"Der letzte Tango in Paris":Keiner wollte Maria Schneider hören

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Maria Schneider war bei den Dreharbeiten zum "Letzten Tango" erst 19 Jahre alt. (Foto: imago/EntertainmentPictures)

Das ist der eigentliche Skandal hinter der Vergewaltigungsszene aus "Der letzte Tango in Paris". Die verspätete Empörung offenbart aber auch eine positive Entwicklung.

Von Julian Dörr

Am Frühstückstisch sollen die beiden ihren Plan geschmiedet haben. Bernardo Bertolucci, der Regisseur, Marlon Brando, der Schauspieler, ein Baguette, ein Stück Butter. Mit einer Vergewaltigungsszene wollen die beiden Männer die junge Schauspielerin Maria Schneider überraschen, sie solle fühlen, nicht schauspielern. Am Ende wird es eine der drastischsten und kontroversesten Szenen der Filmgeschichte, ein Missbrauch vor laufenden Kameras.

Nichts davon ist neu, alles seit Jahren bekannt. Und dennoch ist es ein Skandal. Prominente Schauspieler empören sich auf Twitter, nie wieder könnten sie einen Bertolucci-Film sehen oder Brando auf der Leinwand in die Augen schauen. Der Grund dafür, dass die Aufregung ausgerechnet jetzt wieder hochkocht, ist ein Interview mit dem Regisseur aus dem Jahr 2013, das eine spanische Non-Profit-Organisation vor wenigen Tagen auf ihrer Website geteilt hat. Bertolucci erklärt dort, wie er gemeinsam mit Brando den Plan gefasst hat, Maria zu manipulieren und zu hintergehen - und sie ohne Vorwarnung dem psychischen und physischen Druck einer Vergewaltigung auszusetzen.

Die junge, unerfahrene Frau und die beiden männlichen Künstler-Genies

Der eigentliche Skandal aber liegt nicht in der ohne Zweifel grausamen Natur dieser Vorgehensweise. Seine Schauspielerinnen und Schauspieler mit realen Emotionen zu konfrontieren, gehört zur Arbeitsweise vieler Regisseure. Solange nicht die Grenze zum Missbrauch überschritten wird, ist das auch nicht verwerflich. Weshalb es nun besonders skandalös ist, dass niemand die Stimme einer missbrauchten Frau gehört hat. Vor ihrem Tod im Jahr 2011 hat Maria Schneider immer wieder über das für sie traumatische Ereignis gesprochen. 2007 sagte sie in einem Interview mit der Daily Mail, sie habe sich "erniedrigt gefühlt und, um ehrlich zu sein, auch ein bisschen vergewaltigt, sowohl von Marlon als auch von Bertolucci." Eine Frau spricht über ihren Missbrauch - und niemand hört ihr zu. Es braucht erst die Äußerung des männlichen Gegenparts, der - wie Bertolucci in besagtem Interview - der Geschichte der Frau Gehör verschafft.

Die junge, unerfahrene Frau und die beiden männlichen Künstler-Genies. Ein Machtgefälle, das Bertolucci und Brando bewusst ausgenutzt haben. Ein Machtgefälle, das Hollywood seit seinen Anfangstagen prägt. Die Filmgeschichte ist auch eine Geschichte der Missbrauchsfälle: der exilierte Roman Polanski, die unbewiesenen Anschuldigen gegenüber Woody Allen. 1937 beschuldigte die Tänzerin Patricia Douglas den Studio-Boss David Ross, sie während einer Party vergewaltigt zu haben. Auf ihre Anzeige folgte eine brutale Verleumdungskampagne seitens des Studios. Augenzeugen wurden bestochen und Douglas' Karriere wurde zerstört. Eine Frau, die ihre Stimme erhob, wurde stumm gemacht.

Nun zeigt die Empörung um den "Letzten Tango in Paris" aber auch, dass unsere Gesellschaft sich mehr und mehr sensibilisiert für die Thematik des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Diskriminierung - auch in Hollywood. So sprach die britische Schauspielerin Thandie Newton in einem Interview vor wenigen Monaten über die sexuelle Übergriffigkeit eines männlichen Regisseurs während eines Castings. Und Chloë Sevigny äußerte sich explizit zu der Alltäglichkeit von sexueller Belästigung im Leben einer Schauspielerin. Zwei Frauen, die ihre Stimmen erhoben haben.

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