Gasteig, München
In einem Konzertsaal müssen sich wenige Musiker genauso gut anhören wie ein 100 Mann starkes Symphonieorchester. Um das zu garantieren, sind bestimmte, akustisch wirksame Maßnahmen unabdingbar. Denn ein schlechter Saal kann die besten Musiker mit den besten Instrumenten im Klangergebnis vernichten. Eine Stradivari klingt in einer Montagehalle nun einmal nicht so gut wie in der Zürcher Tonhalle. Bei den weltbesten Sälen arbeitete man jedoch vom Planungsbeginn an mit Akustikern zusammen. Als klassische Form ist bei Konzertsälen inzwischen ein langgestreckter Quader bekannt, einer Schuhschachtel gleich. Das bedeutet: rechteckiger, halbelliptischer bis elliptischer Grundriss, flache Galerien, breites Parkett. Das Gegenstück dazu ist der Weinberg: aufgefächerte, mitunter leicht sich überlappende Schrägen, die um eine Mittelbühne arrangiert sind, wobei sie sich in ihre Richtung absenken. In dieser Form ist der Münchner Gasteig gebaut. Zudem gibt es akustisch variable Säle, wie etwa die Bass Hall im texanischen Fort Worth, bei der man hinter den Zuhörer-Rängen leere Räume vorhält, die bei Kammermusik und kleinen Orchesterbesetzungen verschlossen bleiben und für große Orchester geöffnet werden. Die Räume sind hinter Sichtblenden verborgen, so dass sich der Saal nur akustisch, nicht optisch verändert. Ein ähnliches Prinzip verfolgen Konzepte, den Zuhörerraum variabel zu halten. Das gilt etwa für das Festspielhaus Baden-Baden. Auch für die Philharmonie im Münchner Gasteig war ursprünglich vorgesehen, bei weniger Publikum und kleinerer Orchesterbesetzung die oberen Ränge durch einen schalldichten Vorhang abzutrennen. Auf diese Weise hätte man einen Teil der akustischen Probleme in den Griff bekommen können. Für ein optimales Klangergebnis müssen also viele Faktoren zusammenspielen. Das führt nicht zwangsläufig zu höheren Baukosten: Ein guter Konzertsaal kostet meist nicht mehr als ein schlechter.
Suntory Hall, Tokio
In der 1986 eröffneten Suntory Hall sind die Sitzblöcke nach dem Weinberg-Prinzip angeordnet und erinnern an die Münchner Philharmonie am Gasteig von 1984. Der Konzertsaal in Tokio wurde selbst als akustisch integrierendes Musikinstrument verstanden: Selbst das leiseste Pianissimo sollte noch von jedem Winkel des Raumes hörbar sein. Das ist in der Regel leichter, als die Klangmasse einer Bruckner-Symphonie balanciert in Zaum zu halten, ohne Verzerrungen und ungewollte Interferenzen. Auch wenn man das oft nicht sieht: Die Wahl der Materialen für Wandverkleidung, Sitzbespannung und selbst für den Fußboden spielt dabei eine große Rolle. Weiche Hölzer, heute oft aus Feuerschutzgründen verboten, setzen historische Säle dabei in Vorteil. Für die Suntory Hall hat man viel mit geeigneten Materialien experimentiert und ein Optimum erreicht.
Teatro Colón, Buenos Aires
Gleich vier Architekten haben das Opernhaus von Buenos Aires, das legendäre Teatro Colón (Kolumbus-Theater) entworfen, das 1908 eröffnet wurde. Aber neben einem eklektizistischen Bau haben Francesco Tamburini, Angelo Ferrari, Victor Meano und Julio Dorma eine hevorragende Raumakustik geschaffen. Auch auf den oberen Rängen hört man hervorragend. Das liegt an der hölzernen Gesamtkonstruktion des Saals, die in das steinerne Korsett des Hauses spannungsfrei eingehängt ist. Sogar auf Türrahmen wurde verzichtet; die Logeneingänge sind mit schweren Vorhängen verschlossen. In dieser Atmosphäre können sich die zwei A-Orchester des Hauses, die "Orquesta estable" als Opernorchester und das Symphonieorchester "Orcquesta Filarmónica de Buenos Airese", dazu das Nachwuchsorchester "Orquesta academica" und viele weitere Ensembles optimal entfalten.
