Wettbewerb der Berlinale:"Er sollte hier sein!"

Jafar Panahi

Vor dem Berlinale-Palast weist ein riesiges Poster auf die Abwesenheit von Regisseur Jafar Panahi hin - sein Film "Pardé" musste beim Festival ohne ihn gezeigt werden.

(Foto: AFP)

Wie fühlt es sich an, lebendig begraben zu sein? Und wie kann im Gefängnis Kreativität entstehen? Die Berlinale zeigt "Camille Claudel 1915" mit Juliette Binoche und das karge Kammerspiel "Pardé" aus Iran - Regisseur Jafar Panahi durfte zur Premiere seines Films nicht anreisen.

Von Martina Knoben, Berlin

Jafar Panahi wird nicht kommen; eine Festivalsprecherin teilte am Dienstag die traurige Nachricht mit. Eine Überraschung ist das nicht - und doch hatte man gegen alle Wahrscheinlichkeit gehofft, dass Iran die Fesseln des Regisseurs ein wenig lockern möge, der 2010 in seiner Heimat zu sechs Jahren Haft, 20 Jahren Berufsverbot und Reiseverbot verurteilt wurde. Noch am Montag hatte die Bundesregierung Iran aufgefordert, Panahi die Teilnahme an der Premiere seines Films "Pardé" (Geschlossener Vorhang) zu ermöglichen.

Nun repräsentieren Panahis Ko-Regisseur Kamboziya Partovi und die Darstellerin Maryam Moghadam den Film. Womöglich ist der Regisseur dadurch jedoch umso präsenter. Demonstranten hatten im Umkreis des Berlinale-Palastes lebensgroße Pappfiguren mit seinem Foto aufgestellt und der Mahnung: "Er sollte hier sein!". Vertreter der Deutschen Filmakademie übergaben am Dienstag der Iranischen Botschaft einen Protestbrief.

Panahis Film entstand trotz des Berufsverbotes und wurde auf ungenannten Wegen ins Ausland geschmuggelt. (Sein erster Film nach dem Arbeitsverbot, "Dies ist kein Film", fand 2011 auf einem USB-Stick gespeichert in einem Kuchen den Weg nach Cannes.) Panahi hat es also wieder getan und einen zweiten unerlaubten Film gedreht. Dazu gehört Mut, immerhin kann die Gefängnisstrafe, zu der er verurteilt wurde, jederzeit vollstreckt werden. Wie es sich anfühlt, in diesem Limbus des Wartens, der Isolation und permanenten Unsicherheit festzustecken, lässt sich in "Pardé" sehr gut nachvollziehen. Der mit großer Spannung erwartete Film ist eine - auch für den Zuschauer zwischendurch anstrengende - Selbstreflexion des Regisseurs; ein karg instrumentiertes Kammerspiel, das mit bescheidensten Mitteln realisiert wurde. Andere stehen dem Regisseur schließlich nicht zur Verfügung.

Panahi lässt darin zwei Filmfiguren auf ihren Regisseur treffen: einen Schriftsteller (gespielt von Ko-Regisseur Partovi), der sich mit seinem Hund, den er nicht besitzen darf, da das Tier als unrein gilt, in ein Ferienhaus am Kaspischen Meer zurückgezogen hat. Zu ihnen stößt eine junge Frau, die angeblich von der Polizei verfolgt wird. Hochsymbolisch ist diese Anordnung, aus der Panahi ebenso aufgeladene Bilder gewinnt. Der Film beginnt mit dem Blick durch ein Fenstergitter und eine ebenfalls aus Gittern bestehende Balkonbrüstung hinaus aufs Meer - mehr Stäbe und mehr Sehnsucht hindurchzuschlüpfen ins Weite, lassen sich in einer Einstellung kaum unterbringen.

Der Schriftsteller aber zieht erst einmal alle Gardinen zu, hängt zusätzlich schwarzen Stoff vor die Fenster. "Pardé" ist der Film eines mutigen Mannes über das Gefühl, Angst zu haben. Und er stellt die Frage, wie ein Mensch unter solchen Umständen kreativ sein kann. Auch die Todessehnsucht ist präsent in diesem Gefängnis, in Gestalt der mysteriösen Frau, die aus dem Meer kommt und wieder dorthin zurückkehrt. Dass sie und der Schriftsteller Kopfgeburten, vielleicht Alter Egos des Regisseurs sind, ist spätestens dann klar, als Panahi selbst auftritt. Er entfernt die Vorhänge vor den Fenstern, seinen Selbstmord macht er rückgängig. Dabei rettet ihn die Filmtechnik. Die Bilder, in denen er ins Wasser des Kaspischen Meeres steigt, werden zurückgespult, woraufhin er sich rückwärts zappelnd wieder in sein Leben begibt.

So richtungslos die meisten Festivals am Anfang dahin zu treiben scheinen, ergibt sich irgendwann meist doch ein roter Faden. In Berlin war es in den letzten Tagen das Motiv des Eingeschlossenseins, das Gefühl, lebendig begraben zu sein, das so unterschiedliche Arbeiten wie "Vic+Flo", "La Religieuse", "Pardé" und "Camille Claudel 1915" von Bruno Dumont verbindet. Seine Hauptdarstellerin Juliette Binoche, so erzählt es Dumont im Interview, habe erst den Anstoß zu seinem neuen Film gegeben, weil sie mit ihm hätte arbeiten wollen. Erst danach kam die eigentliche Filmidee - mit dem reizvollen Ergebnis, dass dieser Extremregisseur, der immer erklärt hat, kein Interesse an Schauspielern zu haben, nun einen ausgesprochenen Schauspielerfilm gedreht hat.

Binoches Gesicht als Camille ist sensationell, es ist jenseits von Schönheit. Ein Kriegsschauplatz. Das Gesicht einer verhärmten, schon länger nicht mehr jungen Frau, die Lebenskatastrophen erfahren hat, die sich nicht mehr integrieren ließen. Der Film spielt fast ausschließlich in der psychiatrischen Anstalt im Süden Frankreichs, in der die Bildhauerin Camille Claudel auf Betreiben ihrer Familie die letzten Jahrzehnte ihres Lebens untergebracht war. Dumont lässt die Insassen von tatsächlich Geistigbehinderten spielen, auch die Pflegerinnen, die sie versorgen, sind echt.

Die Anstalt gewinnt dadurch eine verstörende Präsenz. Es gibt versöhnliche Filme über Behinderte - dieser gehört nicht dazu. Gelegentlich fühlt sich Camille angesprochen von einer Mitinsassin, durch eine energisch auf den Platz neben sich klopfende Hand, oder angezogen von einem Theaterstück, das die Behinderten einüben. Meistens aber stoßen ihre Mitinsassinnen sie ab. Es gibt keinen Halt am Anderen, keine Erlösung, auch kaum Sprache. Nur manchmal bricht es aus Camille heraus - dann wirkt sie, die meistens vergleichsweise normal erscheint, getrieben von ihrem Verfolgungswahn. Camilles Bruder Paul (Jean-Luc Vincent) will Gott in allen Menschen und Dingen erkennen. Das wäre ein Trost - aber wollen wir diesem seltsamen Heiligen folgen? In jedem Fall erscheint das Irdische als ein Limbus, wie diese Anstalt, in der Camille auf nichts mehr wartet. Wie lässt sich da kreativ sein?

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