Filmfestival:Ja, wo saufen sie denn?

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Wo Mick Jagger oder Woody Allen auftauchen spielt natürlich die Musik - trotzdem gilt für alle Gäste in Cannes die Regel: Die andere Party ist immer die bessere.

Tobias Kniebe

Die drängendste Frage bei einem Festival wie diesem ist natürlich immer die, ob man nicht gerade ganz woanders sein sollte. Dies kann man, einer leichten Paranoia folgend, meist sofort bejahen, denn garantiert wird vor allem dort Film- oder zumindest Partygeschichte geschrieben, wo man selbst just in dem Moment eben nicht ist. Und natürlich keine Einladung hat. "Lass uns diese andere Party crashen", das ist einer der Schlüsselsätze in Cannes.

Sicher richtig ist man dort, wo Woody Allen ist: Auf die Frage, wie er sein Verhältnis zum Tod beschreiben würde, antwortet er: "Ich bin strikt dagegen." (Foto: Foto: Reuters)

Wir waren dumm und sahen gut aus

Ob das auch dem großen Mick Jagger so geht? Er kommt zur Weltpremiere der neuen, von den Rolling Stones selbst bestellten Dokumentation "Stones in Exile", die von jenem Sommer 1971 in Südfrankreich handelt, in dem das legendäre Album "Exile On Main Street" entstand. Jagger findet sich dabei in der normalerweise stillen Seitenstraße Rue Amouretti wieder, wo sonst Hardcore-Cineasten auf unbekannte Entdeckungen hoffen. Dort ist der Eingang zum Kino der Nebenreihe "Quinzaine des Realisateurs".

Dort gibt es keine Freitreppe und keine glamouröse Palmenkulisse - aber wo Jagger auftaucht, spielt natürlich trotzdem die Musik. Als die drängelnden Kamerateams und Paparazzi überwunden sind, und der Film für all jene losgeht, die anderthalb Stunden Schlangestehen überstanden haben, hat Sir Mick eine launige Einleitung parat: "Nixon war im Weißen Haus, in Vietnam lief ein Krieg", sagt er. "Wir waren dumm und sahen gut aus. Heute sind wir nur noch dumm."

Andernorts ahnt man indes, dass man richtig ist. Auf einer Pressekonferenz mit Woody Allen etwa, der hier seine neueste, nicht wirklich romantische Bäumchen-wechsel-dich-Komödie "You Will Meet A Tall Dark Stranger" vorstellt. Die Frage ist logischerweise, wer dieser hochgewachsene, dunkle Fremde aus dem Titel denn sein könnte. Antonio Banderas vielleicht, der in einer kleineren Rolle auftaucht?

Eine Freude für die Weltpresse

Eher unwahrscheinlich - der ist in Cannes nämlich gar nicht erschienen, anders als seine Ko-Stars Naomi Watts und Josh Brolin. Banderas fehlt sogar, quelle horreur, ohne Entschuldigung. Ein Journalist möchte wissen, ob der titelgebende Fremde nicht auch der sogenannte Sensenmann sein könnte, und wie denn Allen sein Verhältnis zum Tod beschreiben würde. "Ich bin strikt dagegen", sagt Woody, zur großen Freude der Weltpresse.

Ein Mann, auf den eben Verlass ist - selbst wenn er mit seinen 74 Jahren nun schon fragiler aussieht als sein portugiesischer Kollege Manoel de Oliveira. Der ist mit 101 Jahren der älteste Cannes-Besucher, und hat - praktisch um jeder Idee der Sterblichkeit Hohn zu sprechen - auch noch seinen brandneuen Film "O Estranho Caso De Angelica" mitgebracht.

Bei der Vorführung filmhistorischer Juwelen in der Reihe "Cannes Classics" würde man spontan keine geballte Starpower vermuten, aber im Publikum bei Luchino Viscontis traumhaft restauriertem Jahrhundertwerk "Der Leopard", das von Martin Scorsese, Alain Delon und Claudia Cardinale vorgestellt wird, ist das anders. Da sammeln unter anderem Kate Beckinsale und Benicio Del Toro Fleißpunkte in Sachen Filmwissen - sie sind gemeinsam in der Palmenjury und verstehen sich, wenn man dem Augenschein trauen darf, auch sonst prächtig. Etwas weiter sitzt Salma Hayek, dahinter Juliette Binoche, und dann nimmt auch noch die neue französische Schnute-du-Jour Léa Seydoux Platz. Die Welt entdeckt die aufstrebende Actrice gerade als junge Königin in Ridley Scotts "Robin Hood", aber mal ehrlich: Was soll karrieremäßig schon schiefgehen, wenn der Großvater Chef des französischen Kinoriesen Pathé ist - und der Großonkel Chef des anderen französischen Kinoriesen Gaumont?

Der Hunger treibt einen weiter

Bei anderen Gelegenheiten ahnt man bald, dass die Dinge irgendwie in die falsche Richtung laufen - etwa beim sogenannten "Deutschen Empfang" mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Bevor man ein Ticket für die Ministerrede zur Lage des Kinos bekommt, muss man dreimal beim Stand der Promotionagentur "German Films" vorsprechen, die Christian Dorsch, die amtierende Schlaftablette der deutschen Filmwirtschaft, zu seiner kleinen bürokratischen Festung ausgebaut hat. Auf dem Empfang selbst sind dann zum Beispiel Mario Adorf und Volker Schlöndorff da, die in Cannes einen um etwa zwanzig Minuten verlängerten Director's Cut ihrer "Blechtrommel" vorstellen. Doch schon sehr bald treibt einen der Hunger weiter, weil es bei den Deutschen traditionell nichts zu essen gibt.

Auch bei der großen Schweppes-Party im wunderschönen Hotel Belles Rives in Juan-les-Pins hätte man wohl gewarnt sein können - ist es doch schwierig, von Schweppes betrunken zu werden. Der Getränkekonzern hat dort draußen am Cap d'Antibes während des Festivals wirklich das gesamte Hotel übernommen, aber es wird gnädigerweise doch Champagner gereicht - und natürlich fürstlich gespeist. Nach dem Essen heißt es, die bekannte französische Schauspielerin Judith Godrèche würde jetzt singen. Am Tisch überlegt eine Gruppe junger, als Harlekine verkleideter Hipster-Franzosen, aus welchen Filmen man die bekannte Schauspielerin denn nun kennen könnte, es fällt aber keinem etwas ein. Nach dem ersten Lied ist dafür etwas anderes klar: Die Dame sollte unbedingt dem Kino treu bleiben.

Braungebrannte Goldkettchen-Franzosen

Bekommt man in solchen Momenten diesen leicht abwesenden, an Verdauungsprobleme erinnernden Gesichtsausdruck, der signalisiert, dass man jetzt gerne sofort ganz woanders wäre? Den konnte man exemplarisch an Benicio Del Toro beobachten, und zwar bei der Eröffnungsparty im Hotel Majestic an der Croisette. Del Toro stand mit einem Bodyguard in der Ecke und ließ mit erschöpftem Grinsen einen Strom braungebrannter Goldkettchen-Franzosen an sich vorüberziehen, die alle den Drang verspürten, ihren geliebten Dr. Gonzo aus "Fear and Loathing in Las Vegas" mal kräftig an die Brust zu drücken. Del Toro machte das freundlich mit; einmal, zweimal, dreimal, dann beugte er sich zu seinem Begleiter und bewies, Starruhm hin, Oscar her, dass er fühlt wie wir alle. "Lass uns diese andere Party crashen", flüsterte er.

© SZ vom 28.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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