"An Impossible Project" im Kino:Analoge Träume

Lesezeit: 3 min

Florian "Doc" Kaps in "An Impossible Project". (Foto: Weltkino)

Die Doku "An Impossible Project" porträtiert den Mann, der das letzte Polaroid-Werk vor der Schließung bewahrt hat. Ein Erfolgsmodell?

Von Martina Knoben

Nach unzähligen Videokonferenzen, Geburtstags- und Weihnachtsgrüßen per Zoom oder Teams klingt Digital Detox nicht nach Verzicht, sondern wie ein uneingelöstes Versprechen. Endlich wieder mit Kollegen beim Kaffee sitzen, wieder Popcornduft im Kino riechen, ohne den Gedanken an den Mundnasenschutz der Knurpsler! "Je digitaler die Welt, desto analoger die Träume", heißt es in Jens Meures Dokumentarfilm.

Er porträtiert einen Mann, der dem Charme des Analogen schon lange erlegen ist: Florian "Doc" Kaps ist ein verrückter Österreicher, der 2008 von seinen gesamten Ersparnissen das letzte Polaroid-Werk aufkaufte, zu einer Zeit also, da gerade das erste IPhone auf den Markt gekommen war. Damals eine Fabrik für Sofortbildfilm zu übernehmen, schien betriebswirtschaftlicher Wahnsinn.

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Meurer hat Kaps über Jahre hinweg begleitet, "An Impossible Project" zeichnet das Porträt dieses kauzigen Visionärs, ist vor allem aber eine Hymne auf alles Analoge, auf Druckmaschinen, Telefonzellen und Jukeboxen, Schreibmaschinen oder Tastentelefone. Die digitale Revolution verdrängt ja so vieles. In einer mit melancholischer Woody-Allen-Musik unterlegten Einstellung zu Beginn wird ein Firmengebäude des Kamera- und Fotomaterial-Herstellers Eastman Kodak gesprengt, danach ist - fast körperlich quälend - zu sehen, wie Schallplatten, Film- und Fotokameras geschreddert werden.

Die Firma, die das Analoge retten soll, hat einen sehr passenden Namen: "Impossible"

Kaps' Versuch, die Instant-Fotografie zu reanimieren, sah lange nicht nach einer Erfolgsgeschichte aus. Der Name seiner Firma, "Impossible", schien mehr als passend. Kaps hatte keine Ahnung, wie man Instant-Film überhaupt produziert; er durfte den Namen Polaroid nicht verwenden und musste feststellen, dass die Chemikalien, die er für sein Produkt benötigte, nicht mehr hergestellt wurden. Eine eigene Rezeptur zu entwickeln, erwies sich als fast unlösbare Aufgabe.

Aber Kaps, der seine Wurst bei einer Metzgerfamilie im Wiener Umland kauft, die sich bis heute weigert, ihre Produkte in die Hauptstadt zu liefern, hat eine imponierende, immer wieder auch irre komische Hartnäckigkeit, wenn es um geliebte Produkte oder Verfahren geht. Als ein Don Quijote der analogen Dinge kämpft er gegen den Zeitgeist, trifft sich mit anderen Enthusiasten und Sammlern und reist sogar ins Silicon Valley, um ausgerechnet bei Facebook Unterstützung für seine analogen Träume zu finden. "In Docs Biografie", kommentiert der Regisseur, "sah ich eine Geschichte von Widerstand, Aufbegehren gegen Strukturen und des Schaffens von Alternativen. Quasi der Klassiker David gegen Goliath. Ein motivierendes Vorbild."

Wenn niemand mehr die alten Techniken benutzt, sterben ganze Kunstformen aus

Mit dem Abschiedsschmerz, den Bilder von geschredderten Schallplatten und Fotokameras evozieren, der Sehnsucht nach Dingen zum Anfassen, Riechen, Schmecken, Schrauben und Drücken trifft der Film einen Nerv, nicht nur wegen der Pandemie. Digital Detox und Slow Food, Vinyl und analoge Fotografie liegen schon länger im Trend, Handgeschriebenes und Selbstgemachtes gelten als hip.

Gedreht hat Meurer "An Impossible Project" konsequenterweiser auf analogem 35-Millimeter-Film, für den Soundtrack spielte ein 40-köpfiges Jazz-Orchester mit der Sängerin Haley Reinhart die Musik ein, die als Direktschnitt auf Platte aufgenommen wurde. Die Titel setzte und druckte der deutsche Gestalter und Schriftentwerfer Erik Spiekermann per Hand mit einer originalen Letterpress-Maschine. Wenn niemand mehr die alten Techniken nutzt, heißt es im Film, sterben Betriebe und Branchen und ganze Kunstformen und Handwerke irgendwann aus. Wer Vielfalt will, muss also weiterhin 35-Millimeter-Film belichten oder Schallplatten abspielen.

Leider wirkt die Feier des Analogen zunehmend ein wenig aufdringlich, und besonders tiefgründig ist die Manufactum-Philosophie des Films am Ende nicht. Klar, dass der Mensch selbst analog ist, weshalb ihm analoge Dinge liegen. Klar auch, dass Musik auf Vinyl und 70er-Jahre-Telefone legitime kleine Fluchten aus einer immer schnelleren, ungemütlichen digitalen Welt sein können. Polaroid ist heute ein Spielzeug für Hipster. Und die Sehnsucht nach intensiven, gewissermaßen "echteren" Erlebnissen führt hier geradewegs zum aufwendig kuratierten Event. Ein Abend mit Live-Jazz-Orchester in einem seit Jahrzehnten leerstehenden alten Grand Hotel (es ist die Schlusssequenz des Films, das Hotel Kaps' neuestes Projekt) wird so übertrieben hymnisch inszeniert, dass jeder Streamingabend authentischer wirkt.

An Impossible Project , D/Ö 2020 - Regie: Jens Meurer. Buch: J. Meurer, Franziska Kramer. Kamera: Bernd Fischer, Torsten Lippstock. Schnitt: Michael Nollett, Andrew Bird, Zenon Kristen. Verleih: Weltkino, 99 Minuten.

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