Boston Symphony Hall
Vorbild für die Boston Symphony Hall, eröffnet 1900 als Nachfolgerin der Boston Music Hall, war das zweite Leipziger Gewandhaus. Und zwar in klassischer Schuhschachtel-Form. Die Architekten McKim, Mead & White aus New York vergrößerten für Boston das Leipziger Vorbild um das Eineinhalbfache, waren aber schon damals klug genug, der jungen Physiker Wallace Clement Sabine aus Harvard für akustische Fragen zu engagieren. Insofern ist die Boston Symphony Hall das erste Konzertgebäude, das in Abstimmung mit wissenschaftlich abgeleiteten akustischen Prinzipien errichtet wurde. Das Ergebnis: der bestklingende Konzertsaal der USA und einer der besten der Welt. Bis heute.
Bridgewater Hall, Manchester
Als das Büro Renton Howard Wood Levin (RHWL) in den Neunzigern die Bridgewater Hall von Manchester entwarf, war die Zusammenarbeit von Architekten und Akustiker keinesfalls die Regel. Aber es hat sich hier gelohnt: Im Grundmuster entspricht auch die Bridgewater Hall der klassischen Schuhschachtel und wirkt optisch weniger spektakulär als die Symphony Hall im benachbarten Birmingham. Trotzdem klingt die Bridgewater Hall homogener und störungsfreier. Um Letzteres zu gewährleisten, wurde der ganze Saal auf eine mit Rollen und Federungen präparierte Basisplattform gestellt. Die luftige Deckenkonstruktion besteht aus einem dreieckigen Stahlseilsystem mit Seitenlängen von etwa acht Metern. Diese Spanndrahtgitter enthalten kreisförmige Arme, über die Mikrophone herauf- und heruntergelassen werden können.
KKL, Luzern
Mit dem Kultur- und Kongresszentrum von Luzern, eröffnet 1998, das selbst auf der eigenen Homepage nur noch als KKL firmiert, hat der Architekt Jean Nouvel außen wie innen ein Meisterwerk geschaffen. Das gilt für die Funktionalität wie für die Ästhetik. Das Herzstück ist ein akustisch nahezu perfekter Konzertsaal. Grundform: klassische Schuhschachtel. Dazu kommen fein austarierte Detaillösungen, auch variable Elemente, mit deren Hilfe man den Klang steuern kann, entsprechend der jeweils vorhandenen Anzahl der Musiker und der im Raum gleichmäßig zu verteilenden Klangmasse. In extendo kann man dieses Prinzip zum Beispiel in der Bass Hall von Fort Worth erleben, geplant von David M. Schwarz, eröffnet 1998. Dort stehen in den Obergeschossen komplette Akustikreserven zur Verfügung in Form leerer Räume (siehe Bild 1), die mittels variabler Holzpaneele bei Bedarf zugeschaltet werden können. So dienen solch variable Hallen ohne optische Veränderung gleichermaßen als intimer Kammermusiksaal und als wirkungsvoller Aufführungsort für groß besetzte Orchestermusik.
Musikvereinssaal, Wien
Das Haus des Wiener Musikvereins beherbergt einen der akustisch besten Säle der Welt: den Großen Goldenen Musivereinssaal. Entworfen hat ihn der klassizistische Architekt Theophil von Hansen in strenger Schuhschachtelform, etwas anderes war damals gar nicht denkbar. Die Größe des Saales mit 1744 Sitzplätzen und 300 Stehplätzen ist dem Saal kaum anzumerken, vor allem akustisch nicht. Es gibt keine knallenden Echos wie in der Münchner Philharmonie und keine undefinierbaren Störgeräusche. Allerdings hört man auf den Stehlplätzen, die sich geräumig an der Rückwand des Saales quer über den ersten Rang erstrecken, punktuell etwas leiser als im vorderen Teil des Saales, aber keineswegs schlechter.
