterlings" eingehandelt hat - in der Zeit als "Desaster" beschrieben, in der Welt als "beschränkt" kritisiert -, lassen ihn "kalt", wie der Express weiß. Der Mann, dem 2004 mit "Der Schwarm" ein großartiger Welterfolg gelungen ist und der in Deutschland den zeitgenössischen Wissenschafts-Thriller fast im Alleingang repräsentiert, ist auch zu jedweder Blöße bereit. Bis zur Unterhose.
Das hat der 63-jährige Kölner vor einigen Jahren für den Wäschehersteller Mey mit dessen Unterwäsche-Kampagne bewiesen. Und zwar mit einem sehr präsentablen Ü-50-Body, der den Verdacht nährt, dass es einmal Fitnesscenter gegeben haben muss. Es kann allerdings sein, dass Schätzing, der außer Unterhosen-Model auch Creative Director, Pop-Produzent, Bowie-Fan, Drehbuchautor und Thriller-Poet ist, nicht ganz in der Beckham-Liga spielt.
Abgesehen davon, dass er auf einem der Wäschebilder eher nicht an Auguste Rodins "Denker", dafür aber an Til Schweiger erinnert, der einmal, aber das war noch vor der aktuellen Apokalypse, überzeugend einen im Pausemodus verharrenden Primaten gespielt hat, muss man sagen: Auf dem scharfen Grat zwischen U und E, zwischen Bizarrerie und Ambition, ist Schätzing ein schwindelfreier Grenzgänger. Die Möglichkeit einer Blamage scheint er gar nicht erst in Betracht zu ziehen. Oft geht das gut.
Schätzing kann besser als Wikipedia vermitteln, was ein Paralleluniversum ist
Womöglich muss man ihn gerade deshalb ernst nehmen - aktuell in der Pose des Weltretters. An diesem Donnerstag erscheint bei Kiepenheuer & Witsch das etwas nach Tim-Vorprogramm-von-Joe-Cocker-Bendzko klingende Buch "Was, wenn wir einfach die Welt retten?". Und zwar als, ernsthaft jetzt, "Pageturner zur Klimakrise" (336 Seiten, 20 Euro). In Wahrheit ist das Buch aber kein Thriller, sondern ein Sachbuch. Der Untertitel lautet: "Handeln in der Klimakrise". Aber auch als Sachbuch behauptet das Werk etwas mehr Thrill als üblich. Ist diese Fusion statthaft? Ein Klimawandel, der unterhaltsam verhandelt wird: verwerflich oder wünschenswert? Schätzing, den man vor etlichen Jahren in einem Kölner Café als wachen Menschen kennengelernt hat, findet solche Fragen "typisch deutsch". Wenn er grantig wird, heißt es "typisch Feuilleton". "Typisch SZ" ist extraübel.
Im Buch heißt es: "Let's do it and have fun. Probleme zu lösen kann nämlich auch Spaß machen." Stünde dieser Satz nicht am Ende des Buches, sondern käme einem bei der Lektüre weiter vorne unter: Man würde gar nicht erst weiterlesen wollen. Klimawandel. Have fun. Aber der Witz ist: Es funktioniert. Das liegt daran, dass Schätzing das macht, was seine Thriller-Manufaktur auszeichnet. Er nimmt die Wissenschaft ernst genug. Wissen ist für ihn ein Handwerk. Im "Schwarm" stecken ein paar Meeresbiologie-Vorträge drin, in "Limit" wird einem die Raumfahrtgeschichte für Anfänger vermittelt - und in der "Tyrannei des Schmetterlings", die leider haubentaucherartig abgestürzt ist, wird einem das Phänomen der künstlichen Intelligenz nahegebracht. Wer wissen will, was ein Paralleluniversum ist, ist zwischen zwei Schätzing-Buchdeckeln im Prinzip besser als im Paralleluniversum bei Wikipedia aufgehoben.
Schätzing kann eines besser als die meisten Thriller-Autoren: Er verpackt das bienenfleißig zusammengetragene und portioniert aufbereitete Wissen so geschickt in die Handlung und Figurenführung, dass man sich im Krimi voller Suspense wähnt, aber eigentlich im propädeutischen Seminar sitzt. Das ist kein geringes Talent zur Camouflage.
