Castorfs "Molière"-Premiere in Köln:Irgendwas mit Macht

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Frank Castorfs Molière-Dämonen: Fleisch geworden, als Mensch verkleidet und fünf lange Stunden in Aktion. (Foto: Thomas Aurin)

Fünf Stunden Dauer-Klimbim: Frank Castorf scheitert in Köln mit "Molière. Ich bin ein Dämon, Fleisch geworden und als Mensch verkleidet".

Von Alexander Menden

Klar, es gibt sie noch, die Castorf-Momente. Zum Beispiel, wenn Bruno Cathomas sich hinters Steuer eines gelben Lieferwagens mit "Banania"-Aufschrift klemmt und damit wie irre vor und zurück rangiert. Das hat den albernen Irrwitz der besten Volksbühnen-Zeiten. Aber solche Momente sind fast so rar wie fliegende Schweine an diesem Abend. Fünf Stunden reiner Spielzeit hat Frank Castorf veranschlagt für seine Produktion "Molière. Ich bin ein Dämon, Fleisch geworden und als Mensch verkleidet". Fünf Stunden im Mülheimer Depot des Schauspiels Köln. Ein "sehr, sehr langer Abend", wie Cathomas zu Beginn fröhlich droht.

Vor 400 Jahren wurde Molière geboren, obwohl Frank Castorf natürlich solche Anlässe nicht braucht, es ist ja auch nicht seine erste Molière-Collage. Diesmal soll es um das ganze Leben des französischen Komödiendichters gehen. Und um Machtverhältnisse, um Hierarchien, um die Verpflichtung des Komödianten, dem adligen Herrn Zerstreuung zu bieten. Die Biografie des Autors müssen die Darsteller, abgesehen von der Französin Jeanne Balibar sämtlich Mitglieder des Kölner Ensembles, von Geburt bis Tod auserzählen, mit Daten und allem Pipapo.

Überhaupt haben die meisten von ihnen unendliche Textriemen durchzukauen, Versatzstücke aus diversen Molière-Stücken, darunter der "Menschenfeind" und "Die gelehrten Frauen", sowie schmerzerfüllte Texte von Bulgakow und Meyerhold aus Väterchen Stalins Russland und Erinnerungen des japanischen Choreografen Tatsumi Hishikata an seine Kindheit im Reisfeld.

Er habe "alles erreicht, was ich erreichen wollte", grölt der Theaterdirektor: Da spricht natürlich auch Castorf selbst

Die Machtverhältnisse stellt Cathomas als perückenbewehrter Molière in einer Szene mit seinen Wandertheaterschauspielern auch gleich klar: Er habe "alles erreicht, was ich erreichen wollte", grölt der Theaterdirektor. Da spricht natürlich auch Castorf selbst und zwinkert dem Publikum zu, dem allmählich der Hintern einschläft. An bühnentechnischem Aufwand wird nicht gespart. Das reicht vom besagten Lieferwagen über einen gigantischen Arsch mit Ohren, auf dem "Arc de Triomphe" steht, bis hin zu wie in einem Terry-Gilliam-Cartoon die Münder auf- und zuklappenden Riesenzylinderträgern, die das bürgerliche Publikum oder so was repräsentieren.

Vor allem wird viel gefilmt und gesendet: An der Bühnenrückwand sind zwei begehbare Container aufgebaut. Der rechte ist wie ein Speisezimmer aus dem 17. Jahrhundert eingerichtet. Der linke enthält eine Badewanne, in der Jeanne Balibar und drei männliche Darsteller sich eine gefühlte halbe Stunde nackt aalen, untertauchen und aneinanderreiben. Danach kämpfen die Männer mit Stöckchen, das ist eine Interpretation der Auseinandersetzung von Tanz-, Musik- und Fechtmeister aus "Der Bürger als Edelmann".

Später wird Lola Klamroth in dem anderen Container mit einer Sahnetorte schmeißen und selbst mit dem Gesicht in eine hineinfallen. Während all das, in Nahaufnahme auf eine Leinwand projiziert, humorfrei abläuft, wandert der Blick hinüber zu statisch in der Luft hängenden Bühnennebelschwaden. Sie sind oft das Beste und Klügste von dem, was da vorne passiert.

Jeanne Balibar bildet das Zentrum des Abends; meistens aber spielt sie wie durch Milchglas. (Foto: Thomas Aurin)

Jeanne Balibar bildet das Zentrum des Ganzen. Sie stöckelt umher, nackt unter durchscheinenden Gewändern, freut sich als dämlicher, bourgeoiser Monsieur Jourdain darüber, zu entdecken, dass sie ihr ganzes Leben lang Prosa gesprochen hat, singt gemeinsam mit Marek Harloff auf Molières Wanderbühne den DDR-Schlager "Keine Bange (wir holen eine Zange)" und stellt - Corona lässt grüßen - fest: "Die Erkältung der Saison hat mich erwischt." Obwohl es bewundernswert ist, wie hier eine Darstellerin in einer Sprache agiert, die nicht ihre eigene ist, funktioniert die ironische Durchmischung verschiedener Register und Textsorten überhaupt nicht. Alles wirkt offenkundig auswendig gelernt. Balibars wahre, glamouröse Bühnenaura scheint nur dann wirklich auf, wenn sie Französisch spricht. Sonst spielt sie wie durch Milchglas.

Um Macht geht es vor allem dem Regisseur; die ganze Produktion ist ein einziges: Guckt mal, was ich hier alles auffahre, weil ich es kann

Molières eigene Brillanz aber kommt bisweilen durch. Vor allem, als Justus Maier als Cléonte aus "Der Bürger als Edelmann" in Renaissance-Wams und Unterhose fußstampfend seine enttäuschte Liebe zu Lucille Jourdain herauspresst. Hier ist ein Mensch, der sich verletzt und erniedrigt fühlt, weil er denkt, seine Geliebte habe ihn zur Seite gestellt. Und das zugunsten eines Mannes, von dem er weiß, dass er charakterlich kleiner, unbedeutender ist als er selbst, den Umstände und Konvention aber in eine vorteilhaftere Position gesetzt haben, Lucilles Gunst zu erlangen. Natürlich wird da exemplarisch der Konflikt zwischen Bürgertum und Adel ausgefochten. Aber es ist eben auch eine zutiefst menschliche Szene, die einen extremen Gefühlszustand genial einfängt. Für so was Echtes ist eigentlich kein Platz in diesem unendlich gleichgültigen, selbstreferenziellen Dauerklimbim. Und doch bricht es sich kurz Bahn.

Irgendwie geht es hier um Macht, klar. Seine Macht stellt allerdings vor allem Frank Castorf selbst unter Beweis. Die ganze Produktion ist ein einziges: Guckt mal, was ich hier alles auffahre, weil ich es kann. "Molière" ist ein schlampig gebauter Riesenkübel, randvoll von Irrelevanz. Ein Abend, der vorführt, was passiert, wenn ein superarrivierter Theaterregisseur ohne Rücksicht auf Verluste jeder noch so doofen Assoziation freien Lauf lässt. Wenn Bühnenbilder, Requisiten und Technik öder Selbstzweck werden. Wenn herzzerreißend bemühte Schauspieler zum Knallchargentum verdammt sind. Wenn Moliére draufsteht, aber doch nur Castorf drin ist.

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