Favoriten der Woche:Schöner schimpfen

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Szene aus der "Bühnenbeschimpfung" von Sivan Ben Yishai in Berlin. (Foto: Ute Langkafel /MAIFOTO)

Energetische Schauspieler üben im Berliner Maxim-Gorki-Theater Selbstkritik, und das ziemlich unterhaltsam. Diese und weitere Empfehlungen aus dem SZ-Feuilleton.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Schauspiel: "Bühnenbeschimpfung" am Berliner Gorki-Theater

Selbstkritik des Theaters? Doch. Das gibt es. Zumindest im Berliner Maxim-Gorki-Theater. Die sehr geistreiche Autorin Sivan Ben Yishai hat in Anlehnung an Peter Handkes legendäre, 1966 uraufgeführte "Publikumsbeschimpfung" eine "Bühnenbeschimpfung" geschrieben. Darin wird der Spieß umgedreht und die Institution Theater auf ihre Geschwüre geröntgt, Untertitel: "Liebe ich es nicht mehr oder liebe ich es zu sehr?" Kein Stück mit Rollen und Dialogen, sondern ein vielstimmiger Fließtext mit dem Blick eines Supervisors hinter die Kulissen, in die Eingeweide des Betriebs. Dabei geht es um die Arbeitsbedingungen ebenso wie um Fragen von Macht, Autokratie, Gehorsam. Auch um die Mobbing-Vorwürfe, die 2021 gegen die Gorki-Intendantin Shermin Langhoff laut wurden. Das wird in der Uraufführung von Sebastian Nübling zwar immer alles gleich ironisiert und auf die Schippe genommen. Aber immerhin.

Wie sich die Beteiligten bei diesem Betriebsausflug in die Interna des Theaters ins Zeug legen, die vierte Wand durchbrechen, dem Publikum interaktiv auf die Pelle rücken, es bespaßen und befragen, ist von funkensprühender Spielenergie. Selten trifft es so zu wie bei diesem Stück, wenn man sagt: Die Schauspieler sind hier ganz in ihrem Element. Was nicht heißt, dass sie immer brillant sind. Anfangs führen sie in divenhafter Clownskostümierung zu einer Applausorgie vom Band die unterschiedlichsten Arten, sich zu verbeugen vor. Dann legen sie von ihren Eitelkeiten, Ängsten und Neurosen in Solo-Auftritten Zeugnis ab. Lindy Larsson tut das gerne melodramatisch und singend (kann er gut); Aysima Ergün bettelt in einem panischen "Skript!"-Monolog um Regieanweisungen und Text; Mehmet Yilmaz steigert sich in eine komische Brüllwutrede hinein, in der er von den Leiden des freien wie des fest angestellten Schauspielers erzählt. Der eine wartet ständig auf Anrufe, der andere fällt als soziales Wesen komplett aus, weil er selbst an Silvester Vorstellung hat. Die Nabelschau als hysterisierte Nummernrevue. Das ist dann zwar bald nicht mehr der Originaltext, der von den Schauspielern eigenmächtig annektiert, ergänzt, veralbert und verläppert wird, aber das wissen und kritisieren eh nur die, die ihn kennen (und schätzen). Am Gorki machen sie aus der "Bühnenbeschimpfung" im zweiten Teil eine Publikums(charme)offensive. Die meisten mögen das. Wenn der Text am Ende in die Klima-Apokalypse abdriftet, kommt er nur noch vom Band, während sie auf der Bühne versuchen, mit Großbauklötzen ein neues Theater aufzubauen. Ein besseres. Christine Dössel

Film: Schauspieler Karl Markovics

Der Schauspieler Karl Markovics bei der Premiere von "Was man von hier aus sehen kann". (Foto: Lennart Preiss/dpa)

Der Optiker in Aaron Lehmanns Film "Was man von hier aus sehen kann" ist zwar unglücklich verliebt und obendrein namenlos, jedoch voll feiner Selbstironie. Gleich zu Beginn hängt er einen leeren Bilderrahmen ins Schaufenster des Brillenfachgeschäfts, "Mitarbeiter des Monats" steht darunter. Er lächelt verschämt hindurch, denn er ist natürlich schon immer alleine hier. Von diesem Moment an ist man dieser schütteren und schnauzbärtigen Figur in Strickpullundern vollends verfallen. Eigentlich müsste sie vor Gefühlsduselei triefen, doch Karl Markovics spielt den Optiker mit solch bezaubernder Verlegenheit, dass selbst Kitschallergiker noch mit ihm fühlen müssen, als er aus seinen Schubladen Hunderte unvollendete Liebesbriefe holt, allesamt mutlos abgebrochen und säuberlich archiviert, um sie seiner Angebeteten am Totenbett vorzulesen. Sofia Glasl

Youtube-Show: Bad Gear

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Ist ein veritables Krankheitsbild (und eine Zivilisationsdiagnose): "Gear Acquisition Syndrome" (GAS), der stete Drang, neues Equipment zu kaufen. Im Genre der Synthesizer, Sampler und Drum Machines richtet der extreme finanzielle Verheerungen an, Gegenmittel wären also gut. Auftritt AudioPilz. Der Youtuber widmet seine "Bad Gear"-Videos den "World's Most Hated Audio Tools", also all jenen elektronischen Instrumenten, die im Netz mit besonders viel Gemäkel, Abscheu und infernalischen Flüchen überschüttet werden (im Grunde fast alle). Die analysiert, erklärt, bewertet er - in Meme-flackernden, Epilepsie-triggernden Zehnminütern, schwer österreichisch koloriertem Englisch und enormer popkultureller Tiefe (lustig sind sie auch). Letztlich kauft man das Zeug dann trotzdem - aber immerhin hat man davor ein paar Mal ehrlich gelacht. Jakob Biazza

Dresdner Weihnachts-Circus

Showfinale des "Dresdner Weihnachts-Circus". (Foto: Tobias Koch)

Der gute alte Zirkus ist von den Zeitläuften übel zugerichtet worden. Im harten Kampf um leuchtende Kinderaugen wird er locker übertrumpft von den neuen Welten, die VR-Brillen und anderes Home-Entertainment entstehen lassen. Und vor dem Zelt stehen inzwischen oft genug nicht Großeltern mit neugierigen Enkeln, sondern wütende Tierschützer mit guten Argumenten. Umso erstaunlicher ist es, mal wieder zu erleben, welche Kraft und welcher Zauber noch immer von der Manege ausgehen. Ein ziemlich guter Ort dafür ist der 25. Dresdner Weihnachts-Circus, der noch bis zum 8. Januar läuft. Popcorn knistert lustig im Vorzelt, bevor nebenan das große Todesrad in Schwung kommt. Es treten auf: lächelnde Artistinnen mit bandagierten Knien, ein zehn Kugeln gleichzeitig führender Teufelsjongleur, das leicht scheppernde Showorchester. Fast drei Stunden dauert das alles, langweilig ist es kaum eine Sekunde davon. Cornelius Pollmer

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