Im Klimakrisen-Pageturner geht es von der Frage, was das Klima zum Klima macht, über das Wesen der Klimaforschung hin zu den globalen Eismassen, zu Meer und Ozean, zur Atmosphäre ... es gibt Winde, Wälder ... Kohle, Öl, Gas, Automobil und Verkehr, Land- und Forstwirtschaft ... Klimaschutzpolitik, Soziologie ... Fleisch, fairen Handel, Reisen, Geldanlagen, Plastik, Kleidung, Wachstum und Suffizienz ... Wie verrückt muss man sein, um all das in ein relativ schmales, schnell geschriebenes Büchlein zu stopfen, ohne Angst davor zu haben, am Ende banal zu sein? Zur Sicherheit schreibt Schätzing in die Danksagung: "Sollten mir (...) Fehler unterlaufen sein, freue ich mich über entsprechende Hinweise." Dass er Post bekommt, ist zu erwarten, aber ein Thriller-Autor ist ja auch nicht die Harvard University Press.
Gibt es noch Halbprominente, die keine messianische Bio-Botschaft verkünden?
Stilistisch vagabundiert Schätzing zwischen autobiografischen Elementen ("Als ich klein war, kam in Köln der Klüttenmann"), humorigem Leitartikelgestus ("veganisiert in Reih und Glied") und Floskelhaftem ("Sobald wir wissen, wes Geistes Kind ..."). Das schadet dem Buch etwas. Nicht viel. Schätzing ist ein guter Tragwerksplaner. Was man wann wie erzählt: Das sitzt. Und ein paar Pages kann man ja auch mal ungelesen turnen. Am Ende hält man nicht den ultimativen Reißer, aber ein brauchbar übersichtliches Vademecum in der Hand, das eines leistet: Es ist anregend offen. Fast an jeder Stelle könnte man abzweigen und einen anderen Weg nehmen.
Seit einiger Zeit kann man sich auf solchen Wegen aber auch fragen, welcher Halbprominente noch nicht die messianische Bio-Botschaft in sich entdeckt hat. Dass Schätzing seinem Buch Zitate von Schopenhauer und Einstein und weitere Weisheiten (Dalai Lama, Leonardo DiCaprio) voranstellt, ist insofern auch zeichenhaft. Allein ist Schätzing nicht. Der Musiker Jean-Michel Jarre vertont den gefährdeten Regenwald. Der Schauspieler Hannes Jaenicke fragt im Buch danach: "Wie wir die Erde vor uns schützen können".
Dirk Roßmann, Drogist und derjenige, der Jonathan Safran Foers Buch "Wir sind das Klima!" gratis an alle Bundestagsabgeordneten hat verteilen lassen, man könnte das übrigens auch mit Bill Gates' "Wie wir die Klimakatastrophe verhindern" tun, hat ebenfalls einen Öko-Thriller ("Der neunte Arm des Oktopus") zwischen Zahnpasta und Eyeshadow-Palette im Angebot. Unter derart raumidealen Umständen ist der "Bestseller"-Aufkleber immer nur eine Frage von Tagen.
Die Autoren, die etwas zu Klimawandel, Ökologie, Naturschutz, Tierwohl oder Bäumen zu sagen haben, lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Doch etwas fällt auf: Wenn sich solche Leute an ein breiteres Publikum wenden, das für das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung nicht so leicht ansprechbar ist, liegt Kritik nahe. Oft ergeben sich dann Worte wie "unwissenschaftlich", "populistisch", "esoterisch". Kurz: belanglos. Das mag so sein, im Sinn der Umweltproblematik ist das Populäre aber die Lösung - und nicht das Problem. Discount-Ökologie: Das ist deshalb gut, weil es massenwirksam ist. Geradezu modisch. Statt nischenhaft für die Grünen der ersten Stunde mit dem Club-of-Rome-Wissen der Eingeweihten. Schön also, wenn sich Til Schweiger mit Jutebeutel fotografieren lässt.
Außerdem muss man Schätzing, im Grunde ein positiver Rationalist, dankbar sein, weil er in der Pandemie, da man überall was "mit Viren" haben will, um die Talkshows und ARD-"Extras" zu füllen, nicht vergisst, dass der Klimawandel nicht annähernd so publikumsintensiv verhandelt wird. Aber dafür viel mehr Thrill birgt. Realität ohne U. Im Ernst.