Braindrain in der Türkei:"Mit so einem Land kann ich mich nicht mehr identifizieren"

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Braindrain in der Türkei: Protest für die Pressefreiheit - vor dem Sitz der oppositionellen Zeitung Cumhuriyet.

Protest für die Pressefreiheit - vor dem Sitz der oppositionellen Zeitung Cumhuriyet.

(Foto: AFP)

Immer mehr Intellektuelle verlassen die Türkei oder müssen fliehen. Das Land verliert seine kritischsten und innovativsten Geister. Drei Geschichten.

Protokolle von Carolin Gasteiger

Die Türkei verliert einen großen Teil ihrer Elite. Immer mehr Akademikerinnen, Akademiker und Intellektuelle wandern - gezwungenermaßen oder aus freiem Willen - nach Europa, Kanada oder in die USA aus. Ihre Heimat lassen sie damit aber nicht hinter sich. Im Gegenteil. Drei von ihnen erzählen hier ihre Geschichte. Nicht alle wollen das unter ihrem wahrem Namen tun - deshalb wurden ihre Namen von der Redaktion geändert.

Zeynep Sentek promoviert gerade in Heidelberg in Politikwissenschaft. Sie musste die Türkei nicht unter Zwang verlassen, ist im Nachhinein aber froh darüber.

In der Türkei könnte ich gerade nicht promovieren. Meine Doktorarbeit, die ich nun in Heidelberg verfasse, behandelt den Aufstieg und Wandel von Polizei und Militär in der Türkei. In meiner Heimat würde ich nie einen Professor finden, der so ein regierungskritisches Thema betreuen könnte. Selbst wenn ich einen fände, würde der seinen Job gefährden.

Intellektuelle haben in der Türkei gerade keine Chance. An manchen Universitäten wurden ganze Abteilungen geschlossen, es gibt keine Wissenschaft mehr. Daran ist die Regierung auch gar nicht interessiert.

Meinen Master habe ich in Großbritannien gemacht, wo ich auch meinen Mann kennengelernt habe. Er ist Brite. Wir sind anschließend für eine Weile zurück in die Türkei gegangen. Aber das wissenschaftliche Niveau ist in der Türkei leider nicht so hoch, unter 100 Universitäten sind vielleicht drei gute. Also habe ich mich auf eine Doktorandenstelle für Politikwissenschaft in Heidelberg beworben - und wurde genommen. Etwa einen Monat nach dem gescheiterten Militärputsch im vergangenen Jahr zogen wir nach Deutschland. Der Zeitpunkt war reiner Zufall. Aber im Nachhinein bin ich sehr froh darüber, dass wir die Türkei verlassen haben. Ich glaube nicht, dass uns damals klar war, was noch alles passieren würde.

Die Entwicklungen in der Türkei machen mich sehr traurig. Jedes Mal, wenn ich meinte, jetzt könne es nicht mehr schlimmer werden, passierte genau das: Es wurde schlimmer. Und solange diese Regierung an der Macht ist, wird das auch so weitergehen. Das Ausmaß des Bösen, wie es sich nach dem Putschversuch entwickelt hat, konnte niemand ahnen. Insofern bin ich sehr froh, jetzt in Deutschland zu leben, wo das Potenzial junger Wissenschaftler anerkannt und gefördert wird. Als Journalistin kann ich im Ausland auch leichter über meine Heimat schreiben, weil ich hier sicher bin. In der Türkei würden sie mich dafür verfolgen.

Allerdings würde ich gern irgendwann wieder zurück in die Türkei gehen. Schließlich bin ich dort aufgewachsen, meine Familie lebt dort. Aber momentan ist das nicht möglich. Ich verfolge das Geschehen dort sehr genau und fühle mich meiner Heimat gegenüber auch verpflichtet. Aber ob, wie und wann ich überhaupt zurückgehen kann, weiß ich nicht. Ich muss gerade einfach abwarten, was passiert.

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