Filmfestival in Iran:Im Kampf gegen den Hollywoodismus

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Eine Teilnehmerin bei der sogenannten "Hollywoodism"-Konferenz in Teheran Anfang Februar.  (Foto: dpa)

"300", "The Dictator" und "Argo" - ist die US-Filmindustrie Teil einer zionistisch-imperialistischen Verschwörung? Beim Fajr-Filmfestival in Teheran erfuhr man einiges über iranische Pläne, der vermeintlichen US-Propaganda im Kino eigene Werke entgegenzusetzen.

Von Amin Farzanefar

Teheran liegt auf einer Höhe von 1500 Metern, da bleibt einem schon einmal die Luft weg. Die Luftverschmutzung wird immer schlimmer: Wegen der boykottbedingten Lieferbeschränkungen wird der Sprit für dreieinhalb Millionen Autos selbst gebraut. Und so zählt die Kapitale zu den schmutzigsten Städten der Welt. An guten Tagen ragt der Miladtower - im Sockel des elfthöchsten Turm der Welt tagt das Filmfestival - aus dem Smognebel hervor. Aber auch dort spürt man: Iran ist in der Krise.

Das ganze Festival stand zeitweilig in Frage, es hieß, es gebe kaum Zelluloidmaterial für die Filmkopien. Die Organisation war noch chaotischer als sonst: Der Katalog war erst fertig, als das Festival schon drei Tage lief, Untertitel gab es nur im Einzelfall, die Flüsterübersetzung für die ausländischen Korrespondenten und Kuratoren, von denen man diesmal kaum eine Handvoll ausmachen konnte, wurde irgendwann auch beendet. Dem einheimischen Publikum immerhin wurde einiges geboten: Michael Hanekes "Liebe", Volker Schlöndorffs Résistance-Film "Meer am Morgen" und Roman Polanskis fieses Kammerspiel "Carnage".

Wesentlich mehr internationale Gäste als das Festival selbst hatte eine Tagung am Rande, die "Dritte Internationale Konferenz über Hollywoodismus und Kino". Vier Tage lang diskutierten im Luxushotel Azadi - der Name bedeutet Freiheit - 50 Experten aus überwiegend westlichen Ländern über Islamophobie und Iranophobie: die Negativklischees des Westkinos bezüglich Islam und Iran. Wer diskutieren will, muss ja wissen, worüber - als Anschauungsmaterial gab es neben Zack Snyders martialischer Historien-Schlachtplatte "300", zu der Iran bereits 2007 eine Protestnote eingereicht hatte, auch frischere Ware: Sacha Baron Cohens Autokratenkomödie "Dictator" und vor allem Ben Afflecks Geiselrettungsdrama "Argo" Da geht es um einen CIA-Agenten, der 1979, während der Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran, sechs weitere Geiseln aus dem Land schmuggelt, indem er sie als sein Filmteam für einen trashigen Science-Fiction ausgibt.

Eine Replik auf "Argo" angekündigt

Die Konferenzteilnehmer verstehen sich als Teil einer Bewegung, die Afrika, Asien, Lateinamerika umspannt und Anschluss an Occupy sucht. Ehrbare Ansätze, die konkrete Gestaltung erwies sich allerdings als höchst tendenziös: Man prangerte "die Darstellung moralischer Werte" oder "die Ausbeutung der Frauen und die Unvereinbarkeit mit Familienwerten" an, bezeichnete die Darstellung des 11. September in Hollywoods Sichtweise als "Täuschung der Öffentlichkeit". Letztlich wird die US-Filmindustrie als Teil einer zionistisch-imperialistischen Verschwörung betrachtet; bereits auf der Konferenz 2012 waren einige notorische Holocaustleugner erschienen, neben durchaus seriösen Wissenschaftlern auch Oliver Stones Sprössling Sean, der zum Islam konvertiert ist. Ob mit seriösen oder zweifelhaften Mitteln, den Veranstaltern scheint es vor allem um die zwingende Schlussfolgerung zu gehen, der Westen sei angesichts zahlloser Protestbewegungen am Ende und einzig der Islam verspreche Heil . . .

Wenn die Filmemacherin Beatrice Pignede fordert, Hollywoods Übermacht durch die Stärkung der unabhängigen Medien und des Internet zu begegnen, muss man ergänzen, dass sie dies in einem Land mit strenger Internetzensur vorträgt, in dem wenige Tage zuvor 16 Journalisten verhaftet wurden. Die Polemik gegen die westliche Kulturindustrie scheint vor allem Rückprojektion zu sein. Kurz vorher hat der Iran eine Replik auf "Argo" angekündigt, die der verzerrten und einseitigen amerikanischen Version eine auf Augenzeugenberichten basierende Fassung der historischen Wahrheiten rund um die Geiselnahme von 1979 entgegenstellen will. Die Ausreise war natürlich lange nicht so dramatisch wie im Finale von "Argo". Man darf gespannt sein, ob in der iranischen Variante dann ein prekäres Detail auftaucht, von dem man sich in Teheran erzählt: Die Behörden erfuhren erst mit siebentägiger Verspätung von der Flucht der Geiseln.

Das dürfte dann ein Projekt werden, das keiner zu behindern versucht. Ideal waren die Bedingungen fürs Filmemachen in Iran noch nie, aber gerade die Zensur hatte zur Entwicklung einer komplexen, doppeldeutigen Bildsprache geführt. Derzeit sind die Beschränkungen besonders einschneidend - trotzdem sind wieder 80 Filme gemacht worden. Die Kinder, von denen früher viele iranische Filme erzählten, die auf internationalen Festivals erfolgreich waren, sind junge Erwachsene geworden, müde und mürbe. Früher ging es um Solidarität, jetzt um hemmungslose Gier auf Geld. "Wir sind füreinander zu Wölfen geworden" sagt ein Taxifahrer auf dem Weg zum Miladtower. Solche Äußerungen hört man häufig, im Taxi und in den Filmen.