Concertgebow, Amsterdam
Auch dem großen Saal im Concertgebouw (Konzertgebäude) von Amsterdam merkt man seine Größe kaum an. Knapp 2000 Plätze in Schuhschachtelform und auf flachen Galerien machen weit weniger her und beeinträchtigen die Klangentfaltung weit weniger als in der Weinberg-Alternative. Der Raum ist der Star, der schiere leere Raum. Wobei es auf die Materialen und die Wandgestaltung ankommt - nicht auf das repräsentative Aussehen der Stuhlreihen und ihrer Besitzer. Das Concertgebow wurde 1888 eröffnet und ist seither einer der bestklingenden Säle der Welt.
Konservatoriumssaal, Moskau
Das 1866 von Nikolai Rubinstein gegründete, spätere Tschaikowsky-Konservatorium beherbergte nicht nur die Elite der russischen Komponisten und Instrumentalisten, sondern bis heute auch einen der besten Konzertsäle. Der Grundbau, ein Herrenhaus des Architekten W. I. Baschenow für die Fürstin Jekaterina Romanowa Daschkowa, stammt aus dem 18. Jahrhundert, er wurde zwischen 1885 und 1901 nach einem unentgeltlich angefertigten Projekt des Architekten W. P. Sagorski erstellt. Die akustische Besonderheit des Saales beruht auf keramischen Hohlkörpern, die ins Deckengewölbe eingefügt sind. Grundform, einmal mehr: die Schuhschachtel.
Carnegie Hall, New York
Ein Auftritt in der New Yorker Carnegie Hall ist der Ritterschlag und der Start der Weltkarriere für jeden Pianisten. Viele Live-Mitschnitte daraus sind legendär, Vladimir Horowitz hat hier Jahrzehnte lang aufgenommen, die Carnegie-Debüt-Konzerte von Evgeny Kissin und Daniil Trifonov wurden Plattenerfolge. Ein Grund für die herausragende Akustik, die auch für größere Besetzungen und Orchester funktioniert, ist wieder einmal die Quader-Grundstruktur sowie die verwendeten Hölzer für die Wandverkleidungen. Dazu kommt eine im Vergleich zu modernen Sälen niedrige Bühne, die zusätzlich als Halbkreis gedacht ist und mit einer flachen Kuppel überwölbt ist. So kann sich der Klang im Halbrund balanciert ausbilden und von dort aus in den Saal abstrahlen. Manche Säle wie die Münchner Philharmonie sind genau umgekehrt konstruiert: Dort ist der Raum über der Bühne am höchsten und verjüngt sich im Publikumsraum drastisch nach hinten und oben. Der Klang kann sich also nicht entfalten, sondern wird eingeengt und produziert unangenehme Reflexe und Störungen.
St. Petersburger Philharmonie
1802 entstand in Sankt Petersburg die erste Philharmonische Gesellschaft Europas. Den dazugehörigen Konzertsaal mit immerhin mehr als 1500 Sitzplätzen gibt es allerdings erst seit 1839. Grundform ist die klassische Schuhschachtel mit seitlichen Balkonen auf Säulen-Arkaden, die bis an die Vorderfront gezogen sind und das Podium flankieren. Wie bei anderen Musiksälen der Zeit ist das Podium im Vergleich zu modernen Sälen nicht sehr groß, aber relativ hoch. Der Grund: Die hölzerne Bühne ist hohl, das ganze Podium wirkt als Resonanzkörper. Die Rückwand bildet hier wie meist ein relativ flacher Orgelprospekt, so dass kein harter Abstrahlreflex entsteht, sondern ein bereits leicht gestreuter, homogener, weicherer Klang, der auch Fortissimostellen nicht aggressiv in den Raum knallen lässt, sondern als Verdichtung und Intensivierung sich vermittelt. Das ist ein entscheidendes musikästhetisches Merkmal, nicht nur ein oberflächliches Schönheitskriterium.