Divers genug? Kritik an Emmys:Die Jury

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Michaela Coel gewann einen Drehbuch-Emmy für die Serie "I May Destroy You". (Foto: AP)

Erst war die Nominiertenliste der Emmy-Verleihung ziemlich divers. Gut so. Aber dann räumten wieder mal die Weißen ab. Schlecht. Die Kritik ist berechtigt - und falsch in einem.

Von Gerhard Matzig

Vor einem Vierteljahrhundert wurde John Grishams Bestseller "Die Jury" verfilmt. Matthew McConaughey, der bis dahin eher in Werbespots zu sehen gewesen war, hatte seinen Durchbruch als Schauspieler. Er erhielt für seine Darstellung eines am Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit verzweifelnden Anwalts einen MTV Movie Award. Das war 1997, und man muss sich erst gar nicht in die Archive bemühen, um zu der Vermutung zu gelangen, dass Ende der Neunzigerjahre der MTV Movie Award eher selten an Menschen verliehen wurde, die man als "divers genug" bezeichnen könnte. Was weder gegen McConaughey noch gegen den Film "Die Jury" spricht. Aber vielleicht gegen einen Begriff der Deutschen Welle.

Gegen den Film spricht ein französisches, nicht übertrieben dezentes Kulturmagazin, das seinerzeit den Film, in dem vor allem Rassenkonflikte verhandelt werden, als "ekelhaft", "faschistisch" und insgesamt zum "Kotzen" bewertete. So gesehen ist die Kritik an den soeben in Los Angeles vergebenen Emmys als wichtigste Serien- und Fernsehfilmpreise der Welt geradezu mild ausgefallen. Auf den ersten Blick.

Kate Winslet dankte den Frauen, weil sie in einer Zeit lebe, in der Frauen Frauen unterstützen

Die Emmys - allein elf Preise wurden an die Netflix-Produktion "The Crown" vergeben - seien zwar divers, heißt es bei der Deutschen Welle, "aber nicht divers genug". Tatsächlich räumten bei den 73. Awards vor allem weiße Schauspielerinnen und weiße Darsteller die Preise ab. Bei der Nominierung hatte der People-of-Color-Anteil allerdings noch 44 Prozent betragen. Die Enttäuschung war groß. Überall. Nicht nur auf PoC-Seite.

Kein Wunder, dass die Danksagung von Oscarpreisträgerin Kate Winslet, Hauptdarstellerin in der auf der Plattform HBO Max produzierten und mit drei Emmys erfolgreichen Mini-Serie "Mare of Easttown", dann leicht seltsam geriet. Sie dankte den Frauen, denn man lebe gottlob in einer Zeit, da Frauen Frauen unterstützen.

RuPaul gewann zum vierten Mal in Folge für "RuPaul's Drag Race" und ist jetzt laut "Hollywood Reporter" mit insgesamt elf Emmys "the most decorated Black artist in Emmy history". (Foto: Rich Fury/AFP)

Natürlich wäre es auch gut, das stammt jetzt nicht mehr von Winslet, wenn Männer Frauen unterstützten. Aber es wäre ja auch gut, wenn Frauen Männer, Männer Männer und Schwarze Schwarze unterstützten. Und wenn Weiße Schwarze unterstützten. Und Weiße Weiße. Und eigentlich alles, was der Malkasten der Biodiversität, zu der auch Menschen gehören, hergibt.

Sich gegenseitig zu unterstützen, zu würdigen und zu respektieren, ohne über Äußerlichkeiten wie Hautfarbe und Geschlecht auch nur nachzudenken: Das wäre zeitgemäß. Total divers. Und verfügte man wie Doc Brown über einen zur Zeitmaschine umgebauten DeLorean DMC-12, so fluxuierte man sich sogleich ins 22. Jahrhundert. Wo alles, was lebt, in friedlicher Koexistenz und gegenseitiger Wertschätzung lebt, während die Nachfahren der SPD (weniges wird es dann noch geben, die aber schon) völlig umsonst in Talkshows (ebenso) Respekt einfordern. Weil der zur Standardausstattung gehören wird. Hashtags wie "#emmysowhite" wären überflüssig. Ein Traum.

So aber ist wieder mal fast gar nichts in Ordnung, denn außer den nicht wenigen Preisen für Frauen gab es bei den in der Nacht zum Montag verliehenen Emmys zu wenige ausgezeichnete nichtweiße Darsteller. Mit RuPaul ("Drag Race") und Michaela Coel ("I May Destroy You") betraten nur zwei schwarze Gewinner die Bühne. In den wichtigen Kategorien waren die weißen Stars unter sich. Das finden viele Menschen ungerecht, was man teilt - und doch kann man explizit mit Blick auf die Kritik an der Jury (!) einwenden: Recht und Gerechtigkeit sind nicht dasselbe.

