Bildband "Witches in Exile":Die Verfolgten

Lesezeit: 2 min

In Ghana werden Frauen als Hexen diffamiert und aus ihren Dörfern vertrieben. Ein Bildband dokumentiert ihre Geschichte.

Von Carolin Gasteiger

Ihr Blick. Manche schauen entschlossen in die Kamera, andere fragend, wieder andere haben die Augen gar nicht erst geöffnet, was wiederum verzagt wirkt. Die Bilder vermitteln Traurigkeit, Leere, manchmal aber auch Kraft. Und immer wieder kommen die Hände in den Blick, sie liegen mal ruhig im Schoß, mal sind sie entschlossen gefaltet. Eines jedoch strahlen alle Aufnahmen aus: Würde.

Ann-Christine Woehrl porträtiert in ihrem Bildband "Witches in Exile" Frauen im Norden Ghanas, die aufgrund des Vorwurfs der Hexerei von ihren Familien getrennt und aus ihren Dörfern verjagt wurden. In der ärmsten Region des eigentlich stabilen und wirtschaftlich aufstrebenden Landes in Westafrika sind Aberglaube und Hexenverfolgung immer noch verbreitet. Man macht die Frauen für jede erdenkliche Art von Unglück verantwortlich, oft reichen ein schlechter Traum, ein Unwetter, finanzielle Probleme, oder der Tod eines Angehörigen aus. Ereignisse, für die Menschen einen Schuldigen suchen und Wege, ihre Ängste zu bewältigen.

Damu Dagon wurde von ihrer Familie ins Dorf Gambaga gebracht. Ein Mann hatte Ziegen gestohlen, wurde erwischt und machte Dagon dafür verantwortlich. (Foto: Ann-Christine Woehrl/Kehrer Verlag)

In eigens gegründeten Dörfern leben sie zusammen, meist ältere und verwitwete Frauen, aber auch Jüngere mit ihren Kindern. Es kursieren Geschichten über erfolgreiche Frauen, die von Verwandten oder von Konkurrenten denunziert, verfolgt und gefoltert, und manchmal keine andere Chance haben, als in die abgelegenen Ghettos zu ziehen.

Der Glaube an Hexen ist tief verwurzelt, dabei gilt das westafrikanische Land als eine Vorzeige-Demokratie. 2014 hat die Regierung angekündigt, diese sogenannten Hexendörfer zu schließen und die Frauen in ihre Familien zu reintegrieren, was aber nicht immer gelingt. Die Vernunft ist das eine, das andere ist die Angst. Ann-Christine Woehrl hat zwei der Dörfer besucht, Gambaga und Gushiebu, und irgendwann einfach ein schwarzes Tuch vor eine Hütte gehängt, so erzählt sie es jetzt am Telefon. Bitte sehr, Platz nehmen. Blick in die Kamera.

Auf die Idee war die deutsch-französische Fotografin 2005 über einen kleinen Artikel in der französischen Tageszeitung Le Monde gekommen, in dem es um Hexenverfolgung in Ghana ging, ein Thema, das gut in ihr Werk passt. Ann-Christine Woehrl, Jahrgang 1975, hat Fotografie in Paris studiert und arbeitete dort als Assistentin für die Fotojournalisten David Turnley und Reza sowie in der legendären Agentur Magnum. Das Ausgegrenztsein ist ein seit Jahren wiederkehrendes Motiv in ihrer Fotografie. Im Jahr 2014 veröffentlichte sie Bilder von Opfern von Säure- und Brandattacken aus Bangladesch, Kambodscha, Indien, Pakistan, Uganda und Nepal, vor zwei Jahren dokumentierte sie die Rückkehr ehemaliger Farc-Rebellinnen in ein normales Leben in Kolumbien.

Auch mit "Witches in Exile" widmet sie sich den von der Gesellschaft Ausgegrenzten und vollendet ein Projekt, das sie zwischendrin gestoppt hatte.

Viele Aufnahmen zeigen auch die Hände der Porträtierten, wie hier die von Habiba Abukari. (Foto: Ann-Christine Woehrl/Kehrer Verlag)

Vor dem schwarzen Hintergrund leuchten die bunten Kleider der Frauen, nichts lenkt von den Porträtierten ab. Woehrl fotografierte die Frauen immer abends, wenn sie von der Feldarbeit zurückkamen, kurz vor Sonnenuntergang, was die Farben auf besondere Weise zum Leuchten bringt. Es habe ein wenig gedauert, erzählt Woehrl, bis die Frauen Vertrauen zu ihr gefasst haben, aber dann hätte es sich herumgesprochen, und manche hätten sich sogar extra für die Kamera umgezogen. Pose, Ausdruck und Kleidung habe sie nicht arrangiert, sondern allein den Frauen überlassen. Das macht die Aufnahmen im Ergebnis vielseitig und interessant trotz des immer gleichen Aufbaus. Viele der Frauen wirken mitgenommen, die Falten tief, die Augen trüb. In manchen Gesichtern aber meint man jedoch ein Lächeln zu erkennen. Und genau das bezwecke sie, sagt Woehrl. Sie wolle das kollektive Stigma durchbrechen, das den verstoßenen Frauen anhaftet, und ihnen ihre Identität zurückgeben.

Ann-Christine Woehrl: "Witches in Exile", Kehrer-Verlag, Heidelberg 2021, 104 Seiten, 45 Euro. Die Ausstellung "Ann-Christine Woehrl: Die 'Hexen' von Ghana" läuft noch bis 5. September im Stadthaus Ulm

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Nach dem Fall von Kabul
:Hätten sie doch besser zugehört

Sieben Werke zu Afghanistan, die es wert sind, noch einmal aus dem Regal geholt zu werden.

Von SZ-Autoren

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: