Eckard Henscheid wird 70:Schwurbeln für Fortgeschrittene

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Sprachsphäre um ihrer selbst willen: Eckard Henscheid hält in vielen Erzählungen, Geschichten und Glossen mit feinsinnigem Humor den Deutschen einen Spiegel vor. Der Werke des "Spätromantikers der Bundesrepublik" zählen mitlerweile zu Klassikern der Literatur und des gehobenen Humors. Eine Hommage zum 70. Geburtstag.

Gustav Seibt

Zügig abgerissen wird nächstens schon das alte Freibad in Gunzenhausen", teilt uns eine Rubrik "Blick in die Heimat" mit, "zugunsten eines dort bald entstehenden Badeparadies im modernen Seenland-Environment mit Alround-Fun-Swimmung ,total', Unterwassergrotte, Wasserfall, Whirl-Pool und Riesenrutschen-Gigantic im Zuge eines lukrativen Freizeitzentrums für 5 Mio Mark. Außerdem ist ein separater Einstieg für Behinderte im großzügigen Landkreis-Action-Programm miteinprogrammiert." Und abschließend: "Ahoi, kann man da nur flüstern."

In sanfter Wirrnis durch einen reglosen Alltag : Eckhard Henscheid wird siebzig. (Foto: DPA)

Ist das, mit allem Quatsch und Schreibfehlern, Sprachkritik? Irgendwie auch. Aber unverkennbar Prosa von Eckhard Henscheid oder aus einem Originalfund zu seiner Prosa geworden. Also auch eine Sprachsphäre um ihrer selbst willen, wo die Dinge sich zu drehen beginnen und schwindlig machen, oder auch "schwurbeln".

Das ist ein im Grimmschen Wörterbuch verstecktes Verbum, das erst Henscheid wieder ganz groß herausbrachte: "schwurbln, wirbelnd sich bewegen; sich wirbelnd bewegen, schwindeln, dummes zeug durch einander reden; von dem viel'n red'n schwurb'lt mir mei' kopf." So sagt's der Grimm, und so macht es Henscheid.

Dass etwas "verschwurbelt" sei, sagen wir es also schonend: liebenswerter, irregeleitet ambitionierter, aber auch durchaus betrügerischer Unsinn, das hat Deutschland durch Eckhard Henscheids Romane, Erzählungen und Glossen wieder gelernt, aus dem imponierendsten Œuvre humoristischer Literatur in der deutschen Nachkriegszeit.

Inzwischen wird dieses Werk von wählerischen Kollegen wie Brigitte Kronauer und Martin Mosebach zum Höchsten geschätzt, und die Leser haben vor allem Henscheids ersten drei Romanen, der "Trilogie des laufenden Schwachsinns" ohnehin dauerhaften Erfolg gegönnt: "Die Vollidioten" (1973), "Geht in Ordnung- sowieso -- genau ---" (1977) und "Die Mätresse des Bischofs" (1978).

Existentielle Fragen

Aber für den Radar der Kritik kam er teils zu früh, teils zu spät: zu früh durch eine Lockerheit, die sich erst nach den politischen Dramen der späten siebziger und früher achtziger Jahre gesellschaftlich durchsetzte; zu spät für eine Postmoderne, der der längst fertige Henscheid nicht weltläufig genug schien.

So wuchs hier ein Leserklassiker heran, der sich in dieser Rolle mit Außenseitern wie Jean Paul und Wilhelm Raabe vergleichen lässt. So wie Jean Paul mit seinen "Summulen" und Faszikeln das sterbende Heilige Römische Reich in ein Traumgespinst verwandelte, und wie Raabe mit "Wunnigel", "Stopfkuchen" und anderen Käuzen gegen den industriell-nationalstaatlichen Fortschritt moserte, so zeigt Henscheid die alte westdeutsche Provinz, deren Interieurs sich mit Teppichböden überzogen, deren Fassaden von Reklamesprüchen bedeckt wurden, und deren Menschen in sanfter Wirrnis durch einen reglosen Alltag taumeln.

Will man noch einen Gewährsmann für den vielbelesenen Henscheid nennen (der allerdings vor allem Musikliebhaber ist), dann müsste es der Prosaautor Eichendorff sein, dessen sanfte, monddurchflossene, posthorndurchtönte Verschwommenheit Henscheid vor allem in seinem Meisterwerk "Maria Schnee - eine Idylle" (1988) ins Gegenwärtige übersetzte - nur, dass dort ein Martinshorn erklingt, um die Stille einer nächtlichen Landschaft hörbar zu machen.

Längst ein Klassiker

Am schönsten sind die feinen, unerwarteten Wendungen, zu denen jede Seite dieses Erzdichters findet: Nach dem Reklamegeschwurbel vom neuen Badeparadies ist man nämlich so erschlagen, dass man sein "Ahoi" wirklich nur noch "flüstern" kann, im Schatten des Riesenrutschen-Gigantic, der da auf Gunzenhausen zukommt.

Natürlich hat Henscheid noch unendlich viel Anderes geschrieben, existentielle Fragen aufgeworfen wie "Was ist eigentlich der Herr Engholm für einer?", eine Weltgeschichte der Missverständnisse entwickelt ("Karl Carstens trifft Dostojewski, Eckhard Henscheid klärt das Missverständis" resümierte der Kritiker Robin Detje), die Frankfurter Schule Adornos mit erfundenen Anekdoten veralbert. Er hat ein polemisches Wörterbuch "Dummdeutsch" verfasst mit Einträgen wie: "Frauenfeindlich - Ist heutzutage praktisch alles."

Bleiben wird er mit den frühen und mittleren Romanen, mit Erzählungen wie "Die Lieblichkeit des Gardasees" oder "Die Wurstzurückgehlasserin" oder Titeln wie "Die Wolken ziehn dahin". Längst ist er ein Klassiker mit schöner Gesamtausgabe beim Verlag Zweitausendeins. Nur Kritik und Literaturwissenschaft müssten jetzt noch nacharbeiten, vielleicht bis zum achtzigsten Geburtstag.

© SZ vom 14.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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