Nachruf auf Christoph Stölzl:Es war die beste Zeit

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Christoph Stoelzl im Jahr 2020 bei einem Interview zum geplanten Exilmuseum Berlin. (Foto: Reto Klar/IMAGO/Funke Foto Services)

Der Historiker Christoph Stölzl konnte mit seinem Assoziationskonfetti akademische Tagungen und SED-Kader gleichermaßen sinnverwirrend aufregen. Nun ist er mit 78 Jahren gestorben.

Von Gustav Seibt

Christoph Stölzl gehört zu den historischen Figuren, mit deren Tod eine ganze Epoche ins Grab sinkt. Im Falle Stölzl liegt das nicht daran, dass er über sehr lange Zeit weittragende, folgenreiche Entscheidungen zu treffen hatte; oder daran, dass er ein ästhetisches Lebenswerk geschaffen hat, das für alle kommenden Generationen sichtbar bleibt. Stölzl hatte für ein langes Jahrzehnt, das historisch aber nur einen Moment bedeutet, nämlich von 1987 bis 1999, eine strategisch wichtige Funktion inne. Er war der Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, und zwar in den Jahren der Wiedervereinigung, also während der Konstitution dessen, was vorübergehend "Berliner Republik" genannt wurde.

Man kann sich heute kaum noch vorstellen, mit welchen Vorbehalten, ja Ängsten dieses wiedervereinigte Deutschland nicht zuletzt in dessen westlichem Teil begleitet wurde. Würde es wieder maßlos und hochfahrend werden? Kam seine europäisch-atlantische Einbindung in Gefahr? Drohte neuer Nationalismus? Würde es sich neue, schuldbefreite historische Kontinuitäten suchen? Solche Verdächtigungen kamen schon vor dem Fall der Berliner Mauer auf, als Helmut Kohl die Gründung des Berliner Geschichtsmuseums anstieß und sich dabei vom sehr erfolgreichen Direktor des Münchner Stadtmuseums Christoph Stölzl beraten ließ. Als dieser 1986 auf dem Trierer Historikertag das Projekt vor einer vom Historikerstreit aufgewühlten Zunft vorstellte, war der Tumult im Saal so groß, dass Christian Meier als Präsident des Historikerverbandes Mühe hatte, die Zwischenrufer zu bändigen.

Stölzl freilich genoss den lauten Streit. Mit absichtsvoll leise näselnder Stimme im unverwechselbaren Beamtenmünchnerisch der besten Montgelas-Tradition sprach er über die intellektuell unterhaltsamen Möglichkeiten, deutsche Geschichte ins Museum zu bringen. Wobei hier festzuhalten ist, dass "Beamtenmünchnerisch in bester Montgelas-Tradition" zu jenen historischen Einordnungen zählt, mit denen Stölzl als Salonlöwe wie mit Konfetti um sich werfen konnte. Im Übrigen hielt er als Museumsgründer Wort: Das werdende Berliner Geschichtsmuseum, dessen Fertigstellung und Eröffnung Stölzl selbst gar nicht mehr vollbringen konnte, wurde zur Stätte rauschender, revuehafter Ausstellungen, eine glanzvoller und auch lustiger als die andere.

Stölzl gehörte zur Berliner Übergangszeit wie die berüchtigten Technoclubs

Der Abschied 1998 geriet programmatisch schillernd. In der Schau "Mythen der Nationen" exponierte Stölzl das Nationale als gemeinsames, nicht zuletzt ästhetisch grenzenlos fruchtbares Prinzip. Die Welt der Historienschinken und Schlachtenmalereien, der Fahnen, Zeichen und Symbole, der Rütli-Schwüre und Bastille-Erstürmungen, der Königsmorde und der Volkslieder, der Epen und Stahlstiche erschien als Einheit über alle Kriege und Erbfeindschaften hinweg. Damit historisierte und hollywoodisierte Stölzl das so bedrohlich-besorgt gefürchtete Nationale des deutschen Neuanfangs in den von Baustellen aufgerissenen, von Partys durchzuckten Berliner Neunzigerjahren.

