Da sitzen sie unter Palmen und Hibiskusblüten, im Garten eines kleinen Hotels abseits der Croisette: Sandra Hüller, Peter Simonischek und Maren Ade. Am Vortag haben sie ihren Film "Toni Erdmann" im Wettbewerb von Cannes präsentiert, und alles, was danach passiert ist, lässt sie an diesem sonnigen Morgen etwas verstrahlt aussehen. "Solche Momente will man in Stille genießen", sagt Simonischek. "Wie Beckenbauer als frischgekürter Weltmeister. Allein in der Mitte des Spielfelds."
Und still ist es wirklich hier, im Auge des Orkans. Als Ausläufer des Wirbelsturms liegt allerdings eine Ausgabe von Le Monde auf dem Gartentisch, mit einem Foto von Maren Ade auf der Titelseite und einer Hymne innen drin. Und das Branchenblatt Screen liegt da, das seit vielen Jahren zwölf internationale Großkritiker nach ihren Meinungen zu jedem Film im Wettbewerb fragt. Von vier überhaupt möglichen Punkten hat "Toni Erdmann" 3,8 bekommen. Das ist - und jetzt bitte festhalten - der höchste jemals erreichte Wert.
Cannes hat diesen Film gesehen und verrückt gespielt. Erst die Kritiker, dann das Publikum, dann die gesamte Branche. Es ist schwer in Worte zu fassen, was das bedeutet, nachdem acht Jahre lang überhaupt kein deutscher Regisseur im Wettbewerb vertreten war. Will man im Beckenbauer-Bild bleiben, ist da ein Land über Jahre nicht einmal in die Nähe des Tors gekommen, und jetzt hat ein einziger fulminanter Schuss aus der Tiefe des Raumes den Kasten praktisch zerlegt.
All die Aufregung ist verdient
"Die heben wir mal auf", sagt Maren Ade über die Ausgabe von Le Monde. "Das passiert ja nun nicht so oft." Und Sandra Hüller fügt an: "Was hier genau geschieht, werde ich ganz sicher erst zu Hause begreifen."
Mal abgesehen davon, dass kein Film einem Hype von der Größe, wie er hier gerade entsteht, überhaupt noch gerecht werden kann, hat "Toni Erdmann" all die Aufregung tatsächlich verdient. Nur, wie soll man dieses irre Erlebnis nennen? Eine gnadenlos präzise Milieustudie - aber welche gnadenlos präzise Milieustudie erntet tobendes Gelächter und Szenenapplaus? Ein bewegendes Vater-Tochter-Drama - aber in welchem bewegenden Vater-Tochter-Drama spielen Handschellen und Furzkissen eine tragende Rolle? Ein urdeutscher Film, der jede Vorstellung vom deutschen Kino sprengt? Ein Feelgood-Movie, das praktisch nur aus Feelbad-Momenten besteht? Alles nicht ganz falsch.
Nur die einfache Nacherzählung des Plots, die führt ein wenig in die Irre. Da ist nämlich, einerseits, der pensionierte, altlinke und ziemlich vereinsamte Musiklehrer Winfried (Peter Simonischek), der immer ein Faschingsgebiss in der Hemdtasche trägt. Deppenzähne rein, Perücke auf, ein triumphierendes Grinsen ins Gesicht, und schon quatscht er die Welt mit frei improvisiertem Unsinn zu. Aber dann stirbt sein Hund. Klingt doch einfach - ein trauriger Clown.
Andererseits ist da Ines (Sandra Hüller), seine etwa dreißigjährige Tochter, die ihre Rüstung aus Bluse und Businesskostüm seit Jahren nicht mehr abgelegt hat. Eine furchterregend kompetente Frau, die als Unternehmensberaterin in Bukarest arbeitet, viel Effizienz ins Land und viele Rumänen um den Job bringt. Zum Leben kommt sie eher nicht, und noch weniger dazu, mal ihren Vater anzurufen. Klingt auch nicht kompliziert - eine steife, vom Kapitalismus sich selbst entfremdete Karrierefrau?