Toxische Männlichkeit:Männer, warum stemmt ihr euch gegen ein moderneres Rollenbild?

Wandkreuze für Freistellungen fotografiert im Laden Kirchenbedarf Schreibmayr, Senserstr. 15 (Ecke Implerstraße)

Jesus war gewissermaßen der erste Mann, der sich von dem, was man heute als toxische Männlichkeit bezeichnet, befreit hat.

(Foto: Florian Peljak)

Eigentlich wurde der moderne Mann schon im Neuen Testament erfunden. Doch noch immer propagieren Intellektuelle ein traditionelles Machotum, das dem Zusammenleben schadet.

Kommentar von Jagoda Marinić

Ostern ist eine hervorragende Zeit, um über Männer nachzudenken. Gläubige Christen feiern die Auferstehung Christi von den Toten, alle anderen feiern den Feiertag. Ausreichend Zeit, sich klarzumachen, dass Jesus gewissermaßen der erste Mann war, der sich von dem, was man heute als toxische Männlichkeit bezeichnet, befreit hat. Er kam zu uns, die rauen Botschaften des Alten Testaments durch eine Liebesbotschaft zu ersetzen. Er trug die Haare lang und das Markenzeichen seiner Gesichtszüge ist bis heute diese männliche Weichheit. Er begeisterte Menschen für seine Ideen, er war das, was man auf Denglisch als "Leader" bezeichnen würde. Nicht umsonst ist die Passionsgeschichte ein Stoff, aus dem Hollywood und die Filmindustrie ihre Geschichten weben.

Wer die Geschichte Jesu kennt, der wundert sich, wie heftig derzeit die Debatten über die neue Männlichkeit geführt werden. Hätte man die Botschaft Jesu ernst genommen, wäre der neue Mann schon mit dem Neuen Testament erfunden gewesen. Als männlich durchgesetzt haben sich jedoch Bilder der traditionellen Männlichkeit. Und wer es heute, in Anbetracht reaktionärer politischer Bewegungen, die äußerst männlich daherkommen, wieder wagt, von der Notwendigkeit eines neuen Typus Mann zu sprechen, wird angegriffen. Als würde man den männlichen Kern der Männlichkeit aushöhlen und nur noch verweichlichte Kerle aus den Erziehungsanstalten entlassen wollen. Was auch immer das sein soll, ein verweichlichter Kerl.

Ausgelöst hat diese Panik vor dem neuen, weichen Mann ein Begriff, der, obwohl nicht neu, mit einem Schlag in fast allen Diskursen über Geschlechtergerechtigkeit zu hören ist: Die Rede ist von der toxischen Männlichkeit. Mit der inflationären Verbreitung dieses Begriffs geriet der Macho in Unruhe: Macho, damit konnte er sich abfinden, auf Macho war der Macho womöglich sogar stolz. Aber toxisch? Wer, außer einer männlichkeitsauslöschenden Feminismusbeauftragten könnte traditionelle männliche Eigenschaften mit Toxizität in Verbindung bringen? Zum Beispiel die American Psychological Association (APA).

Als die APA traditionelle Männlichkeit als toxisch bezeichnete, holte der slowenische Philosoph Slavoj Žižek zum Gegenschlag aus. Žižek wehrte sich dagegen, sich das Mannsein als Krankheit attestieren zu lassen und verglich diesen Ansatz mit dem berüchtigten Serbski-Institut in Moskau. Die amerikanischen Psychologen handelten ideologisch, wie zu Zeiten des Kommunismus, als Dissidenz als eine Art psychische Krankheit identifiziert und medikamentös behandelt wurde. Ideologen seien heute all jene, die sich aufmachen, traditionelle Männerbilder als toxisch zu bezeichnen. Wer weltoffen ist, hat den Mann in seiner ganzen Männlichkeit zu nehmen, meint Žižek.