Zu dieser unvergesslichen, noch im Rückblick berauschenden Übergangszeit gehört Stölzl genauso wie der Club "Tresor" oder das "Ostgut", der legendäre Vorläufer des "Berghain". Er arbeitete auf einer Baustelle, in einem permanenten Provisorium, also in jenem Chaos, dem alsbald mit dem Nachruf "Es war die beste Zeit" hinterhergetrauert wurde. Man kann rückblickend fragen, ob Stölzl nicht Glück hatte mit dieser Vorläufigkeit und ihn das sorgsame Einsortieren der methodisch gesammelten Objekte in Epochenräume nicht unterfordert und gelangweilt hätte. Er war als Ausstellungsmacher eher ein Impresario und Theaterdirektor, der mit Knalleffekten und Kolophonium lieber hantierte als mit Bestandsverzeichnissen und geschichtsdidaktischen Strategien.

Als der hochgewachsene Herr mit der elegant schimmernden, sehr eiförmigen Glatze Brillen zu brauchen begann, wählte er jene schweren Horngestelle, die man auch aus den Stummfilmen der Zwanzigerjahre noch in Erinnerung hatte und die damals noch nicht wieder in Mode waren. So schuf sich der grenzenlos gebildete Museumsmann eine Anmutung von Zauberei und Illusionskünstlertum. Aber ach, dem Mimen und dem Ausstellungskünstler flicht die Nachwelt keine Kränze, und das galt sogar für Stölzls weitere Laufbahn, in der er nie mehr den bestrickenden Witz, die seine eigentliche Begabung war, verwirklichen konnte.

Als Konservativer war er unzuverlässig

Als Politiker, erst für die FDP, später für die CDU, kam ihm seine Gabe zum historischen Assoziieren sogar störend in die Quere, so wenn er Berliner Wahlergebnisse mit Erdrutschsiegen der Dreißigerjahre verglich oder den Eintritt der Linkspartei in die Berliner Stadtregierung im Abgeordnetenhaus mit tonlosem Pathos als Machtergreifung des Kommunismus darstellte. Solchen Parallelen konnten nicht einmal seine eigenen Parteigenossen aus Reinickendorf oder Zehlendorf folgen, aus Mangel an historischer Bildung nämlich. Sein Gastauftritt als Berliner Wissenschaftssenator blieb ebenso episodisch wie die Monate in der Chefredaktion der Welt. In der CDU begann man, ihn immer öfter "Professor Stölzl" zu nennen, und das war nicht nett gemeint.

Vermutlich spürte man in den Berliner Bezirks- und Ortsvereinsmilieus, wie unzuverlässig Stölzl als Konservativer war. Denn konservativ, verliebt ins Vergangene, nicht zuletzt da, wo es einmal hochmodern gewesen war, das war der Nachfahre der Bauhauskünstlerin Gunta Stölzl ohne jeden Zweifel. Aber wie witzig, dialektisch konnte das sein! Im Streit um den Abriss des Berliner Palasts der Republik und den Neubau des alten Stadtschlosses argumentierte er ästhetisch, indem er die Geschichtszeiten verwirbelte. Hätte die DDR mit dem Honeckerschen Palast nicht ästhetisch vor dem Westen kapituliert, sondern wäre dem Stil der Stalinallee treu geblieben und hätte "ein kommunistisches Chicago" in Berlins Mitte errichtet - ja dann könnte man aufs preußische Schloss verzichten, erklärte Stölzl mit vollkommen ernster Miene. Da war wieder das historische Assoziationskonfetti, mit dem Stölzl Historikertage und SED-Genossen gleichermaßen sinnverwirrend aufregen konnte.

Seit 2010 fand Stölzl dann noch eine würdige Altersaufgabe als Direktor der Weimarer Musikhochschule Franz Liszt. Was ihn nicht daran hinderte, bei vielen Berliner Anlässen präsent zu bleiben, zuweilen sogar am Kontrabass nostalgische Chansons verwehter Moderne zu begleiten. Nun ist er mit 78 Jahren im bayerischen Evenhausen verstorben. Bleiben wird er als einer von denen, die das neue Berlin geschaffen haben.

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