"Bis wir tot sind oder frei" im Kino:Systemsprenger

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Geheime Treffen: Ausbrecherkönig Walter Stürm (Joel Basman) und seine Anwältin (Marie Leuenberger). (Foto: Port au Prince Film)

In der Schweiz wurde Walter Stürm durch seine Gefängnisausbrüche zum Star, jetzt feiert ihn eine Filmbiografie: "Bis wir tot sind oder frei".

Von Doris Kuhn

Man hat ihn den "Ausbrecherkönig" genannt: Walter Stürm, Schweizer Krimineller, wanderte für seine Vergehen immer wieder ins Gefängnis, kam aber auch meistens wieder raus - auf eigene Faust, ohne Zustimmung der Justiz. Dieses wilde Leben hat der Regisseur Oliver Rihs jetzt - deutlich fiktionalisiert - in einem Film verwandelt: "Bis wir tot sind oder frei".

Walter Stürm wird darin zu einer Figur, für die man sich richtig interessiert. Er ist klug, einsam, amüsant in seinem Auftreten, ein Meister der Tarnung, die häufig aus einer schlecht sitzenden Geschäftsmann-Kostümierung besteht. Schon das ist ziemlich lustig, seine Dialoge nicht minder, überhaupt ist Stürm, gespielt von Joel Basman, in diesem Film fast der Einzige, der Humor haben darf.

Die Schweiz reagiert hart auf Rebellion - da wächst der Freiheitsdrang

Rihs macht aus der Geschichte keinen Genrefilm, der von Flucht und Verfolgung eines Gangsters erzählt, sondern er konfrontiert Stürms Taten mit dem Zeitgeist der Schweiz. Es ist 1980, in Zürich gehen die Jugendlichen auf die Straße und protestieren gegen das System, bald wird randaliert, weil das System ordentlich gewaltbereit zurückschlägt. Parallel dazu zeigt Rihs einen Ausbruch Stürms. Der springt aus dem Fenster einer Wache und drängelt durch die wütenden Demonstranten, diesmal verkleidet als Polizist. Sehr schlechte Wahl in dieser Umgebung, aber Stürm macht das Beste daraus und klaut auch gleich ein Polizeiauto.

Unter den Demonstranten ist die Rechtsanwältin Barbara Hug (Marie Leuenberger). Sie steht auf der Seite derer, die festgenommen werden. Man ist bei einer Verhandlung dabei, ihre junge Mandantin kommt aus Deutschland, das rettet sie vor einem Schweizer Erziehungsheim, aber Oliver Rihs macht eine grandiose Schau daraus zu zeigen, mit welcher Härte die Justiz auf jugendliche Rebellion reagiert.

Auf die Repression kommt er später wieder zurück mit Stürm, der die menschenverachtenden Zustände im Knast anprangert, bis die Zürcher Jugendlichen das Thema irgendwann in ihren Demo-Katalog aufnehmen. Bis dahin hat auch die Anwältin Hug den Ausbrecher Stürm kennengelernt, hat ihm bei der Flucht über die Grenze in die BRD geholfen und ihn im Versteck einer revolutionären Zelle untergebracht.

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Dort vermischt sich die Politik mit dem Verbrechen, der Dieb, der ideologiefrei Tresore knackt oder Juweliergeschäfte ausräumt, trifft auf den bewaffneten Widerstand. Dabei verfällt der Film in Revoluzzer-Klischees, alle sind hysterisch oder paranoid, nur Walter Stürm behält seine Nonchalance. Schön ist allerdings, wie beide Seiten sich gegenseitig ausnutzen, die einen wollen Waffen, der andere will Schutz.

Jeder verspricht jedem, was er hören will, völlig ungeachtet der Realität. Danach bemüht Rihs sich lange, sämtliche Beteiligten im Spiel zu halten, statt nah an Stürm zu bleiben, mit dem man viel lieber die Zeit verbrächte als mit den ausnehmend dämlich porträtierten deutschen Terroristen. Die Kombination der Gegensätze trägt nicht zur Spannung der Geschichte bei, sondern lässt sie auseinanderdriften.

Trotzdem gibt es viel Stürm zu sehen, darunter einen weiteren kühnen Gefängnisausbruch samt Vorbereitung, und sobald Rihs sich ans Genrekino anlehnt, spürt man, welchen Sog das entwickeln kann. Letztlich machen Barbara Hug und ihr Zürcher Anwaltskollektiv den Ausbrecherkönig zur Galionsfigur für eine Bewegung, die Gefängnisreformen fordert.

Stürm wird zum Zugpferd für die Straßenproteste, ob ihm das persönlich passt oder nicht, ob ihn diese Öffentlichkeit in Gefahr bringt oder nicht. Der Film verhandelt titelgemäß die Freiheit der Bewegung, die Freiheit des Geistes, er zeigt, wie dafür in den frühen Achtzigerjahren gekämpft wurde. Aber das Raffinierte ist, dass er gleichzeitig darauf hinweist, wie die Freiheitskämpfer munter ihre eigenen Interessen auf Kosten anderer bedienen.

Bis wir tot sind oder frei , Schweiz/D 2021 - Regie: Oliver Rihs. Kamera: Felix von Muralt. Mit: Joel Basman, Marie Leuenberger, Jella Haase. Verleih: Port au Prince Film, 118 Minuten. Kinostart: 31. 3. 2022.

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