Besonders deutlich zeigte sich das Missverhältnis, als die Britin Olivia Colman (als Queen Elizabeth II. in "The Crown") den Preis für die beste Drama-Schauspielerin erhielt. Ihre Konkurrenz war fast ausschließlich schwarz - und hatte dann eben im Kollektiv das Nachsehen.

Seit einigen Jahren regt sich zunehmend lautstark Kritik an Jurys, die Architektur-, Kunst-, Musik-, Film- oder Literaturpreise auf eine nicht immer in diverser Hinsicht glückliche Weise vergeben. Das gilt für kleine wie große Jurys. Und es gilt für große, bekannte Preise (wie die Emmys) und nicht so große, nicht so bekannte Würdigungen (wie den deutschen BDA-Preis für Architektur). Auf Wikipedia heißt es übrigens, dass dieser Preis vom Bund Deutscher Architekten verliehen werde. Das ist nur die halbe Wahrheit, mittlerweile heißt der Bund Deutscher Architekten nach einem Jahrhundert des Männlichseins immerhin Bund Deutscher Architektinnen und Architekten. Hallo Wikipedia? Bitte korrigieren.

Die Korrektur ist aber nicht die Aufgabe einer Jury, die das Geglücktsein eines Werks auf dem Terrain der Ästhetik im Wortsinn zu beurteilen hat - und nicht das Glücken oder Missraten einer diversen Gesellschaft. Natürlich wünscht man sich eine diverse Gesellschaft und die Teilhabe aller. Was denn sonst.

Aber warum werden immer wieder Jurys, die ja logischerweise am Ende der Kunstproduktion stehen, dafür verantwortlich gemacht, wenn schon am Anfang derselben alles falsch gemacht wurde, was falsch gemacht werden kann? Die Jury ist schlicht der falsche Ort, um strukturelle Fehlleistungen anderswo in letzter Sekunde zu korrigieren.

Jurys dazu zu ermahnen, im Ergebnis ihrer Begutachtung von Werken eine gewisse Diversitätsformel einzupreisen, ist sogar kontraproduktiv: Es höhlt den Sinn der Sache aus - denn Literatur-, Musik- oder Kunstpreise werden zumindest vom Ideal her an ästhetische Könnerschaft und eben nicht an irgendeine Form von Äußerlichkeit gebunden. Preise, die auf künstlerischem Terrain verliehen werden, sind per se Preise, die nichts über Menschen und ihre Zugehörigkeiten, sondern nur etwas über universell tätige Kunstschaffende aussagen.

Die Jury, die am Ende Recht sprechen soll, kann das strukturelle Unrecht nicht heilen

Bei den Emmys wie bei den Oscars zeigt sich, dass Jurys immer diverser und immer breiter besetzt werden - zu Recht, denn die Welt ist eben genau das: grundsätzlich heterogen, divers. Das muss auch für Jurys gelten. Tausende Juroren (m, w, d) stimmen mittlerweile über die wichtigsten Filmpreise ab. Doch in aller Regel gibt es keine Diskussion dazu: Und genau deshalb spiegelt die aktuelle Emmy-Verleihung aus Los Angeles - endlich einmal viele Frauen, wieder einmal deprimierend niedrige PoC-Quote - die Realität von Kunstproduktion und Kunstrezeption besonders ungeschminkt wider. Das ist es, was zu kritisieren wäre.

In etlichen Künsten werden Frauen und nicht-weiße Menschen aufgrund eines historisch gewachsenen, verblüffend schwer zu überwindenden Kulturverständnisses (männlich, weiß, westlich) benachteiligt. Diese strukturelle Ungleichheit führt zu struktureller Ungerechtigkeit. Die Jury, die am Ende Recht sprechen soll, kann dieses Unrecht nicht heilen.

Manchmal sitzt man in Jurys, in denen - anders als bei der Emmy-Verleihung - noch richtig diskutiert wird. Die Auslober wissen um die auch medial wirksame Bedeutsamkeit eines Preises, der auch in der doch sehr seltsamen Kategorie "divers genug?" überzeugen möge. Es ist dann immer peinigend, wenn Jurys noch einen Kandidaten aus Niederbayern berücksichtigen wollen oder, schlimmer, sollen (regionaler Proporz), der am liebsten auch eine Frau (Geschlecht) und bitte schwarz (Hautfarbe) sein soll. Wer aus solchem Ringen als Sieger hervorgeht, ist immer auch Verlierer. Nicht die Juryurteile sollte man ändern, sondern die Bedingungen der Kunstproduktion. In "Die Jury" mündet übrigens alles in einem Happy End.

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