Das Kino reagiert zwar auf die Krisenstimmung, aber leider überwiegend durch Verdrängung und ideologischen Exzess. In "A Cradle for Mother" erhält die fleißige Theologiestudentin das lang ersehnte Stipendium nach Moskau, steht dann aber zwischen ihrer Berufung und der pflegebedürftigen Mutter. Eine überdeutliche Message: Tatkräftige Frauen finden im Islam Erfüllung, bleiben aber auf die Opferrolle festgelegt. Das ist ein bisschen, als habe man den Humanismus der Kinderfilme von vor zwanzig Jahren zur religiösen und moralischen Botschaft übersteigert.

Mit solch konformen Stoffen können sich Regisseure rehabilitieren, die sich 2009 allzu solidarisch mit der Grünen Bewegung erklärt hatten. Insbesondere nach den Wahlunruhen sind die Räume für die Filmschaffenden enger geworden: es kam zu Verhaftungen, Berufsverboten und zur Schließung des unabhängigen Verbandes "Khaneh Cinema". Gesellschaftskritik ging trotzdem - solange es keine offensichtliche Systemkritik war. Asghar Farhadis Berlinale- und Oscarerfolg "Nader und Simin - Eine Trennung" war repräsentativ für eine ganze Reihe sozialrealistischer Filme über die Krise eines Mittelstandes, der durch die zugespitzten ökonomischen und ideologischen Begrenzungen gelähmt ist. So gab es auch im letzten Jahr, neben bleiernen Moralstücken und obligatorischen Kriegsfilmen über den Iran-Irak-Krieg, eine Handvoll guter Filme. Dieses Jahr sind es eher weniger. Und das Interesse der Teheraner scheint auch abgenommen zu haben. Die Eintrittspreise wurden gesenkt, weil die Festivalleitung schon im Vorfeld befürchtet hatte, sonst käme kaum noch jemand: Man kann in Teheran so ziemlich jeden Film, den es auf der Welt gibt, als Raubkopie kaufen und sich zuhause anschauen.

Eine Beobachtung: die internationale Isolation und die Kontrolle der Öffentlichkeit führen auch in den Filmen immer mehr zur Verlagerung der Handlung ins Innere, in geschlossene Räume. Parviz Shahbazi lässt "Darband" nach einer atemberaubenden, ein Roadmovie versprechenden Eröffnungssequenz in den Zimmern einer illegalen Studentinnen-WG versanden. Auch hier geht es um Geld, Gier und Betrug: Eine Studentin türmt schließlich mit dem Geld der anderen in den Westen.

"Acting Class" von Reza Davoudnejad ist ein sehr verrücktes Familiendrama, mit Handkamera, eingeschnittenen Kommentaren der Darsteller und des Regisseurs, im Stil eines Filmworkshops - lustvoll, spielerisch, avantgardistisch und fast ausschließlich in einer Wohnung gedreht. So entsteht ein quicklebendiges, spontanes Porträt einer iranischen Großfamilie. Davoudnejad fungiert darin als eine Art Conferencier, kommentierte mit Filzstift und Flipchart den Handlungsverlauf. "Die Welt ist nicht gut", klagte die unglückliche Großmutter im Film. "Dann machen wir eben eine neue!" sagt der Regisseur munter, wischt den Satz aus. Der spontane Applaus, der in einem solchen Moment im Kinosaal aufbrandet, erzählt davon, dass das Publikum immer noch Hoffnung hat.

Den Kapriolen diesmal nicht mehr recht folgen

Dariush Mehrjui, Gründervater der Iranischen "Nouvelle vague" in den 1970ern, stellte "How great you're back" vor, darin feiern alte Freunde am Kaspischen Meer einen Heimkehrer: ein überraschend vertrauter Mittelstand, der mit Yoga, Heilsteinen und anderen Substanzen experimentiert, darin klingt die Suche an nach einer Alternative zur verordneten Religiosität. Mehrjui, seines turbulenten Lebenswandels wegen umstritten, setzte den moralinsauren Perspektiven des diesjährigen Fajr-Festival etwas Dionysisches entgegen - das Publikum mochte aber den Kapriolen diesmal nicht mehr recht folgen.

Immerhin wird Mehrjui eine Vorführung in einem großen Kino zugestanden, weniger genehme Filme werden in Spätvorstellungen in kleinen Sälen versteckt. Die unabhängigen Filmemacher gehören beim Fajr-Festival nicht recht dazu, aber anderswo auch nicht - manche sind enttäuscht, dass die Berlinale den neuen Film des verurteilten Regiestars Jafar Panahi ungesichtet in den Wettbewerb aufnahm, während andere Filme, die zwar unter schwierigsten Umständen, aber ohne Skandal gemacht werden, keine Chance haben bei den großen Festivals.

"Parviz" von Majid Barzegar gehört zu den wenigen Filmen, die es auf die internationalen Festivals geschafft haben. Parviz, etwa fünfig, kann keine emotionale Bindung zu seiner Umwelt aufbauen, sein Vater wirft ihn aus der Wohnung. Das rührt an viele virulente Themen: Aussichtslosigkeit, fehlendes Gemeinschaftsgefühl, eine auf Machtstrukturen beruhende Ordnung, allgemeiner sozialer und wirtschaftlicher Notstand. Bei der zweiten Spätvorführung von "Parviz" im Azadi-Kino gab es lange Schlangen, in Sprechchören forderte das Publikum Einlass, schließlich drohten die Sicherheitskräfte mit Tränengas. Da ist er auf einmal wieder: der Protest der Straße.

© SZ vom 15.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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