"Die Känguru-Chroniken":Kecker Sprung und klare Kante

Lesezeit: 4 min

Ein Känguru, lebensgroß und rotzfrech, mitten in Berlin - dieser visuelle Irrsinn funktioniert in den "Känguru-Chroniken". (Foto: Verleih)

Das kommunistische Beuteltier aus Kreuzberg ist durch Corona nun digital erhältlich. Gekonnt animiert, klopft es wieder freche Sprüche - und lehrt sogar ein wenig Politiktheorie.

Von Magdalena Pulz

Anm. d. Red.: Dieser Text wurde zum Kinostart des Films Anfang März publiziert. Nun laufen "Die Känguru-Chroniken" digital, weshalb wir die Rezension erneut veröffentlichen.

Jeanette ist nicht für Small Talk hier. Und willkommen ist sie auch nicht. Die Gäste in der Kreuzberger Kneipe verstummen, als sie im schicken Blazer einmarschiert, den runden Babybauch wie einen Panzer vor sich hertragend. Selbst das Känguru, das sonst immer die Klappe offen hat, sagt nichts. Jeanette ist die Geliebte des rechtspopulistischen Immobilienmaklers Jörg Dwigs, seine Geheimwaffe. Sie soll seinen Glücksbringer, eine abgeranzte Hasenpfote, die natürlich das Känguru höchstpersönlich geklaut hat, zurückholen.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Am Tresen bestellt Jeanette, quasi als Gesprächsöffner, erst mal ein alkoholfreies Bier. Herta, die schrullige Besitzerin, stellt der Schwangeren stattdessen ein normales hin, und kippt obendrauf noch einen klaren Schnaps rein. Und Jeanette? Ext das Zeug weg, als wäre sie sechzehn Jahre alt und ohne elterliche Aufsicht. Babybauch hin oder her.

Das Schöne an dieser Szene - sie ist neu. Denn ansonsten ist das Universum des Kängurus, genau wie sein kommunistisches Weltbild, ziemlich geschlossen. In Radiokolumnen wurde es zur Satire-Institution, in den Büchern eins bis vier zum Teenage-Kultobjekt, und nach Kartenspiel und Theaterstück musste natürlich auch der Kinofilm "Die Känguru-Chroniken" kommen. Dass dieser jetzt so viel wie möglich von den Gags und Storys enthält, die der gemeine Känguru-Ultra schon im Schlaf mitsprechen kann, dürfte niemanden ernsthaft überraschen.

Marc-Uwe Kling ist Leitfigur einer linken Szene, die ihren Humor noch nicht verloren hat

So kann man im Schnelldurchlauf nachvollziehen, wie das meinungsstarke Beuteltier, das sich ungefragt in der Wohnung seines Kreuzberger Nachbarn einnistet, Deutschlands derzeit liebster bunter Hund werden konnte - und das trotz seines eigentlich asozialen Charakters. Unter dem Deckmantel seiner antikapitalistischen Ideologie lebt das Tier einen parasitären Lifestyle, als wäre es die Angstfantasie aller FDP-Wähler. Chillt in seiner Hängematte, kauft nicht ein, putzt nicht, arbeitet nicht, lässt Aschenbecher mitgehen und trägt generell so wenig wie möglich zum Allgemeinwohl bei. Dass es damit durchkommt, liegt zum einen daran, dass es immer ein entwaffnend obergescheites Angeberzitat bei der Hand hat. Zum anderen ist es eben ein sprechendes Känguru. Ein Wesen, das im Alltag des Landes so fehl am Platz ist, dass man gar nicht wüsste, wo man mit der Resozialisierung anfangen soll.

Erfunden hat es der Poetry-Slammer, Liedermacher und Autor Marc-Uwe Kling, der sich zugleich als argloser Mitbewohner des Beuteltiers in die eigenen Geschichten hineinschreibt - als grenzdepressiver, beruflich mäßig erfolgreicher Kleinkünstler wird er vom Känguru in die verschiedensten Abenteuer hineingezerrt. Sehr anders als im echten Leben, wo Kling die totale Kontrolle über jegliche Äußerung seiner tierischen Kreation behauptet: Er leiht ihr seine Stimme, feilt persönlich an jedem Werbetext, für den Film hat er auch das Drehbuch geschrieben und in Dani Levy einen kooperativen Regisseur gefunden - Interviews hingegen gibt er nicht. Dennoch ist er zu einer Art Leitfigur jener linken Szene geworden, die angesichts der aktuellen deutschen Verhältnisse noch nicht den Humor verloren hat. Dass er sich mit seinem antikapitalistischen Helden zugleich eine goldene Nase verdient, ist genau die Art von Ironie, die dem Känguru vermutlich gefallen würde.

