Kaum eine menschliche Untugend ist so anstrengend wie Sturheit, und wenn sie sich mit Querulantentum paart, wird alles noch schlimmer. Wer der sture Querulant ist, wird am Anfang von "Der Affront" schnell klar: Aus Tonys Balkon in Beirut ragt ein seltsames Abflussrohr, das den Passanten auf der Straße darunter unangeforderte Duschen verpasst.
Als ein Bautrupp das Problem korrigieren will, rastet Tony (Adel Karam) aus und schreit herum. Yasser (Kamel el-Basha), der Chef der Bauarbeiter, erklärt seinen Auftrag und macht einfach weiter. Tony macht das Abflussrohr kaputt, Yasser beleidigt ihn.
Ziad Doueiris Film "Der Affront" beginnt mit einer harmlosen Auseinandersetzung. Die beiden Männer kennen sich gar nicht; aber sie können einander prophylaktisch nicht ausstehen, und sie sind beide unheimliche Dickköpfe.
Yasser wird dazu verdonnert, sich bei Tony zu entschuldigen, aber die Begegnung eskaliert. Tony ist Christ, Yasser ist Palästinenser. In der Garage hört man aus dem Off, was Tony sich gerade anhört - eine Hetzrede des christlichen Milizenführers Bachir Gemayel, der 1982 getötet wurde, gegen palästinensische Flüchtlinge.
Das macht es Yasser nicht leichter. Die Sache geht vor Gericht, und sofort schalten sich Kräfte ein, die sich mehr für die politische Großwetterlage interessieren als für kleine Streitigkeiten. Yasser wird von einer jungen Anwältin vertreten, die sich ein neues, offenes Libanon wünscht; Tony bekommt Schützenhilfe von einem alten Hasen aus der Politik, der den Fall gerne nutzen möchte, um Scharmützel aus der Vergangenheit neu auszutragen.
Die Gefahren überhitzter Rhetorik
Die Abflussrohraffäre droht bald, Libanon zu spalten, wenn es nicht schon gespalten ist. Die Unterstützer formieren sich. Tonys Anwalt provoziert einen Eklat und bekommt ihn.
Es geht natürlich nicht ums Abflussrohr, nicht einmal um die Schmach, die beide Männer einander zugefügt haben, um den Ehrverlust, den beide Seiten beklagen. Es geht in diesem Film, den Ziad Doueiri zusammen mit Joëlle Touma geschrieben hat, um die Gefahren überhitzter Rhetorik, um den Bürgerkrieg, um alte Wunden, die nie verheilt sind.
Ziad Doueiri, der als Kameraassistent bei Quentin Tarantino angefangen hat, ist einer der wichtigsten libanesischen Filmemacher - zuletzt hat er "The Attack" (2012) gemacht, über einen harmlosen palästinensischstämmigen Arzt in Israel, der herausfindet, dass seine Frau das Attentat, bei dem sie umgekommen ist, selbst begangen hat.
Doueiri drehte damals in Israel und hat sich damit einigen Ärger eingehandelt, der Film durfte in weiten Teilen der arabischen Welt nicht gezeigt werden. Er versteht also ein wenig von der Sturköpfigkeit, die er hier beschreibt.
Sein Hauptdarsteller Kamel el-Basha wurde bei den Filmfestspielen in Venedig im vergangenen Jahr für sein Porträt des latent aggressiven Yasser mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet, im vergangenen Frühjahr war "Der Affront" für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert.
Die Geschichte, die der Rest der Welt Libanon in den vergangenen hundert Jahren eingebrockt hat, ist ziemlich unübersichtlich - weil ein wesentlicher Bestandteil aber der Bürgerkrieg ist, wird der offene Umgang mit der Vergangenheit gerne vernachlässigt.
Die Lage zwischen Christen und Muslimen war schon lange vor dem Krieg angespannt, palästinensische Flüchtlinge verschärfen noch die Konfrontation zwischen den Religionsgemeinschaften. Der Bürgerkrieg begann aber eigentlich erst Mitte der Siebzigerjahre mit der Ankunft der PLO, die aus Jordanien vertrieben worden war. Es gab Massaker an Palästinensern, von christlichen Milizen begangen.
Die Kollektivschuld kann das Gericht nicht feststellen
Und eine solche Vorgeschichte wird dann auch in "Der Affront" ans Licht gezerrt. Niemand, der Satz wird einmal gesagt, hat ein Monopol aufs Leiden - das Elend wird verteilt. Ein Gericht soll einen Schuldigen finden, aber eine Kollektivschuld feststellen kann es nicht; das können nur alle zusammen.
Das ist alles ganz sauber erzählt und wirklich eindrucksvoll gespielt - aber hinter dem großartigen Thriller "The Attack" bleibt "Der Affront" dann doch ein bisschen zurück. Ziad Doueiri will zu viel, und so packt er dann in einen Genrefilm mehr Anliegen hinein, als dieser verträgt. Aber vielleicht hat das auch mit dem Land zu tun und mit dem verdrängten Bürgerkrieg: Da ist noch ganz viel, was ans Licht gezerrt gehörte. Aber einstweilen verliert man fast den Überblick.
L'insulte , Frankreich/Libanon 2017 - Regie: Ziad Doueiri. Buch: Doueiri und Joëlle Touma. Kamera: Tommaso Fiorilli. Mit: Adel Karam, Kamel el Basha, Abdallah Salameh, Rita Hayek, Camille Salameh. Alpenrepublik/Filmperlen, 112 Minuten.
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