Verstärkung erhält Žižek nun ausgerechnet in Person eines Psychologen: Jordan Peterson. Auch er hat klare Bilder von Mann und Frau, wie zum Beispiel jene, Unordnung würde durch das Weibliche repräsentiert, während Männlichkeit für Ordnung stehe. Das passt sehr gut zu Intellektuellen, die meinen, systematisches Denken gehe von Männern aus, oder Sätze abspulen wie: "Why women just can't write". Peterson verbreitet zudem krudeste Thesen, etwa darüber, wie männliche Aggression gut im Zaum zu halten wäre: durch Frauen, deren monogame Liebesdienste so herausragend seien, dass Männer ihre toxischen Anteile nicht ausleben müssten. Auch zu Statistiken, die besagen, dass Dreiviertel aller Frauen weltweit von ihren Partnern misshandelt werden, hält er vermutlich Antworten parat, die mit männlicher Toxizität nichts zu tun haben. So wie Slavoj Žižek jüngst mitteilte, dass es der männlichen Sexualität im Besonderen, aber auch der Erotik im Allgemeinen Schaden zufügen würde, wenn Frauen zu viel über ihre weiblichen Geschlechtsorgane sprächen. Na dann.

Diese beiden Herren werden als einflussreiche Intellektuelle medial groß inszeniert. In Toronto steht ein aufgeblasenes Rededuell der Herren an. Kaum ein deutsches Magazin widmete Peterson nicht seitenlange Interviews. Männliche Redakteure, gerade auch in Deutschland, inszenieren männliche Intellektualität. Dabei spielen sowohl Peterson als auch Žižek mit Frauenbildern, die insbesondere neuen Rechten zusagen, die Frauen in der Öffentlichkeit wenig Wert beimessen. In Wien war vor Kurzem ein Podium mit Žižek angesetzt, das die derzeitige Unordnung der Welt erklären sollte. Da diese ja bekanntlich weiblich ist, lud das Männerpodium lieber keine Expertinnen mit auf die Bühne. Gerade einmal dreihundert Gäste besuchten die Veranstaltung - doch in der medialen Berichterstattung hieß es, der Philosoph Žižek ziehe Massen an. So reproduziert man die Aura des Glamour-Intellektuellen und schreibt Männern, die auf Feindseligkeit gegen Frauen und Migranten setzen, den Erfolg hinterher. Resonanz wird zum vermeintlichen Indiz für Relevanz.

Die Diagnose von der toxischen Männlichkeit beschreibt provokativ Verhaltensmuster, die als männlich behauptet und von Männern reproduziert werden. Inzwischen ist aber klar, wie sehr diese dem Zusammenleben schaden. Die Universität Cambridge hat Jordan Peterson zuletzt als Gastdozenten wieder ausgeladen. Als Begründung nannte Cambridge, die Universität wolle ein integratives Umfeld bieten. Für Menschen, die das nicht respektieren, sei dort kein Platz. Ein Campus ist kein repräsentativer Ausschnitt der Gesellschaft, auf einem Campus lässt sich leichter auswählen. Doch gesellschaftliches Zusammenleben findet in Strukturen und Institutionen statt, die sich derzeit intensiv mit den Prinzipien auseinandersetzen, die ihrem Handeln und Wirken zugrunde liegen.

Auch in Europa wachsen politische Bewegungen und Parteien, deren Frauenanteil unter zwanzig Prozent liegt und in denen männliche Dominanz nicht integrativ wirkt. Sicher, man kann sich darüber aufregen, dass manche nun Männlichkeit als toxisch bezeichnen - besser wäre es, wenn man diskutiert, welche Männlichkeit damit gemeint ist. Und wie man auslädt, was für das Zusammenleben als toxisch erkannt wird. Mit all den Widersprüchen, die Wehrhaftigkeit mit sich bringt.

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Kolumne von Jagoda Marinić

Jagoda Marinić, Jahrgang 1977, ist Schriftstellerin, Kulturmanagerin und Journalistin. Auf Twitter unter @jagodamarinic. Sie studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Anglistik an der Universität Heidelberg. In ihrem aktuellen Debattenbuch "Sheroes" plädiert sie für ein lebhaftes Gespräch unter den Geschlechtern. Alle Kolumnen von ihr finden Sie hier.

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