Film zu den Känguru-Chroniken
:Tierisch gute Brüder

Dimitrij und Alex Schaad sind ein Phänomen. Ausgebildet in München, machen sie als Oscar-prämierte Multitalente von sich reden. Nun folgt der große Kinoauftritt mit Känguru.

Von Josef Grübl

Auf der Leinwand allerdings spielt sich Kling nicht selbst, das hat der Schauspieler und Autor Dimitrij Schaad vom Gorki-Theater übernommen. Gemeinsam mit einem per Special Effects erzeugten Känguru geht es nun gegen den Immobilienhai Jörg Dwigs - eine nadelstreifige, föhnfrisierte und schlecht blondierte Version von Henry Hübchen. Dwigs will einen gigantischen Turm, der wie ein Penis aussehen soll, in den Görlitzer Park bauen. Die ungleichen Mitbewohner wehren sich gegen die Invasion, zusammen mit weiteren Berliner Urgesteinen - zwei türkischstämmige Späti-Betreiber, die Kneipenbesitzerin Herta und die alleinerziehende Hippiemutter Maria. Klischeefrei ist das nun wirklich nicht, die Zuschauer lieben die "Chroniken" aber auch nicht für Shakespear'sche Seelendramen, sondern wegen der oft sehr naheliegenden Gags.

Und die gibt es, sogar in Massen - ein bisschen wie auf einem Coldplay-Konzert, wo ein Number-One-Hit nach dem anderen abgeschossen wird. Das sind Sätze aus den Büchern wie: "Mein, dein, das sind doch bürgerliche Kategorien", nervige Hunde, die im Park wie Fußbälle durch die Luft gekickt werden, und gefühlt 70 000 Schnapspralinen. Nicht jeder Witz ist schlau ("nur Herta ist härter"), aber der nächste oder übernächste erwischt einen dann doch. Wirklich neues Material liefert Kling kaum, weshalb eingeschworene Fans an dieser Verfilmung sicher den meisten Spaß haben werden - und Menschen, die es geschafft haben, dem Känguru bisher vollständig zu entgehen: Klings Sprachwitz ist und bleibt phänomenal.

Wirklich neues Material gibt es hier kaum, der Film wirkt wie ein Konzert der Greatest Hits

Was der Film im Vergleich zu den bisherigen Känguru-Produkten besonders gut kann, ist das Känguru. Der visuelle Irrsinn eines mannshohen Beuteltiers, das dankenswerterweise nicht zu knuffig animiert ist, mitten in der Berliner Innenstadt, macht Spaß - ob es jetzt im Görlitzer Park freche Fernsehinterviews gibt oder in der Kneipe herumlümmelt. Aus dem Cast sticht daneben vor allem Bettina Lamprecht hervor, dank langjähriger Sketch-Erfahrung mit sehr gutem Timing für Pointen. Sie spielt die hochschwangere und doch erschreckend trinkfeste Jeanette, die einzig nennenswerte Figur, die neu dazugekommen ist. Vielleicht macht sie deshalb so viel Freude. Weil die Macher auch filmische Komikmittel einsetzen, gibt es beim Anschauen doch noch etwas mehr zu entdecken - beispielsweise, als Jeanette nach ihrem Kneipen-Showdown wieder abzieht. Als die Tür hinter ihr zuschwingt, wiehert von draußen leise ein Pferd, eine Anspielung auf das Western-Saloon-Gefühl, das die ganze Szene vermittelt.

Am Ende geht es sowieso um die fortschrittlichen Kernwerte dieses Känguru-Biotops: Allzeit glasklare Kante gegen Alt-, Neu- und Möchtegern-Nazis sowie den durchschnittlichen Fremdenhasser, keine unreflektierten Witze über Ausländer, keine stereotypen Frauen- oder Männerbilder, keine miesen Schwulen-Imitationen. Zusätzlich können Kinder, Teenager und junge Erwachsene - das Publikum, das bisher die meiste Freude am Känguru hatte - hier ein wenig Politiktheorie lernen. Die Grundlagen gesellschaftlicher Ausbeutung, die miesen Methoden des Populismus - wer das lustig und verständlich darstellen kann, macht in Zeiten von AfD und rechtem Terror schon mal gar nichts falsch.

Die Känguru-Chroniken , D 2020 - Regie: Dani Levy. Buch: Marc-Uwe Kling. Kamera: Filip Zumbrunn. Mit Dimitrij Schaad, Rosalie Thomass, Henry Hübchen. X-Verleih/Warner, 92 Minuten.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Filme der Woche
:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

Juliette Binoche und Catherine Deneuve geraten in "La Vérité" beim Familientreffen aneinander. Und in für "Für Sama" dokumentiert eine Syrerin die Schrecken des Bürgerkriegs.

Von den SZ-Kinokritikerinnen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: