Die Favoriten der Woche:Fast verpasst im Ohrfeigenrausch

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Aref El Rayess, Untitled, 1977-78. Öl auf Leinwand, 80 x 110 cm. (Foto: Agop Kanledjian/Aref El Rayess Foundation, Aley,)

Vor lauter Will Smith haben wir Francis Ford Coppolas Friedensmission bei den Oscars fast übersehen. Die Empfehlungen der Woche.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Ausstellung in Berlin: "Beirut and the Golden Sixties"

Paris des Nahen Ostens. In keiner Rede über Beirut fehlt diese Floskel. Dass sie mehr als ein ausgeleiertes Klischee ist, zeigt jetzt die Ausstellung "Beirut and the Golden Sixties" im Berliner Gropius-Bau. Sam Bardaouil und Tim Fellrath lassen darin eine kulturelle Blütezeit wiederauferstehen, die Ende der 50er-Jahre begann und gegen die die Kunstmetropolen Paris oder New York plötzlich blass wirken: ein faszinierendes Nebeneinander von kosmopolitischem Lebensstil, ästhetischer Moderne und sexueller Libertinage. Kurze zwanzig Jahre, 1975 verwandelte dann ein 15-jähriger Bürgerkrieg die "Schweiz des Nahen Ostens" in eine Trümmerlandschaft ähnlich der der Ukraine heute.

In der elektrisierenden Schau springen einen die kreativen Energien dieser Zeit gleichsam körperlich an. Die zwei Kunsthistoriker wollen aber mit ihrem Parcours von 200, teils eigens für die Schau restaurierten Exponaten von der Malerei, historischen Plakaten bis zur Op-Art kein "Goldenes Zeitalter" nostalgisch verklären. Sonst hätten sie die Ausstellung nicht "Manifesto of Fragility" untertitelt. Schon Khalil Zgaibs Ölbild von 1958 gleich zu Beginn signalisiert: Das Kunstparadies Beirut war ein ständiger Tanz auf dem Vulkan. Auf dem Werk kreuzen amerikanische Kriegsschiffe durch den strahlend blauen Hafen. Joana Hadjithomas und Khalil Joreige schlagen den Bogen zur Gegenwart. Ein Dutzend im Kreis aufgestellte Bildschirme zeigen aus der Perspektive von Überwachungskameras des privaten Sursock-Museums den Moment, in dem die Explosion vom 20. August 2020 im Hafen Beiruts zwei Drittel der Stadt zerstörte. Eine Installation wie ein aktuelles Menetekel: Noch die prächtigste Kulturlandschaft kann in Sekunden zu Schutt und Asche verfallen. Den beiden Kuratoren mit Liebe zur Peripherie begegnete äußerste Skepsis, als die scheidende Kulturstaatsministerin Monika Grütters sie Ende vergangenen Jahres noch kurz vor dem Regierungswechsel überraschend als Direktorenduo von Berlins Hamburger Bahnhof durchdrückte. Nach dieser kuratorischen Glanzleistung sieht man ihrer Arbeit in dem vor sich hindümpelnden "Museum der Gegenwart" plötzlich mit äußerster Spannung entgegen. Ingo Arend

Al Pacino (l.), Francis Ford Coppola und Robert De Niro bei der Oscar-Verleihung. (Foto: ROBYN BECK/AFP)

Eine Friedensmission: Francis Ford Coppola bei den Oscars

Will Smiths Watsche bei den Oscars übertönte auch eine große Friedensmission: Francis Ford Coppola, fast 84, beendete eine der ältesten Hollywood-Fehden. Der Regisseur dankte anlässlich von 50 Jahren "Der Pate" zum 500 000. Mal dem Autor Mario Puzo - und erstmals überhaupt Robert Evans. Der Filmstudio-Dandy hatte 1971 darauf bestanden, das Mafia-Meisterwerk zu verlängern. Er beschimpfte Coppola: "Schmock! Du hast ein Epos gedreht und es in einen Trailer verwandelt." Weil er so viel Zeit in den Film steckte, verlor Evans seine Frau Ali MacGraw (an Steve McQueen), und Coppola redete Evans' Rolle konstant klein. (All das ist süffig nachzulesen in Evans Autobiografie: "Abgerechnet wird zum Schluss".) Evans starb 2019. Dennoch hat er von der Wahrheit mehr, als man denkt. Er selbst wusste ja, was er geleistet hatte. Spätestens jetzt weiß es auch der Rest der Welt. Milan Pavlovic

Marie-Alice Schultz bei ihrer ungehaltenen Rede "Faustdick". (Foto: Screenshot YouTube)

Stefanie Sargnagel und andere: Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen

