"Edge of Tomorrow" im Kino:... und täglich grüßt die Alienspinne

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Das Prinzip der vielen Bonus-Leben eröffnet Major Bill Cage (Tom Cruise) immerhin eine Chance - er kann aus seinen Fehlern lernen. (Foto: Courtesy of Warner Bros. Enterta)

Mit "Edge of Tomorrow" inszeniert Doug Liman ein irres Mash-up aus Film und Computerspiel. Die vielen Leben, die der Regisseur Tom Cruise gibt, sind ziemlich ideal für diese pathologische Grinsekatze. Denn sie darf vom schleimigen Kriegstreiber zum recht anständigen Kerl reifen.

Von David Steinitz

Sie hassen Tom Cruise? Dann sind Sie hier genau richtig. Und wenn Sie ihn lieben? Dann auch. Selbst wenn Sie vollkommen neutral zu dem Mann stehen und nur mal wissen wollen, was passiert, wenn man ihn zusammen mit einer Alienspinne und einem rotierenden Hubschrauber in eine Scheune sperrt - auch dann ist "Edge of Tomorrow" genau Ihr Film.

Was nebenbei die Frage beantwortet, die PR-Analysten und Consulting-Strategen in Hollywood seit Wochen schadenfroh stellen: Wer zum Teufel will heute noch einen Film sehen, der nicht auf einem Comic oder Fantasyroman basiert und keinen Superhelden zum Protagonisten hat? So was hat derzeit an den Kinokassen keine Chance mehr, lautet der zynische Konsens. Aber vielleicht ja doch.

Dann nämlich, wenn Sie ein gewisses Vergnügen daran finden können, Tom Cruise sterben zu sehen. Nicht einmal. Nicht zweimal. Nein, gefühlsmäßig etwa hundertmal.

In nicht allzu ferner Zukunft tobt ein brutaler Krieg um die Erde, dessen entscheidende Schlacht eine Art Neuauflage des D-Days ist, wieder am Strand der Normandie.

Die Bösen sind diesmal allerdings nicht die Nazis, sondern Alienspinnen, und die Menschen haben keine Chance gegen sie. Cruise spielt einen Soldaten, der durch Kontakt mit einem dieser Außerirdischen in einer Art Zeitloop gefangen wird: Jedes Mal, wenn es ihn auf dem Schlachtfeld zerfetzt, wacht er ein paar Stunden vorher lebendig wieder auf - und muss alles noch einmal von vorn erleben.

Das Prinzip der vielen Bonus-Leben, bekannt aus jedem besseren Computerspiel, eröffnet immerhin eine Chance - man kann aus seinen Fehlern lernen, und langsam sogar zum Gegenangriff übergehen. Cruise erhält also den Auftrag, das Alien-Obertier zu eliminieren, das die ganze Invasion dirigiert und, nun ja, im Louvre residiert.

Mit "Edge of Tomorrow" besorgt Doug Liman, der unter anderem den ersten "Bourne"-Film und "Mr. & Mrs. Smith" gemacht hat, zweierlei: Er schafft ein ziemlich irres Action-Mash-Up aus Filmklassikern und Computerspiel, wesentlich smarter als die meisten Sci-Fi-Filme der letzten Jahre. Und er kreiert dabei auch noch die ultimative Rolle für die pathologische Grinsekatze Tom Cruise.

Der Film basiert auf dem japanischen Pulp-Roman "All You Need Is Kill" von Hiroshi Sakurazaka aus dem Jahr 2004. Bereits Sakurazaka wilderte für seine Geschichte hemmungslos in der Popkultur.

Liman und seine drei Drehbuchautoren bauen darauf auf und legen ihre Adaption als schrägen Mix aus "Und täglich grüßt das Murmeltier", "Starship Troopers" und dem Jump'n'Run-Masochismus der frühen Daddel-Ära an: Mit jedem verbrauchten Leben, wenn das Spiel der Erdenrettung wieder bei Null beginnt, will man es erst recht wissen.

Cruise wiederum darf sich hier innerhalb eines einzigen Films dutzendfach neu erfinden. Was ziemlich ideal für einen ist, dem seine dauerlächelnde Cruisehaftigkeit manchmal selber nicht ganz geheuer zu sein scheint, weshalb er gern in Filmen mitspielt, in denen er sich maskieren und verwandeln kann - von der "Top-Gun"-Sonnenbrille über die Masken in "Mission Impossible" und "Eyes Wide Shut" bis zur Stauffenberg-Augenklappe in "Valkyrie".

Am Anfang zum Beispiel spielt er keinen richtigen Soldaten, sondern das, was er in der öffentlichen Wahrnehmung sowieso ist: einen ultraglatten Spin Doctor. Sein Job ist es, den Alienkrieg PR-gerecht fürs Fernsehen zu verkaufen, um die Massen zu beruhigen. Bis ein herrischer Vorgesetzter beschließt, dass man das schleimige Bürschchen ruhig mal an die Front schicken könnte.

Die Hölle, die dort am französischen Strand losbricht, inszeniert Liman dann nicht moralbeflissen wie beispielsweise Steven Spielberg seinen "Soldat James Ryan". Sondern in der Tradition der amerikanischen Kriegsfilme der Vierzigerjahre, die auch schon das Vorbild für Paul Verhoevens Kriegsfarce "Starship Troopers" waren: kein zuchtmeisterliches Betroffenheitskino, sondern ein vertracktes Wechselspiel, das zeigt, wie Moral sich oft auch aus Amoral speisen kann.

Synapsenerschütternder Actionfilm - auch auf kleinstem Raum

Liman und Cruise gehen diesen Weg, indem sie den Protagonisten vom Schleimbeutel und Kriegstreiber, der in Wahrheit eine ziemlich feige Sau ist, über Dutzende tragikomische Wiederholungen desselben wahnsinnigen Kriegstages reifen lassen. Behilflich ist ihm dabei Emily Blunt als Soldatin, die einst in derselben Zeitfalle gefangen war.

Sie macht ihn zwar nicht unbedingt zu einem prototypischen Helden, aber doch zu einem recht umgänglichen Kerl, mit dem man es aushalten kann. Ein Ergebnis, mit dem Tom Cruise gut leben können sollte. Der Zuschauer zumindest kann es definitiv, da Liman, sein Kameramann Dion Beebe und sein Cutter James Herbert das Handwerk des synapsenerschütternden Actionfilms ganz hervorragend beherrschen.

Nicht nur im großen Schlachtengetümmel, sondern auch auf kleinstem Raum. Zum Beispiel in jener kunstvoll choreografierten Szene, in der Cruise, ein besonders fieses Exemplar der Alienspinnen und ein gerade abhebender Militärhubschrauber in einer kleinen Scheune hinterm Strand aneinandergeraten. Mensch, Maschine, Alien - es kann nur einen geben.

Edge of Tomorrow , USA 2014 - Regie: Doug Liman. Buch: Christopher McQuarrie, Jez Butterworth, John-Henry Butterworth. Kamera: Dion Beebe. Mit: Tom Cruise, Emily Blunt, Brendan Gleeson. Warner, 113 Minuten.

© SZ vom 27.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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