Film:Mein Mensch

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Die Augsburger Puppenkiste produziert ihre "Weihnachtsgeschichte" erstmals für das Kino. Herausgekommen ist ein außergewöhnliches Theatererlebnis, kein animiertes Spektakel

Von Barbara Hordych

Über die alljährlich geäußerten Befürchtungen, "gibt es heuer eine weiße Weihnacht?" kann Klaus Marschall, der Leiter der Augsburger Puppenkiste, nur schmunzeln. Denn in seiner Version der "Weihnachtsgeschichte", die an den vier Adventssonntagen erstmals im Kino zu sehen ist, schneit es nicht. Warum eigentlich nicht? "Wir wollten keine Südtiroler Berglandschaft haben, sondern die Geschichte dort hinsetzen, wo sie passiert ist, nämlich in Nazareth und Bethlehem, da schneit es selbst im Winter nicht", erklärt Klaus Marschall im Café der Augsburger Puppenkiste. Die befindet sich seit 1948 im ehemaligen "Heilig-Geist-Spital" - und im Zuschauerraum spenden noch dieselben Leuchter Licht, die der Gründer Walter Oehmichen einst aus dem alten, zerstörten Augsburger Rathaus geholt hatte.

Zeitlich wie räumlich verfügt das kleine Theater über eine große Strahlkraft - aus kaum einer Kindheit der Sechziger- und Siebzigerjahre sind die Fernsehproduktionen "Urmel aus dem Eis" oder "Jim Knopf" wegzudenken, und die Gastspiele der "Kiste" führten bis in die USA, nach Kuwait und Japan. Mehr als fünf Millionen Zuschauer haben in den vergangenen 66 Jahren das Theater besucht, das Marschall 1992 in der dritten Generation der Familie Marschall-Oehmichen übernommen hat. Die Figuren, die über Jahrzehnte seine Mutter geschnitzt und seine Großmutter angezogen hat, werden heute zum großen Teil von seinem drei Jahre älteren Bruder Jürgen geschaffen. So auch die 23 neuen Akteure der "Weihnachtsgeschichte", die 2014 Premiere hatte.

"Es ging uns darum, die biblische Erzählung wieder in den Mittelpunkt des Festes zu bringen. Ich denke, dass über die vielen Geschichten um Weihnachten die eigentliche biblische Geschichte über die Geburt Jesu ein bisschen zu sehr in den Hintergrund gerückt ist", erklärt Marschall. Selbst als er seinen Mitarbeitern - zu denen 16 fest angestellte Puppenspieler gehören - seine Idee vortrug, fragten die zurück: "Ah, die Weihnachtsgeschichte von Dickens?" Er hingegen habe schlicht an die Weihnachtsgeschichte gedacht, wie er sie früher von seinem Großvater unterm Weihnachtsbaum vorgelesen bekommen hat.

Den Anstoß hatte ein Klezmer-Konzert gegeben, das Susanne Ortner mit ihrem Ensemble Sing Your Soul seinerzeit im Foyer des Hauses gegeben hat. "Beim Anhören der Musik entstanden Bilder vor meinem geistigen Auge: Ich sah Karawanen durch die Wüste ziehen, sah Kamele im Sand. Da habe ich mir überlegt: Wo fängt die eigentliche Geschichte an? Wir lassen sie auf der Baustelle beginnen, wo Josef der Zimmermann für seine zukünftige Familie ein Haus errichtet." Es folgen die Verkündigung durch den Engel, die Wanderung durch die Wüste, die Herbergssuche und die Ankunft der drei Weisen Kaspar, Melchior und Balthasar beim neugeborenen Heiland. Soweit, so bekannt. Neu hinzugekommen ist in Marschalls Inszenierung aber der kleine Esel Noel, der als Erzählerfigur durch das Geschehen führt (Tiere konnten in der "Kiste" schon immer sprechen). Und gegenüber seinesgleichen Maria und Josef als "meine Menschen" bezeichnet.

Überhaupt ist Sprache wichtig in dieser Aufführung - König Melchior redet mit österreichischem Akzent, König Kaspar ist Ungar, und Erzengel Gabriel, der mitunter recht unsanft vom Himmel fällt, spricht jiddisch. "Die Figuren kommen schließlich aus unterschiedlichen Teilen der Welt - das war uns als Botschaft ganz wichtig", sagt Marschall. Dessen Lieblingsfigur ist übrigens das Kamel, das sich in weisen Sprüchen gefällt und anders als seine Artgenossen den Blick auch mal gen Sternenhimmel richtet.

Im Theater erhielt die "Weihnachtsgeschichte" so viel Zuspruch, dass Marschall zugriff, als sich die Gelegenheit bot, sie auf der Leinwand einem größeren Publikum zugänglich zu machen. "Obwohl wir normalerweise unsere Aufführungen nicht abfilmen - und umgekehrt unsere Fernsehproduktionen nicht auf die Bühne bringen", erklärt Marschall. Denn 40 Schauplätze, wie sie sie einst für "Jim Knopf" im Fernsehen entwickelten, ließen sich im Haus selber nicht bewerkstelligen. Und die Intensität einer Bühneninszenierung lasse sich nicht einfach auf das Fernsehen übertragen.

"Trotzdem sind wir uns sicher, dass die Weihnachtsgeschichte im Kino funktioniert - durch den abgedunkelten Raum, das Gemeinschaftsgefühl, die Konzentration." Eine Voraufführung beim Kinderfilmfestival vor kurzem in Starnberg habe gezeigt: Die jungen Zuschauer lauschten gebannt, waren mucksmäuschenstill - bis zum Schluss, wenn Esel, Ochse und Kamel "Stille Nacht" anstimmen.

Die Weihnachtsgeschichte ; Augsburger Puppenkiste , So. 27. Nov., 4., , 11. und 18. Dez., Spielorte siehe Kinoprogramm

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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