Dieses schöne Gefühl von "Trotzdem" ist sofort wieder da, wenn man an den Bestseller von 1983 mit dem Untertitel "Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen" denkt. Darin ließ die Autorin Christine Brückner notorisch zum Schweigen gebrachte Frauen aus Literatur und Geschichte doch noch reden. In der Zeitschrift Neue Rundschau gibt es jetzt "Neue ungehaltene Reden ungehaltener Frauen" von Autorinnen von heute. Und obwohl es inzwischen fast zu viele Plattformen gibt, auf denen alle alles sagen können, erfährt man da, was Frauen immer noch vom Reden abhält: Scham ist vom Internet nicht besiegt, eher vergröbert worden. Männer, die Frauen übertönen, sind auch noch da. Dagegen hilft auch Humor, wie in der Geschichte einer sexuellen Selbstfindung von Stefanie Sargnagel im Band, die das heldinnenhafte "Trotzdem" zur grotesken Waffe macht. Marie Schmidt

Kurt Masur - The Complete Warner Classics Edition. (Foto: Warner)

Klassische Musik: Eine exzellente Edition von Kurt Masur

Der aus Niederschlesien stammende Kurt Masur, Sohn eines Elektroingenieurs, selbst gelernter Elektriker, wurde im letzten Kriegswinter noch zu den Fallschirmjägern eingezogen. Da war aber schon klar, dass die anvisierte Karriere als Pianist wegen einer irreparablen Fingerverletzung obsolet war. Dennoch studierte er von 1946 an in Leipzig Klavier, brach das Studium aber ab. Sein Wunsch zu dirigieren blieb, und tatsächlich schaffte er den Sprung zum Chef des legendären Leipziger Gewandhausorchesters. Drei Jahrzehnte lang prägte er diesen Klangkörper. Dort ereigneten sich jene musikalischen Höhepunkte, die nun in einer umfangreichen Edition (Warner) festgehalten sind. Dass er nach der Wende als Symbol der Freiheit als Chefdirigent zu den New Yorker Philharmonikern berufen wurde, war eher ein Politikum. Die New York Times wird später seinen "ungebrochenen Glauben an die Signalwirkung der Musik" loben. Doch ganz so unbedeutend war seine späte Zweitkarriere auch wieder nicht. Einige Aufnahmen, etwa die Siebte Symphonie von Anton Bruckner, aus dem Jahr 1991 belegen dies. Dennoch erstaunt im direkten Vergleich die hohe Qualität des Leipziger Gewandhausorchesters, dem man in puncto Klangqualität, Differenzierung, Präzision und Ausdruckskraft den Vortritt lassen muss. Dabei geht es nicht um Extreme. Kurt Masur ist eher der Mann der schlichten Klarheit, aber auch einer hocheffizienten Dramatik. Es fällt auf, sowohl bei Bruckner als auch bei anderen großen Romantikern, dass Masur hier nie in Gefahr kommt, das Tempo zu verschleppen. Selbst wenn es sehr ruhig wird und andere Dirigenten dem Drang nachgeben, Tempo rauszunehmen. Dass sich Masur dabei als exzellenter Tschaikowsky-Dirigent erweist, ist eine weitere Überraschung dieser Edition. Dazu kann man auch den noch immer etwas im Abseits stehenden Symphoniker Franz Liszt neu und umfangreich kennenlernen. Nicht nur in seinen programmatischen Symphonien, Fantasien und den beiden Klavierkonzerten, sondern vor allem in den 13 Weimarer Symphonischen Dichtungen, die in der fein austarierten Klanggestaltung und eher zurückhaltenden symphonischen Gewalt umso plastischer erscheinen. Helmut Mauró

Das Lügenmuseum in Radebeul: Gibt es wirklich

Von welcher Beschaffenheit sind die Exponate eines Lügenmuseums? Reinhard Zabka sagt, er sammele in Radebeul Dinge, die es gar nicht gibt. Ein Loch aus Mozarts Zauberflöte, das "Hörbild der verschollenen Kyritzer Knatter", auch der originale Sound der untergehenden Titanic, aber "20 Minuten danach"! Es geht Zabka um Geschichten zwischen Verwirrung und Chaos, man müsse als Besucher "seinen Sinn selbst kreieren". Denn das Museum zeichnet eine Ästhetik aus, die nicht mit Design arbeitet, "die armseligen Dinge stehen hier, wie sie sind". Keine Lüge, stattdessen komplizierte, auch bürokratische Realität: Das Museum ist wegen einer Auseinandersetzung um die es beherbergende Immobilie in seinem Fortbestand bedroht. Am Freitag lud es zum "Weltlügenball", hoffentlich ohne Begleitung eines Titanic-Orchesters. Cornelius Pollmer

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